Cécile Lecomte ist leidenschaftliche Demonstrantin, riskiert dafür viel. Richtig so, findet Ive Hauswald und unterstützt sie finanziell.

Cécile Lecomte schmiss ihren Job als Lehrerin und klettert auf Bäume, um zu protestieren. Dafür riskiert sie viel. Richtig so, findet Ive Hauswald. Er will seine bürgerliche Existenz nicht verlieren. Dafür unterstützt er die Aktivistin als Sponsor.

Zum Beispiel die Aktion beim Castor-Transport. Die Polizei bewacht die Schienen, aber nicht die Luft. Cécile Lecomte steht oben auf der Fuldatalbrücke, sie weiß, dass es 70 Meter in die Tiefe geht, unter ihr die Gleise. Der Strahl ihrer Taschenlampe verliert sich irgendwo in der Nacht. Es regnet, der Wind zerrt an ihrer Kletter-Kleidung. Und dennoch seilt sie sich ab; schwebt acht Meter über den Gleisen, kopfüber, enthüllt ihr Plakat: "Castor stoppen". Und dann steht der Castor, die Polizei hält ihn an. Wegen Cécile Lecomte.

"Lustig, oder?" Cécile Lecomte kichert heute noch, wenn sie von ihrer Aktion aus dem Jahr 2010 erzählt. In solchen Momenten wirkt die zierliche 30-Jährige mit den strubbeligen Haaren wie ein freches kleines Kind.

Cécile Lecomte lebt in einem Bauwagen am Stadtrand von Lüneburg, der Strom kommt von einer kleinen Solaranlage, im Winter heizt sie mit ihrem Holzofen. 23 Erwachsene und vier Kinder leben in der Siedlung, sie teilen sich eine Dusche und eine Waschmaschine, es soll ein Leben ohne Fundament sein. Von hier aus bricht Cécile Lecomte auf zu ihren Aktionen in ganz Deutschland. Und kehrt zurück, mit blauen Flecken, Bußgeldbescheiden und Vorstrafen. Sie hat ihre bürgerliche Existenz aufgegeben. Das gehört zu ihrem Beruf. "Ich bin Aktions-Kletterkünstlerin und Bewegungsarbeiterin", sagt sie. Wenn sie auf die Bäume klettert, kopfüber herunterhängt, den Spagat macht, rufen manche Passanten: "Geh doch arbeiten!" Sie antwortet dann, dass sie doch gerade auf Arbeit sei.

Ive Hauswald wohnt in einem Gartenhaus in einem Hinterhof von Eilbek. Ein verschlungener Pfad führt zu ihm. Die Sonne scheint, die Vögel zwitschern, Hauswald bittet in den Wintergarten. Vor wenigen Tagen hat er die Pflanzen raus in seinen Garten gestellt, damit sie blühen können. "Cécile kann etwas, was ich nicht kann. Und wenn ich es könnte, wüsste ich nicht, ob ich es mich trauen würde." Ive Hauswald hat eine sanfte Stimme.

+++ Die Bewegungsstiftung +++

Er ist 71 Jahre alt und seit sechs Jahren in Pension. Früher war er Lehrer am Gymnasium, unterrichtete Deutsch und Religion.

Vor drei Jahren hat Ive Hauswald 10 000 Euro an eine Stiftung gegeben, die mit dem Geld Proteste fördert: die Bewegungsstiftung. Seitdem zahlt er darüber hinaus pro Jahr 2700 Euro an fünf Paten, eine davon ist Cécile Lecomte. Sie soll damit die Welt verändern, hauptberuflich. Sein Auto hat Ive Hauswald schon lange verkauft, zusammen mit seiner Frau führt er ein bescheidenes Leben. Vom Lehrergehalt blieb immer etwas übrig. "Ich möchte das nicht alles meiner Tochter vererben. Ich finde, dass andere es noch nötiger brauchen. Leute wie Cécile."

Cécile Lecomte wurde im französischen Epinal geboren. Ihre Eltern trennten sich, da war sie noch klein. Ihre Mutter, eine Lehrerin, war gegen Atomkraft und Aufrüstung. Und sie war Bergsteigerin. Cécile wurde französische Meisterin im Sport-Klettern. Sie studierte Außenwirtschaft und Fremdsprachen, ihr Auslandsjahr führte sie nach Bayreuth. Lehrerin sein, das gefiel ihr, und so studierte sie in Deutschland Französisch auf Lehramt. Ihren ersten Job suchte sie sich in Lüneburg. Weil Gorleben nicht weit von hier ist.

Ive Hauswald geht seit den 70er-Jahren auf Demos. Er war in Brokdorf, Kalkar, Bonn, Gorleben. Er reiste mit einer Lehrergruppe nach Nicaragua, gründete an seiner Schule eine Eine-Welt-Gruppe. "Ich bekenne gern Farbe, gehe auf Demonstrationen, spreche auch mit Polizisten über ihre Einstellung und ihren Einsatz und versuche, meinen Standpunkt zu erklären. Aber was Cécile tut, ist einfach mutiger. Und auch in einem Grade konsequent, wie ich es nie in meinem Leben gewesen bin. Ich habe eine bürgerliche Existenz", sagt Hauswald.

Cécile Lecomte arbeitete zuletzt an einer Waldorfschule. Doch auf Bäume klettern und Polizisten ärgern - das fand ihr Schulleiter nicht gut. Und dann ist da noch ihre Krankheit, Polyarthritis, chronische Gicht. Ihre Gelenke sind entzündet, manchmal kann sie nicht mal ein Marmeladenglas öffnen. Sie trägt Bandagen, muss häufig für Wochen in Behandlung. Klettern fällt ihr leichter als Gehen, es kommt nur auf die Technik an.

Vor vier Jahren hat sie sich bei der Bewegungsstiftung beworben. Etwa 30 Paten wie Ive Hauswald zahlen mittlerweile Geld an sie. Darunter: ein Arzt, ein Anwalt, ein Informatiker, ein Gewerkschafter. Sie haben entweder keine Zeit, selbst zu protestieren, oder keine Lust, Ärger mit der Polizei zu bekommen. Im Monat bekommt Cécile Lecomte 800 Euro. Das reicht, sagt sie.

Sie zeigt ein Foto aus dem Jahr 2008. Es ist nachts aufgenommen, Lecomte hängt kopfüber über einem Bahngleis. "Das war bei Steinfurt in Nordrhein-Westfalen, ich hing da sechs Stunden", sagt sie. Material aus der Uran-Anreicherungsanlage Gronau sollte in Richtung Russland gebracht werden - die Kletterkünstlerin hielt den Zug auf. Es gibt auch Fotos aus dem August 2010, Lecomte hat auf dem Stuttgarter Bahnhof einen Abrissbagger erklommen und hält ein Transparent hoch, "S21 stoppen". Die Aktion schaffte es in viele Zeitungen, ins Radio, ins Fernsehen. Das sind ihre Erfolge - gesehen zu werden, in den Medien zu sein. Dafür arbeitet sie viel: Von vier Aktionen klappt vielleicht eine, sagt sie.

Am Ende dieser Aktionen wird Cécile Lecomte von den Einsatzkräften heruntergeholt. Gut sei es, wenn die Bundespolizei anrückt, die verfüge über geschulte Kletterer. Schlecht sei es, wenn das SEK kommt, "die verdrehen die Gelenkte und kappen Seile".

Auch die Polizei ist auf Lecomtes Einsatz vorbereitet. Sie zeigt ein Schreiben. Darin teilt ihr die Polizeiinspektion Lüneburg mit, dass von ihr "personenbezogene Daten mit besonderen Mitteln oder Methoden" erhoben worden seien. Lecomte hat nach diesem Brief vor Gericht die Herausgabe von Akten erstritten. Darin steht, dass die Polizisten sie genau beobachten: dass Lecomte ein "weißes Damenfahrrad" benutzt, dass sie einen "Besuch der Drogerie Rossmann" macht, wann sie ihren Bauwagen verlässt, wann sie zurückkehrt. "Ziel der Maßnahme ist die Erhebung von Informationen zum persönlichen Umfeld der Cécile Lecomte, benutzte Fahrzeuge/Transportmittel, Kontaktpersonen sowie die Feststellung von potenziellen Mittätern, Treff-orten zur Verhinderung der Begehung von Straftaten von erheblicher Bedeutung", so die Begründung.

2008 wurde Cécile Lecomte in "Präventivgewahrsam" genommen, der Castor sollte wieder rollen. Lecomte wurde in einen Keller gesperrt. Vier Tage lang, bis sie aus gesundheitlichen Gründen freigelassen wurde. Noch heute kommen die Erinnerungen häufig zurück, das grelle Licht, die weißen Kacheln, die schlaflosen Nächte.

Cécile Lecomte hat Angst davor, dass sie wieder weggesperrt werden kann, aus welchem Grund auch immer. Sie glaubt, dass ihr Telefon abgehört wird. Wenn Polizisten sie festnehmen, dann kann es vorkommen, dass sie hyperventiliert. Mehrmals nach Aktionen musste sie schon ins Krankenhaus.

Ist es das wert? "Die Gefahren, die mit der Atomkraft einhergehen, sind deutlich größer. Ich will mich nicht schuldig fühlen. Mir würde es nicht besser gehen, wenn ich zusehen würde", sagt sie. Sie sei mit den Jahren zwar vorsichtiger geworden. Aber überzeugter.

In seinem Wintergarten erzählt Ive Hauswald, wie er damals vor dem Kernkraftwerk in Kalkar am Niederrhein eine Phalanx von Polizisten durchschritt, die Beamten zückten ihre Maschinenpistolen, "als wäre ich ein Verbrecher". Er wollte etwas tun, aufrütteln. Und dann lernte er Cécile Lecomte kennen. "Wenn ich den Protest auf die Straße trage, ist das ein relativ abgenutztes Protestmittel", sagt er, "da gucken die Leute kaum noch hin. Bei den spektakulären Aktionen von Cécile hingegen schon. Mit dem Hinschauen kommt auch die Beschäftigung mit den Fragen, warum eine junge Frau so etwas tut."

Und dass Cécile Lecomte Gesetze bricht? "Sofern es nicht gegen Personen geht, habe ich keine Probleme damit. Das Erklettern eines Krans ist keine Sachbeschädigung für mich."

Hauswald bekommt Berichte über Lecomtes Arbeit. Einmal im Jahr begegnet er ihr auf einem Strategietreffen. Bei Aktionen hat er sie noch nie begleitet. Privat haben sie sich noch nicht getroffen. "Sie ist von Freunden umgeben und braucht meinen Besuch nicht."

Als Cécile Lecomtes Mutter ihre Tochter besuchte, war sie verstört über das karge Leben im Bauwagen. Sie versteht auch nicht, warum ihre Tochter auf Bäume klettert. Und das, obwohl sie ihre Ansichten grundsätzlich teilt. "Wir haben nicht viel Austausch", sagt Cécile Lecomte. Ihr Freund lebt in Darmstadt, er ist Ingenieur. Sie sagt, dass er sie unterstützt, auch wenn er an seiner bürgerlichen Existenz festhält.

Lecomte klettert nicht nur, sie bringt auch anderen das Klettern bei. Sie hält Vorträge, reist viel herum, auch zu Gerichtsterminen. Dort stellt sie dann viele Anträge. Weil sie sich mit der Eisenbahn-Bau- und Betriebsordnung auskennt und weiß, wie viel Abstand sie in der Höhe halten muss, um keine Ordnungswidrigkeit zu begehen. Die Gesetze sind häufig für den Boden gemacht, aber nicht für die Luft, in der Cécile Lecomte schwebt. Sie sagt, sie sei lieber oben als unten. "Ich habe keine Höhenangst. Ich habe Bodenangst." Die Richter sagen ihr häufig, dass sie nervt.

Auch in Hamburg war Cécile Lecomte schon aktiv. Sie protestierte gegen den von Vattenfall geplanten Bau einer Fernwärmeleitung vom Kohlekraftwerk Moorburg nach Altona. 400 Bäume sollten weichen. Im Dezember 2009 zogen die Aktivisten in die Bäume des Gählerparks, schliefen dort in Baumhäusern, bei Minusgraden. Die Anwohner brachten Kaffee und Kuchen. Im Februar 2010 stoppte das Oberverwaltungsgericht den Bau der Trasse. "Hamburg war sehr schön", sagt Cécile Lecomte. Es war das erste Mal, dass sie freiwillig von einem Baum herunterkam.