Der Oberbürgermeister von Hannover, Stephan Weil, will im Januar 2013 Niedersachsen zurückerobern. Er setzt auf Pragmatismus.

Berlin. Wer sind schon Gabriel, Steinmeier und Steinbrück? Sie wollen Kanzler werden, aber jeder Einzelne konnte noch nie eine Wahl gewinnen. Diese sogenannte Troika löst kaum Begeisterung aus. Aber es gibt noch eine zweite Troika in der SPD. Eine, die bewiesen hat, dass sie Wahlen gewinnen kann. Eine, deren Mitglieder sich keine Sorgen über ihre Kompetenzwerte machen müssen. Eine, die Begeisterung auslöst. Die Rede ist von den drei Oberbürgermeistern Torsten Albig aus Kiel, Stephan Weil aus Hannover und Christian Ude aus München. Die drei Kommunalpolitiker sind die neuen Hoffnungsträger der SPD in den Ländern.

Albig soll in Kürze vom neuen schleswig-holsteinischen Landtag zum Ministerpräsidenten gewählt werden. Ude will im kommenden Jahr die bayerische Sensation schaffen und Horst Seehofers CSU in die Opposition schicken. Und dann ist da Stephan Weil. Ende Januar 2013 will er Ministerpräsident von Niedersachsen werden, David McAllister ablösen und das Land zurückerobern, das der heutige SPD-Chef Sigmar Gabriel 2003 verlor. Umfragen rechnen ihm dabei gute Chancen aus.

Ein Café in Berlin. Der Oberbürgermeister von Hannover ist mal wieder in der Hauptstadt, Werbung machen: für sich, für das Projekt Regierungswechsel, für seine Landespartei, die er seit Kurzem führt. Es ist warm im Café, das Sakko ist ausgezogen, Weil trinkt reichlich Wasser. Seine Wangen sind gerötet. Er sagt: "Ich bin kein Sprinter, sondern ein Langstreckenläufer. Was die Wahl betrifft, habe ich 4000 von 10 000 Metern zurückgelegt." Das sei die Phase, in der man seinen Rhythmus gefunden haben müsse, aber auch genügend Kräfte für den Endspurt aufsparen müsse.

Der 53-jährige Familienvater glaubt, seinen Rhythmus gefunden zu haben. "Es ist kein Zufall, dass in der SPD starke Oberbürgermeister an Einfluss gewinnen", stellt er fest. "Alle Oberbürgermeister haben bewiesen, dass sie Wahlen gewinnen können." Ude, Albig und Weil - "das sind momentan die drei kommunalen Musketiere". Lange hätten die drei gemeckert und eine andere Politik gefordert. "Jetzt dürfen wir uns nicht beschweren, dass wir in die Pflicht genommen werden."

Das klingt alles sehr selbstbewusst. Dabei tritt Weil eher zurückhaltend auf. Die Körpersprache ist dezent, die Stimme weich. Er kann zuhören. Man sieht ihm seine Härte nicht an, mit der er 2011 gegen den damaligen Landeschef Olaf Lies antrat, um ihm die Spitzenkandidatur für die Landtagswahl streitig zu machen. Weil siegte. Er hätte sich nicht mehr im Spiegel anschauen mögen, hätte er nicht kandidiert, sagt er. Weil ist überzeugt, dass er "kraft meines Amtes bürgernah" ist. Er blicke aus kommunaler Sicht auf die Gesellschaft. "Wer als OB nicht pragmatisch, kompetent und durchsetzungsstark ist, hat keine Chance in so einem Amt."

Der Jurist wird dennoch eine Strategie brauchen, um McAllister schlagen zu können. Ein echtes Aufregerthema für den Wahlkampf hat er nicht erkannt. "Aber immer mehr Menschen machen sich Sorgen, wie es mit ihnen weitergeht, weil sie eine Phase des Stillstands erleben." Niedersachsen habe die niedrigste Geburtenrate aller Bundesländer, rechnet Weil vor. Und es herrsche eine große Distanz zwischen der Landesregierung und den Regionen. Sein Rezept: "Ich werde einen sehr regionalen Wahlkampf führen."

Dieser soll zudem an den von Olaf Scholz in Hamburg erinnern. "Ich bin wie Olaf Scholz bekennender Pragmatiker. Er hat in seinem Wahlkampf die Sorgen der Wirtschaft sehr ernst genommen." Das werde er auch tun, verspricht Weil. Noch mehr schaut er sich beim Hamburger Bürgermeister ab: "Ich werde einen Wahlkampf ohne Versprechen führen. Die Menschen haben eine Aversion gegen Politiker, die Versprechen brechen." Er sage lieber, dass er hart für eine Sache kämpfen wolle.

Auch privat fühlt er sich Hamburg nahe. 1958 im Krankenhaus Tabea in Klein Flottbek geboren, wuchs Weil in der Hölderlinstraße auf: bürgerliche Verhältnisse, der Vater als Ingenieur bei Erdgasunternehmen beschäftigt, die Mutter sehr politisch, links ohne Parteibuch. 1963 nimmt der Vater eine Stelle in München an, zwei Jahre danach in Hannover. Die Familie wird sesshaft. Aber Weil bleibt "Hamburg-Fan", wie er sagt. "Wann immer ich in die Stadt komme, habe ich ein gutes Gefühl." In den kommenden Monaten wird er kaum Zeit für die Stadt haben.