Parteivorsitzender fordert in Hamburg Urwahlen für Kandidaten

Hamburg. Zum ersten Mal seit gut 100 Jahren ist die SPD unter die Zahl von 500 000 Mitgliedern gerutscht. Das hat der Parteivorsitzende Sigmar Gabriel am Freitag bei einer Veranstaltung in Hamburg mitgeteilt. Gabriel sagte, auch die CDU sei längst unterhalb der Marke angekommen. Beim dramatischen Mitgliederschwund der SPD falle die Zahl der Todesfälle besonders ins Gewicht. Auch deshalb warb Gabriel vor dem Kreisverband Hamburg-Mitte dafür, die SPD umzukrempeln. So sprach er sich dafür aus, die Mitglieder stärker an der Auswahl des Kanzlerkandidaten per Urwahl zu beteiligen. Außerdem sollten auch Kandidaten für Bundestagsmandate direkter als bisher von der Basis bestimmt werden. "Die SPD-Mitglieder wollen beteiligt werden", so Gabriel. Das habe eine Umfrage unter den Ortsverbänden ergeben. Dennoch wollten zwei Drittel der Genossen nicht, dass auch Externe bei Personalfragen mitreden.

Gabriel und die SPD-Generalsekretärin Andrea Nahles wollen die Partei für Nicht-Mitglieder öffnen. Ihre Vorschläge seien aber noch nicht "in Stein gemeißelt", so Gabriel. Die SPD solle nicht nur ihr Programm "ins Schaufenster stellen", sondern die Bürger aktiv mitmachen lassen. Gabriel bemühte sogar das Motto des Ex-Kanzlers Willy Brandt ("Mehr Demokratie wagen"). Es müsse mehr Volksentscheide in Deutschland geben. "Alle vier, fünf Jahre ein Kreuzchen machen, das ist nicht der Gipfelpunkt der Demokratie."

Ausgerechnet in der Heimat des nüchternen Bürgermeisters Olaf Scholz gab sich Gabriel als Anti-Scholz: aufbrausend und beinahe aggressiv. Mit einem Rundumschlag gegen Angela Merkel und Guido Westerwelle geißelte er eine "unmenschliche" Politik der Bundesregierung. "Die da oben - wir hier unten, das ist das Gefühl vieler Menschen in Deutschland", so Gabriel. Die SPD müsse klarmachen, "dass wir einen Gestaltungswillen haben". Gabriel kritisierte den Umgang mit der Finanzmarktkrise, eine sich abzeichnende Zwei-Klassen-Medizin, Billiglöhne und die Rente mit 67. Gabriel kalauerte: "Ich möchte nicht von einer 67-jährigen Krankenschwester gehoben werden."

Der Wahlsieg in Bremen hat der SPD offenbar bundesweit einen Schub verschafft. Im ZDF-Politbarometer verbesserten sich die Sozialdemokraten um zwei Prozentpunkte auf 28 Prozent. Bitter für SPD-Chef Sigmar Gabriel: Als SPD-Kanzlerkandidaten sähen die Deutschen am liebsten Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier. 43 Prozent glauben, die SPD hätte mit Steinmeier die größten Chancen. Jeder Vierte (25 Prozent) meint, der ehemalige Finanzminister Peer Steinbrück wäre der beste SPD-Herausforderer von Kanzlerin Angela Merkel bei der nächsten Bundestagswahl 2013.