Die Bundesregierung einigt sich auf eine Frist für den Atomausstieg. Kritik kommt aus der Branche der erneuerbaren Energien

Berlin. Ein halbes Jahr nach den AKW-Laufzeitverlängerungen haben Union und FDP ihre komplette Kehrtwende in der Atompolitik besiegelt. Die wichtigsten Fragen und Antworten:

Was empfiehlt die Ethikkommission?

Die Kommission unter Leitung des ehemaligen Bundesumweltministers Klaus Töpfer (CDU) kommt zu dem Schluss, der Atomausstieg sei ethisch geboten und innerhalb eines Jahrzehnts (also bis 2021) machbar. Nach Ansicht der Kommissionsmitglieder sollen die acht bislang stillgelegten Atomkraftwerke vom Netz bleiben und können problemlos ersetzt werden. Atommüll soll rückholbar eingelagert werden, deswegen sollen auch andere Standorte als Gorleben erkundet werden. Die Empfehlungen des Gremiums seien Richtschnur für die Entscheidungen der Koalition gewesen, sagte Merkel in Berlin.

Entspricht der Beschluss des Koalitionsausschusses von CDU, CSU und FDP den Kommissionsempfehlungen?

Nicht ganz: Nach den Plänen der Koalition könnte ein älteres Kraftwerk für zwei Jahre als Reserve bereitgehalten werden, um die Gefahr eines Stromausfalls in Süddeutschland zu bannen. Sechs weitere Meiler sollten bis spätestens 2021 vom Netz gehen, die drei neuesten AKW dann 2022. Die Regierung hält bis 2020 einen Zubau von weiteren zehn Gigawatt an Kraftwerksleistung für notwendig. Durch ein Planungsbeschleunigungsgesetz sollen rasch neue Gas- und Kohlekraftwerke errichtet werden können. Auch beim Netzausbau sollen Planungsverfahren beschleunigt werden. Ökoenergien, gerade Windkraft vor den Küsten, sollen durch Milliardeninvestitionen schneller ausgebaut werden.

Was hat es mit dem vorgesehenen Reservekraftwerk auf sich?

Im Gespräch für den "Stand by"-Modus bis 2013 sind Biblis B in Hessen oder Philippsburg I in Baden-Württemberg. Kanzlerin Merkel betonte aber, am liebsten wolle man als Reservekraftwerke Kohle- oder Gaskraftwerke nutzen. Definitiv stillgelegt werden sollen laut Koalition Isar I, Neckarwestheim I, Biblis A, Brunsbüttel, Unterweser und Krümmel. Die übrigen, nach 1980 gebauten AKW sollen bis 2021 abgeschaltet werden. Die drei Meiler Lingen, Neckarwestheim 2 und Isar 2 sollen aber bei Bedarf noch bis zum 31. Dezember 2022 Strom produzieren dürfen und einen Sicherheitspuffer bilden.

Wie leicht kann der Atomausstieg wieder rückgängig gemacht werden?

"Das späteste Ende für die letzten drei Atomkraftwerke ist 2022", betont Umweltminister Norbert Röttgen. Der Prozess sei unumkehrbar. "Es wird keine Revisionsklausel geben." Reststrommengenübertragungen von alten auf neue Meiler sollen zwar weiter möglich sein. Allerdings will Schwarz-Gelb den Versorgern durch AKW-Wartungen und Laufzeitübertragungen kein Hinausschieben des Enddatums nach 2022 erlauben.

Sind die Kraftwerke bis zum Abschalten überhaupt sicher?

Die Reaktorsicherheitskommission hatte in einem Sonderbericht vor der Fukushima-Katastrophe Mängel aufgezeigt. Offen ist, wie umfangreich die bis 2021/22 laufenden Meiler noch gegen mögliche Terroranschläge, Flugzeugabstürze oder Naturkatastrophen nachgerüstet werden. Röttgen sagte aber, in den verbleibenden zehn Jahren Laufzeit werde es keinen Sicherheitsrabatt geben. Sicherheit gelte bis zur letzten Stunde Atomstrom.

Was bedeuten die Entschlüsse für die Wirtschaft?

Die Energiekonzerne sollen weiterhin wie geplant die bis 2016 geltende Brennelementesteuer zahlen, die jährlich 2,3 Milliarden Euro in den Bundeshaushalt spülen sollte. Durch das Aus für die acht alten Kernkraftwerke verringern sich die Einnahmen auf etwa 1,3 Milliarden Euro. Nach dem Regierungspapier soll die energieintensive Industrie wie Stahl- und Aluminiumhersteller mit 500 Millionen Euro aus der Versteigerung von Emissionszertifikaten entlastet werden. Zudem soll das Gebäudesanierungsprogramm über 2012 hinaus mit 1,5 Milliarden Euro ausgestattet werden.

Was bedeutet das für die Produzenten erneuerbarer Energien?

Aktien von Herstellern der Windkraft- und Solarindustrie verzeichneten nach dem Beschluss zum Atomausstieg zum Teil große Kurssprünge. Allerdings verkündete Umweltminister Röttgen gestern auch, die Bundesregierung erwäge eine weitere Kürzung der Solarförderung im kommenden Jahr um sechs Prozent. Im Gegenzug könnten Solaranlagen auf mehr Freiflächen als bislang erlaubt gebaut werden. Der Präsident des Bundesverbandes Erneuerbarer Energien, Dietmar Schütz, sagte dem Abendblatt: "Anstatt ambitionierte Ziele für eine beschleunigte Energiewende zu formulieren, hält die Bundesregierung weiterhin an uralten Ausbaupfaden fest. Damit verhindert sie jeden schnelleren Umbau unserer Energieversorgung, den sie nach den tragischen Ereignissen von Fukushima zugesagt hatte." Die Bundesregierung müsse die Kürzungen zurücknehmen.

Wie geht das Gesetzgebungsverfahren nun weiter?

Bis Juli will die Regierung den Atomausstieg unter Dach und Fach bringen. Am 3. Juni trifft Merkel mit den Ministerpräsidenten zusammen und berät mit ihnen das Vorgehen beim Abschalten der Atomkraftwerke. Am 6. Juni entscheidet das Kabinett über das neue Atomgesetz, danach die Fraktionen. Am 9. Juni gibt es die erste Lesung des Pakets zum Atomausstieg und für eine beschleunigte Energiewende im Bundestag. Am 15. Juni endet das Atom-Moratorium, die Konzerne wollen aber bislang keine stillgelegten Meiler neu anfahren. Am 30. Juni kommt das Gesetz erneut in den Bundestag. Am 8. Juli wird es dem Bundesrat vorgelegt. Es soll schnellstmöglich in Kraft treten.