Schätzer erwarten Steuer-Plus in Höhe von 135 Milliarden Euro. Doch alle 16 Finanzminister wollen weiter sparen

Berlin/Hamburg. Die Summe ist enorm. 135 Milliarden Euro. Das können die zusätzlichen Einnahmen in die Staatskassen bis 2014 sein - selten haben die Steuerschätzer in ihrer mehr als 55 Jahre langen Geschichte höhere Zahlen verkündet. Doch die Euphorie ist gedämpft. Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) fasste es in nüchterne Worte: Die schwierige Haushaltslage sei weniger schwierig als vor einem Jahr.

Und deshalb warnte der CDU-Minister genauso wie die Haushaltspolitiker der schwarz-gelben Koalition davor, den Sparkurs nach Veröffentlichung der Steuerschätzung zu lockern. Schäuble verwies auf Milliarden-Risiken im Etat, etwa durch die Energiewende und bei den Einnahmen aus der Brennelementesteuer. Auch gebe es vorerst keine Einnahmen aus der geplanten internationalen Finanztransaktionssteuer.

Noch vor einem Jahr hatten die Schätzer Milliardenausfälle vorhergesagt. Der neue Geldsegen ist aber trügerisch. Zwar kann der Bund bis 2014 rund 66,4 Milliarden Euro zusätzliche Einnahmen erwarten. Doch sind bereits 53 Milliarden Euro fest verplant. Und bei aller Freude über die Prognosen geht unter, dass der Schuldenberg Deutschlands von rund zwei Billionen Euro - also 2 000 000 000 000 Euro - immer noch wächst.

Auch die Länderfinanzminister erteilten Ausgabensteigerungen eine Absage. Bayerns Finanzminister Georg Fahrenschon (CSU) will mit den erwarteten Steuermehreinnahmen vor allem Haushaltslöcher stopfen. Dennoch hält er auch Entlastungen der Bürger für möglich. "Die Steuerschätzung zeigt, dass Entlastungen der Bürger noch in dieser Wahlperiode möglich sind", sagte Fahrenschon dem Hamburger Abendblatt. Die Union sei mit dem Wahlversprechen angetreten, die Bürger um 15 Milliarden Euro Steuern zu entlasten. "Acht Milliarden Euro Erleichterungen hat es schon gegeben. Und wenn die Wirtschaft sich weiter so gut entwickelt, sehe ich die Koalition in der Pflicht, die anderen sieben Milliarden Euro anzugehen", hob Fahrenschon hervor. Denn Arbeitnehmer, Wirtschaft und Politik könnten stolz darauf sein, dass Deutschland mit Erfolg die Finanzkrise überwunden habe.

Fahrenschon ist neuer Vorsitzender der Finanzministerkonferenz. Die Ressortkollegen aus den Ländern wählten den Oberbayern gestern bei ihrer Jahreskonferenz in Hamburg.

In einem einstimmig von allen 16 Ländern gefassten Beschluss weisen die Ressortchefs darauf hin, dass sie bei der ab 2020 geltenden Schuldenbremse eine "entschlossene Unterstützung durch den Bund" erwarten. Zugleich erinnerten sie Berlin daran, "dass Entlastungsmaßnahmen für den Bundeshaushalt nicht zu negativen Rückwirkungen auf die Finanzen der Länder und Kommunen führen dürfen". So müsse etwa verhindert werden, dass die Energiewende zu einer einseitigen Belastung der Länderhaushalte werde. Außerdem müsse der Bund die Länder und Kommunen angemessen an seinen Sondereinnahmen etwa bei Lizenzvergaben beteiligen. Die Minister machten sich zudem für eine Harmonisierung der Unternehmensbesteuerung in Europa stark.

Im Einzelnen erwarten die Steuerschätzer für dieses Jahr ein Einnahmeplus von 17,6 Milliarden Euro im Vergleich zur November-Prognose. Für 2012 wird mit Mehreinnahmen für den Gesamtstaat von 21,4 Milliarden Euro gerechnet, 2013 mit 47,3 Milliarden Euro. 2014 dürfte das Steuerplus gegenüber der vergangenen Mai-Schätzung bei 49 Milliarden Euro liegen.

Die Steuerschätzung dient als Grundlage für die Aufstellung der öffentlichen Haushalte. Zu den Schätzern gehören 35 Vertreter aus den Finanzministerien von Bund und Ländern, der Bundesbank, von Forschungsinstituten, des Sachverständigenrats und des Statistischen Bundesamtes an. Sie sagen zweimal im Jahr die Einnahmen aller staatlichen Ebenen voraus.

Auch die Grünen lehnen Steuersenkungen trotz der vorhergesagten Mehreinnahmen ab. "Die nicht tot zu bekommende Zombieforderung der FDP nach Steuersenkungen bleibt so falsch, wie sie bisher war", sagte Fraktionsvize Fritz Kuhn. Man könne keine neuen "politischen Traumschlösser" bauen.

Doch auch die FDP warnt eindringlich vor neuen Ausgabenwünschen. Es sei "oberste Politikpflicht", den eingeschlagenen Konsolidierungsweg fortzusetzen, mahnte der FDP-Haushaltsexperte Otto Fricke. Wohin eine überbordende Verschuldung führe, könne man aktuell bei Griechenland erkennen.