Landwirtschaftsministerin Ilse Aigner fordert Kurswechsel in der Fischereipolitik und wirbt für Nachhaltigkeitssiegel bei Meeresprodukten.

Berlin. Das Meer wird leer. So schlicht ließe sich die Prognose für die Zukunft der weltweiten Fischbestände zusammenfassen, wenn man es auf die Spitze treiben wollte: 84 Prozent der Bestände im Mittelmeer gelten als überfischt und 62 Prozent der Bestände im Atlantik. Ein Drittel der Oberfläche der gesamten Weltmeere wird nach einer neuen Studie des WWF so intensiv übernutzt, dass die Ökosysteme dort bereits stark geschädigt sind. Sollte der Fischfang nicht eingeschränkt werden, könnte bis 2050 die kommerzielle Fischerei weltweit erledigt sein, befürchtet die Naturschutzorganisation. Aal, Lachs, Makrele, Kabeljau, Thunfisch oder Ostsee-Zander gelten schon jetzt in vielen Regionen als massiv bedroht.

Besonders die EU steht bei diesem Thema im Fokus. Nirgendwo sonst auf der Welt werden die Meere derart ausgebeutet wie in europäischen Gewässern. Drei Viertel der wirtschaftlich genutzten Fischbestände gelten hier als überfischt. Zwar gibt es seit vielen Jahren Fangquoten - doch die haben nicht viel genützt. Geplant ist deshalb jetzt die größte EU-Fischereireform seit Jahrzehnten. Der Natur zuliebe, aber auch aus wirtschaftlichen Gründen: Berechnungen der Weltbank zufolge gehen der Weltwirtschaft aufgrund der Überfischung jährlich 35 Milliarden Euro verloren.

Morgen trifft sich hierfür in Luxemburg der EU-Fischereirat. Unter Leitung der dänischen Ratspräsidentschaft sollen die EU-Landwirtschafts- und Fischereiminister sich auf eine gemeinsame Basis für die anstehende Reform einigen. "Es darf in der Fischereipolitik keine halbherzigen Formelkompromisse mehr geben. Die Zeit drängt. Angesichts der Überfischung der Meere brauchen wir einen grundlegenden Kurswechsel", sagte Bundeslandwirtschaftsministerin Ilse Aigner (CSU) dem Abendblatt.

Bereits im Juli 2011 hatte die EU-Fischereikommissarin Maria Damanaki einen Vorschlag für die Reform vorgelegt. Vor allem zwei Aspekte bilden dabei den Schwerpunkt: Zum einen soll für jeden Fisch eine größtmögliche jährliche Fangmenge festgelegt werden, ohne dass die Art gefährdet wird. Zum anderen soll ein Rückwurfverbot des sogenannten unerwünschten Beifangs ausgesprochen werden. Derzeit wird Schätzungen zufolge etwa ein Viertel der gefangenen Meerestiere, darunter oft Jungfische oder andere erwachsene Tiere, für die das Schiff keine Quote hat, tot oder verletzt wieder über Bord geworfen. Auch das ist ein Grund, warum die bisherigen Fangquoten versagt haben: Gezählt wird nur, was am Ende auch in den Hafen gelangt. Umweltschützern sind dabei die großen Fischtrawler ein Dorn im Auge, die mit ihren Grundschleppnetzen den Meeresboden umpflügen und in manchen Fällen sogar die Hälfte des Fanges wieder zurück ins Wasser kippen.

Doch bei beiden Punkten könnte die Regelung wohl lascher ausfallen, als von Damanaki 2011 veranschlagt. Vor allem das Rückwurfverbot ist umstritten. Fischerei-Nationen wie Frankreich, Spanien oder Portugal geht ein grundsätzliches Verbot zu weit. Unklar ist deshalb jetzt, ab wann ein Verbot für welche Fischereien gelten soll, wie mit dem Beifang umgegangen wird und ob es Ausnahmen geben könnte. Beobachter glauben, dass hier der größte Knackpunkt für die Runde am Dienstag liegen wird. "Wir müssen jetzt nachhaltig handeln und die Reform der Fischereipolitik umsetzen. Ansonsten verlieren wir zehn Jahre", sagte Damanaki dem Abendblatt. Sie fordert, nicht nur einen klaren Stichtag für die Rückwurfverbote festzulegen, sondern auch die Festlegung einer größtmöglichen jährlichen Fangmenge per Stichtag in der EU umzusetzen.

Doch auch hier wird es auf einen Kompromiss hinauslaufen. Damanaki hatte ursprünglich gefordert, die Fischbestände spätestens 2015 nicht mehr über ihre natürliche Reproduktionsfähigkeit hinaus auszubeuten. Der Widerstand ist jedoch groß, das Datum kann jetzt nicht mehr für alle Fischbestände eingehalten werden. Ob dann 2020 als zweite Zielmarke festgesetzt wird, hängt von den Verhandlungen ab. Die Debatte im Fischereirat werde "sicherlich kein Selbstläufer, was die konsequente Durchsetzung des Nachhaltigkeitsziels angeht", warnte Aigner. Wie das Abendblatt aus Verhandlungskreisen erfuhr, will Deutschland jedoch nicht von den ehrgeizigen Bestimmungen für mehr Nachhaltigkeit ablassen. Die stärkste Position hat die Bundesrepublik dabei allerdings nicht: Der deutsche Anteil an den Gesamtfangmengen in der EU liegt bei rund fünf Prozent - also nur an siebter Stelle. "Wir müssen das Nachhaltigkeitsziel in den Mittelpunkt stellen und endlich Schluss machen mit der unverantwortlichen Verschwendung unserer wertvollen Meeres-Ressourcen", forderte Aigner. "Wir tragen die Verantwortung dafür, die Fischbestände in den Weltmeeren als eine der wichtigsten Nahrungsquellen der Menschheit auch für kommende Generationen zu erhalten." Was man jetzt dringend brauche, sei ein modernes Fischereimanagement, um unerwünschte Beifänge so weit wie möglich zu vermeiden und Rückwürfe zu verbieten, fügte sie hinzu.

Der Balanceakt ist dabei, sowohl den Fisch als auch die Fischer im Auge zu behalten. In Europa hängen rund 400 000 Arbeitsplätze an der Fischerei; weltweit sind Schätzungen zufolge sogar eine halbe Milliarde Menschendirekt oder indirekt vom Fischfangabhängig. Für drei Milliarden ist Fisch zudem ein Grundpfeiler der täglichen Ernährung. Es ist also die Hälfte der Weltbevölkerung, die unter der Reduktion der Fischbestände leidet. Zuchtfisch aus Aquakulturen ist dabei noch keine ausgereifte Lösung. Das Hauptfuttermittel ist hier nämlich Fischmehl, das aus in den Meeren gefangenem Wildfisch produziert wird.

Um dem Verbraucher Sicherheit zu geben, welchen Fisch er ohne Bedenken kaufen kann, fordert Aigner ein aufEU-Ebene verbindliches Nachhaltigkeitssiegel. "Ich möchte, dass die Verbraucher, die sich bewusst für nachhaltig gefangenen Fisch entscheiden, auch sichergehen können, damit einen wirklichen Beitrag zur Gesundung der Fischbestände zu leisten." Für die Nachhaltigkeitssiegel sei ein verlässlicher Rechtsrahmen auf EU-Ebene dringend notwendig, um möglichen Missbrauch zu verhindern. Deshalb müssten jetzt rechtlich verbindliche Mindestkriterien festgelegt werden.