Nordrhein-Westfalens Ministerpräsidentin steuert wieder auf eine rot-grüne Koalition zu. Jetzt fordert sie einen Aufbau West.

Hamburg/Düsseldorf. Bei so vielen angeschlagenen Männern kann Hannelore Kraft eigentlich nur gut aussehen. Nordrhein-Westfalens Ministerpräsidentin versammelt heute Abend zum Wahlkampfabschluss in Bochum die gesamte SPD-Spitze um sich. Das Stammland der Sozialdemokraten soll nach der Wahl am Sonntag wieder rot-grün werden - und diesmal mit einer stabilen Mehrheit. Die "Troika" mit Frank-Walter Steinmeier (Fraktionschef), Sigmar Gabriel (Parteichef) und Peer Steinbrück (Chefdenker) bildet mit den Regierungschefs Matthias Platzeck (Brandenburg) und Klaus Wowereit (Berlin) bloß die Kulisse für den letzten Kraftakt in dieser kurzen, aber heftigen Kampagne.

Während Kraft auf einen Sieg zusteuert, tragen die prominenten Sozialdemokraten alle an ihrer Last: Die Troika an der ungelösten Frage, wer 2013 Kanzlerkandidat werden soll, Platzeck und Wowereit an einem in den märkischen Sand gesetzten Flughafen, der erst öffnet, wenn die TÜV-Plakette klebt. Und Kraft? Die könnte Kanzlerkandidatin, will aber nicht.

Aus ihrem Umfeld verlautete, dass sich die bodenständige Frau aus Mülheim an der Ruhr in keinem Fall nach Berlin in die Bundespolitik absetzen will. Dabei fuhr sie beispielsweise als SPD-Vize beim letzten Parteitag das beste Ergebnis ein. Als Bundesratspräsidentin hatte sie ebenfalls neue Aufmerksamkeit gewonnen. Zumindest, sagte ein Kraft-Vertrauter dem Abendblatt, werde sie sich bis nach der Bundestagswahl nicht einmal mit dem Thema Berlin beschäftigen.

Mit dem Prinzip "klare Kante" fährt die Ministerpräsidentin gut. Ihr Hauptkonkurrent, Bundesumweltminister Norbert Röttgen (CDU), laviert gerade zwischen den Karrieren in NRW und im Bund. Im Wahlkampf nach dem plötzlichen Auflösen des Düsseldorfer Parlaments wegen des Haushaltsstreits haben Politikinhalte kaum eine Rolle gespielt. Der Streit um die Gymnasien ist vorerst befriedet. Die Energiepolitik schwelt vor sich hin, das tut sie aber im Bund auch. Bei Kitas und Betreuungsgeld ist die Union in der Erklärschuld. Und was die katastrophale Kassenlage angeht, hat Kraft die Offensive als ihr Heil entdeckt.

Der Bundesverkehrsminister solle mehr Geld für Rhein und Ruhr lockermachen. "In den Westen investieren" ist das Kraft-Motto. Straßen, Schienen, Gebäude - die Bundesregierung müsse die Bedeutung von NRW als Wirtschaftsregion verstehen. "Es kann doch nicht sein, dass Bayern über weniger Bahnhöfe verfügt als NRW, prozentual aber mehr umgebaut bekommt. Wo ist da die Gerechtigkeit? Es muss nach Bedürftigkeit gehen, und nicht nach Himmelsrichtung", sagte Kraft in dieser letzten Wahlkampfwoche.

Die letzten Umfragen sehen die SPD bei etwa 37 bis 38 Prozent, die CDU bei gut 30 Prozent. 2010 hatten SPD und CDU 34,5 und 34,6 Prozent. Die Grünen liegen in den Prognosen bei zwölf, die Piraten bei 8,5, die FDP bei 6 Prozent. Das deutet auf Rot-Grün hin. Doch unwägbar für Kraft und ihre grüne Partnerin Sylvia Löhrmann, die sie vor zwei Jahren praktisch in die Minderheitsregierung hineingedrängt hatte, sind die Nichtwähler. Wie zuletzt in Schleswig-Holstein können sie den Ausschlag für oder gegen eine Zweier- oder Dreierkoalition geben.

Und die Piratenanhänger, die vor allem in den großen Uni-Städten sitzen, machen kein Stimmensplitting. Das heißt, sie geben nicht SPD oder CDU die Erststimme, damit der zweitliebste Kandidat sicher den Wahlkreis holt, und wählen mit der Zweitstimme dann die von ihnen favorisierte Internet-Partei. Dadurch können sicher geglaubte Wahlkreise verloren gehen.

Ein bisschen fürchtet Kraft auch die wiedererstarkte FDP mit Christian Lindner. Dem werden viele Stimmen aus der CDU-Klientel zufliegen, die mit Röttgen unzufrieden ist. Lindner hat ein Ampel-Bündnis mit SPD und Grünen ausgeschlossen. Doch gilt das auch nach der Wahl? Ziehen die bundesweit daniederliegenden Liberalen mit ihm in den Landtag, kann er sich auch wieder für Berlin empfehlen und den Aufbau NRW anderen anvertrauen. Die Grünen können sich mit Lindner kein Bündnis vorstellen.

Eine Koalition mit der CDU ist für Kraft nach Einschätzung ihrer Vertrauten nicht machbar. "In Großen Koalitionen verliert immer die SPD", heißt es in Düsseldorf. Und mit Röttgen als Juniorpartner ginge das ohnehin nicht. So sehr das Kraft-Lager über Röttgen spottet ("Der funktioniert hier überhaupt nicht") und ihm schon eine Bahnfahrkarte Düsseldorf-Berlin bereitgestellt hat, so bleibt doch eine Prise Spannung, ob die Wähler tatsächlich wie hochgerechnet abstimmen.

Während Hannelore Kraft gestern noch in Soest, Hagen, Witten und Iserlohn Lokaltermine machte, mokiert sich die CDU über mögliche Gefälligkeiten, die die Landesregierung an vermeintlich willfährige Helfer vergeben hat. CDU-Fraktionschef Karl-Josef Laumann will noch bis heute Fragen beantwortet haben, ob Krafts Regierung als Gegenleistung für anonyme Internetkritik am damaligen Ministerpräsidenten Jürgen Rüttgers (CDU) im Jahr 2010 später Aufträge an die Agentur eines früheren Journalisten vergeben habe. CDU-Generalsekretär Oliver Wittke sprach von einem "ungeheuerlichen Vorgang".

Ein Regierungssprecher sagte, die Aufträge seien rechtmäßig ausgeschrieben und vergeben worden. Reicht das, um an Krafts Image zu kratzen?