Nach der Ansprache des US-Vizepräsidenten bei der Münchner Tagung ist von einem Neuanfang die Rede.

München. An diesem Tag gleicht die Innenstadt von München ein wenig der Grünen Zone in Bagdad - sie ist ein Hochsicherheitsbereich. Tausende Polizisten säumen Straßen und Kreuzungen, Sperrgitter blockieren den Zugang rund um den Tagungsort der 45. Sicherheitskonferenz - den altehrwürdigen "Bayerischen Hof" .

Ein Dutzend Staatschefs und 50 Minister zu Besuch - für einen Tag ist München sozusagen die wichtigste Stadt der Welt -, und dieser Tag ist der Tag des Joe Biden. Ein Konvoi amerikanischer Fahrzeuge rast blinkend durch die bayerische Metropole, ein Hauch von Washington liegt über der Stadt. Biden, hochgewachsen, gebräunt, erscheint geradezu ideal gekleidet für seinen von hohen Erwartungen begleiteten Auftritt in Bayern: blauer Anzug mit weiß-blauer Krawatte und sorgfältig gezupftem zweispitzigen schneeweißen Einstecktuch. Obamas Stellvertreter, der mitten in der Nacht in München anreiste, verfügt über eine mächtige Waffe: ein unwiderstehliches Lächeln, das er bereitwillig anknipst wie eine Blendlaterne.

Im streng abgesperrten Konferenzsaal trifft Biden, der schon als US-Senator häufig Gast der Sicherheitskonferenz war, auf viele Bekannte. Umarmungen, Schulterklopfen, blendendes Biden-Lächeln. Als Biden dann das Wort hinter einem Pult mit dem Siegel der USA ergreift, kommt er ohne Umschweife auf den neuen Ton zu sprechen, der nun zwischen Amerika und dem Rest der Welt herrschen solle. Dies sei kein Luxus, sondern pure Notwendigkeit, denn die Gefahren und Sorgen seien groß, und man sei verpflichtet, sich gegenseitig zuzuhören und voneinander zu lernen. Das sei die Herausforderung des Augenblicks. Für die Vereinigten Staaten gebe es keinen Konflikt zwischen Sicherheit und Idealen. "Ich verpflichte mich Ihnen gegenüber: Wir werden danach streben, jeden Tag, die Werte zu ehren, die Amerikas Demokratie belebt haben und die uns an Sie binden." Daher habe Barack Obama auch erklärt: "Amerika wird nicht foltern. Und es wird Guantanamo schließen."

In der ersten Reihe lauschen Bundeskanzlerin Angela Merkel neben Nicholas Sarkozy und der ukrainischen Regierungschefin Julia Timoschenko.

Biden streift die Konfliktherde der Welt und zählt die Herausforderungen für den Westen auf. Und immer wieder: gemeinsames Handeln. Längst hat er unübersehbar die Mehrheit im Saal auf seiner Seite, ein Meer von freundlichen Mienen, darin ein paar versprengte Inseln des Argwohns oder der Unentschlossenheit - etwa bei den Russen, Ukrainern und auch den Iranern. Deren Parlamentspräsident Ali Laridschani hatte schon am Vortag für Unmut gesorgt. Zur Leugnung des Holocaust durch seinen Präsidenten Mahmud Ahmadinedschad hatte er gesagt: "Ich bin kein Historiker. Die Menschen können verschiedene Ansichten und Auffassungen dazu haben."

Doch das ist nun schon wider vergessen. Niemand bei den Partnern murrt, als Biden erklärt, Amerika werde mehr tun, aber auch mehr von seinen Verbündeten verlangen. "Wir werden als Partner arbeiten", sagt der Vizepräsident, "und allein nur, wenn wir es müssen." Das hätte auch George W. Bush sagen können, aber so will es kaum jemand verstehen bei diesem Mann. Denn Biden verspricht: "Wir werden zuhören. Wir werden uns beraten." Und er schließt seine politische Tour d'Horizont effektvoll mit den Worten: "Unsere Partnerschaft nützt uns allen. Dies ist die Zeit, sie zu erneuern."

Es ist eben der Tag des Joe Biden - da kann sich Nicholas Sarkozy noch so gestenreich in Szene setzen und mit dem aggressiv zustoßenden Zeigefinger die Zuhörer aufspießen.

Eine euphorische Aufbruchstimmung erfasst die ganze Konferenz; Bidens Rede hat den politischen Mehltau der Bush-Ära hinweggefegt. Außenminister Frank-Walter Steinmeier stellt "Optimismus" fest, "ein neues Momentum" und "ein anderes Verhalten der Amerikaner, als wir dies in den vergangenen Jahren gewohnt waren". Es seien "Aufbrüche erkennbar". Viele Teilnehmer äußern sich geradezu enthusiastisch gegenüber dem Hamburger Abendblatt.

Bidens Rede sei sowohl inhaltlich als auch insbesondere in der Tonalität ein völlig neuer Ansatz, sagt Grünen-Chef Cem Özdemir. "Der Kontrast wird noch größer, wenn man die Vorgänger-Administration zum Maßstab nimmt. Auch die Herangehensweise, dass man sich zuhört und danach idealerweise gemeinsame Entscheidungen trifft - das ist sehr zu begrüßen", sagt Özdemir.

BND-Präsident Ernst Uhrlau stellt "atmosphärisch wie politisch" völlig neue Ansätze fest.

Umweltminister Jürgen Trittin meint: "Mich hat insbesondere die Klarheit beeindruckt, mit der Biden formulierte, Amerika werde nicht nur fragen, sondern auch antworten." Von genau dieser Klarheit ist auch Jörg Schönbohm sehr angetan, der Innenminister von Brandenburg. "Rundherum eine gelungene Vorstellung", urteilt er.

Auch der Grandseigneur der Diplomaten in Berlin, Italiens hoch angesehener Botschafter Antonio Puri Purini, ist begeistert: "Wir alle hier haben in der Rede von Biden einen neuen Ansatz gespürt. Ich habe mit vielen Teilnehmern gesprochen, und alle waren sehr zufrieden."

EU-Außenpolitikchef Javier Solana sagt, Biden habe "gute Ideen geliefert, wie wir mit der russischen Seite umgehen sollen: nämlich konstruktiv". Horst Seehofer lobt gegenüber der Hamburger Zeitung die "klaren Ziele" Bidens und findet auch gut: "Wenn nichts passiert - dann machen sie es eben selber." Bidens Rede stehe für einen Neuanfang, meint auch er. "Das ist eine Politik, die im Grunde viele Dinge neu bewertet." Dass Seehofer sich sichtlich gut versteht mit dem US-Vizepräsidenten, erklärt er so: "Ich glaube, das verdanke ich München. Denn Biden hat mehrfach erklärt, das er sich in München immer sehr wohlfühlt."

Der Historiker Michael Stürmer findet - wie auch andere Teilnehmer - "hochinteressant, was gesagt wurde. Aber auch das, was nicht gesagt wurde: Biden hat weder die Ukraine noch Georgien erwähnt." Mit beiden hat Russland ja Probleme.

Auf die Frage des Abendblatts, ob dies darauf hindeute, dass die neue US-Administration bereit sei, stärker auf russische Sicherheitsinteressen Rücksicht zu nehmen, meint Steinmeier: "Die Schlüsselstelle in Bidens Rede war jene, in der er vom 'Reset-Knopf' sprach, der zu finden sei in den amerikanisch-russischen Beziehungen. Insofern würde ich vermuten, dass dahinter die Überlegung steckt, zunächst Initiativen zu ergreifen, um das in den letzten Jahren hoch angespannte Verhältnis zu entspannen. Und nicht Fragen nach vorne zu schieben, die eher zu weiteren Anspannungen beitragen."