Versorgung bleibt stabil. SPD: Ein Beweis für die Machbarkeit des schnellen Ausstiegs

Hamburg. Selten ist in Deutschland so wenig Atomstrom geflossen. Nur noch elf Prozent der gesamten Stromerzeugung werden laut "Bild" derzeit durch Kernenergie gedeckt. Zum Vergleich: Im Jahresdurchschnitt liefern deutsche Atomreaktoren rund 23 Prozent des Stroms. Zu Stromausfällen kam es bisher nicht.

Grund für die niedrige Menge an Atomstrom ist einerseits das Moratorium der Bundesregierung nach der Katastrophe von Fukushima: Sieben der ältesten Atomkraftwerke wurden für drei Monate abgeschaltet. Hinzu kommt, dass am 1. Mai drei weitere Reaktoren für Wartungsarbeiten heruntergefahren wurden. Auch Krümmel ist nach Pannen nicht am Netz. Das heißt: Derzeit liefern elf der 17 deutschen Atomkraftwerke keinen Strom.

Die Opposition begrüßte die Abschaltungen. Der stellvertretende Vorsitzende der SPD-Bundestagsfraktion, Ulrich Kelber, sagte dem Abendblatt: "Der niedrige Anteil an Atomstrom ohne jeden Stromausfall ist ein Zeichen, wie lächerlich die Behauptung der Union im letzten Jahr war, dass wir ohne eine Laufzeitverlängerung mit Versorgungsschwierigkeiten rechnen müssen." Zuletzt hatte der Chef des Energiekonzerns RWE, Jürgen Großmann, vor Engpässen in der Stromversorgung und vor tagelangen Blackouts gewarnt - noch vor der Verhängung des Moratoriums. Kelber sagte, selbst jetzt, trotz Moratoriums und Revisionen, gebe es in Deutschland keinen Bedarf an zusätzlichen Stromimporten. Das zeige, dass die Bedeutung von Atomstrom überbewertet worden sei. Ein schneller Ausstieg sei möglich.

Eine RWE-Sprecherin sagte, Revisionsarbeiten würden nach Möglichkeit in die verbrauchsarme Zeit im Mai gelegt. Um Lücken zu decken, wird in geringem Maß Strom aus den Nachbarländern importiert. Laut der Website Entsoe.net wurden gestern zwischen 9 und 10 Uhr 4171 Megawatt eingeführt - knapp neun Prozent des Gesamtverbrauchs von 46 641 Megawatt. Gleichzeitig exportierte Deutschland aber 660 Megawatt in die Schweiz und 603 Megawatt nach Österreich.

Auch der Bundesverband Erneuerbare Energie sieht die Abschaltung positiv. Verbandspräsident Dietmar Schütz sagte dem Abendblatt: "Inzwischen ist mehr als die Hälfte der Kernkraftwerke in Deutschland nicht mehr am Netz, trotzdem ist unsere Stromversorgung stabil." Es gebe daher keinen Grund, Versorgungsängste zu schüren: "Spätestens bis 2020 kann der Strom aus Sonne, Wind, Wasser und Bioenergie den Atomstrom ohne Probleme ersetzen."

Gestern hatte sich Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) mit Umweltverbänden getroffen, um mit ihnen über den Ausbau der erneuerbaren Energien zu sprechen. Deren Anteil an der Stromversorgung in Deutschland liegt mittlerweile bei 16 Prozent. Bayerns Umweltminister Markus Söder (CSU) legte zugleich ein Konzept vor, bis 2020 auf Atomstrom ganz zu verzichten. Eine Energiewende sei für Deutschland auch ein "Riesenkonjunkturprogramm". Diese Chance müsse man nutzen, sagte Söder.

Das niedersächsische Umweltministerium wies unterdessen Vorwürfe der Grünen im Zusammenhang mit erhöhter Radioaktivität im Kühlwasser des Atomkraftwerks Grohnde zurück. Man habe zwar erhöhte Werte gemessen, diese lägen allerdings unterhalb des Grenzwertes. Es handele sich nicht um einen Störfall. Bei den derzeit laufenden Wartungsarbeiten soll ein Brennstab ausgetauscht werden, der möglicherweise defekt ist. Grünen-Fraktionschef Stefan Wenzel hielt dem Ministerium eine "haarsträubende Informationspolitik" vor.