Bundeswirtschaftsminister Rainer Brüderle (FDP) über die Folgen der Finanzkrise, längere Laufzeiten für Kernkraftwerke und den Zustand seiner Partei.

Berlin. Die FDP ist zur Bundestagswahl angetreten, die Bürger massiv zu entlasten. Jetzt versucht sie, zumindest Steuererhöhungen zu vermeiden. Der stellvertretende Vorsitzende der Liberalen, Bundeswirtschaftsminister Rainer Brüderle, sagt im Abendblatt-Interview, welche Schritte er in der Krise für geboten hält.

Hamburger Abendblatt: Nach dem Höhenflug zur Bundestagswahl haben sich die Liberalen in Umfragen wieder der Fünf-Prozent-Marke genähert. Ist die FDP eine Fünfzehn- oder doch eine Fünf-Prozent-Partei?

Rainer Brüderle: Die Bundestagswahl hat unser Potenzial gezeigt. Das haben wir auch in schwierigen Zeiten im Blick.

Warum läuft es so schlecht?

Die neue Bundesregierung ist vielleicht etwas holprig gestartet. CDU, CSU und FDP singen aber immer mehr die gleiche Melodie.

Guido Westerwelle hat die FDP auf ein Thema - Entlastung von Leistungsträgern - reduziert, und er hat sie an die Union gekettet. Müssen sich die Liberalen neu erfinden?

Die breite Mittelschicht bleibt im Zentrum unserer liberalen Politik.

Steuersenkungen sind abgesagt, und ob es in einem Fünfparteiensystem auch in Zukunft für Schwarz-Gelb reicht, ist ungewiss. Sie werden an einer Kurskorrektur nicht vorbeikommen ...

In Bund und in sechs Ländern haben wir stabile schwarz-gelbe Regierungen. Die werden auch in Zukunft möglich sein. Richtig ist aber: Das Fünfparteiensystem erfordert von allen ein unverkrampfteres und offeneres Denken.

Wie lange will sich die FDP noch weigern, in Nordrhein-Westfalen mit SPD und Grünen zu sprechen?

Die Entscheidung über Nordrhein-Westfalen wird in Düsseldorf getroffen. Ich persönlich habe die Erfahrung gemacht, dass Koalitionen möglich sind, wenn zwei Dinge gegeben sind: Es muss eine gemeinsame Sachbasis vorhanden sein, und die Personen müssen miteinander können. Diesen Eindruck habe ich in NRW nicht.

Eine Ampel in Nordrhein-Westfalen bleibt ausgeschlossen?

Ich sehe nicht die Voraussetzung dafür. SPD und Grüne können nicht erwarten, dass nur die FDP neu denkt.

Neu denken - was bedeutet das für die nächste Bundestagswahl?

Wenn wir mit der jetzigen Bundesregierung Erfolg haben und wir bestätigt werden, gibt es keinen Grund, sich über andere Konstellationen Gedanken zu machen. Ich will den schwarz-gelben Erfolg.

Dass die Union nicht der Traumpartner ist, dürften die Liberalen aber erkannt haben ...

Es gibt mit den Unionsparteien immer noch die meisten Übereinstimmungen. Ich gehe davon aus, dass die Koalition noch enger zueinanderfindet. Die nächste Klausurtagung wird dazu beitragen. Wenn dann auch noch die Störfeuer aus München unterbleiben, können wir uns endlich stärker auf die Herausforderungen konzentrieren, vor denen unser Land steht.

Union und FDP haben ihre Mehrheit im Bundesrat verloren. Von welchen Vorhaben im Koalitionsvertrag müssen Sie sich - neben Steuersenkungen - noch verabschieden?

Von den Steuervereinfachungen und Steuersenkungen verabschieden wir uns nicht. Es bleibt ein ganz entscheidendes Ziel, die Bürger noch in dieser Wahlperiode spürbar zu entlasten.

Sie werden Schwierigkeiten haben, Steuererhöhungen zu vermeiden ...

Steuererhöhungen wird es mit der FDP nicht geben. Wir wollen und werden die kleinen und mittleren Einkommen entlasten. Wir müssen den Haushalt über die Ausgabenseite und nicht über die Einnahmenseite konsolidieren.

In der Koalition wird überlegt, auf bisher begünstigte Produkte den vollen Mehrwertsteuersatz zu erheben.

Finanzminister Wolfgang Schäuble hat Mehrwertsteuererhöhungen ausgeschlossen.

Sie werden die Schuldenbremse im Grundgesetz beachten müssen. Wo kann gekürzt werden?

Wir müssen intelligent sparen - so, dass wir Wachstum verstärken. Forschungs- und Bildungsinvestitionen dürfen nicht gekürzt werden. Spielräume sehe ich bei den Zuschüssen für die Bundesagentur für Arbeit. Und natürlich kann auch im Wirtschaftshaushalt eingespart werden.

Und zwar wo?

Nach den Steinkohlesubventionen sind die Mittel für die regionale Wirtschaftsentwicklung der größte Posten in meinem Etat. Hier wird kein Weg daran vorbeiführen, die einzelnen Infrastrukturmaßnahmen nach Dringlichkeit und Priorität zu sortieren. Zukunftsinvestitionen in Forschung und Entwicklung will ich ausdrücklich ausnehmen.

Halten Sie angesichts der neuen Mehrheiten am Ausstieg aus dem Atomausstieg fest?

Ich halte fest daran, so schnell wie möglich ins Zeitalter der erneuerbaren Energien zu kommen. Als Brücke dorthin brauchen wir die Kernenergie. Das energiepolitische Konzept, das ich gemeinsam mit Umweltminister Röttgen erarbeite, wird im Herbst vorgelegt.

CDU-Ministerpräsidenten wollen die Laufzeiten von Kernkraftwerken ohne den Bundesrat verlängern. Möglich?

Das ist eine Rechtsfrage, die gerade von Juristen verschiedener Ministerien erörtert wird. Meine Einschätzung ist, dass man für eine Verlängerung der Laufzeiten von Kernkraftwerken den Bundesrat nicht braucht. Aber wir sollten die Ergebnisse der Untersuchung abwarten.

Wird in dem Energiekonzept der Neubau von Kernkraftwerken ausgeschlossen?

Das wird kein Thema sein. Ich kenne niemanden, der in Deutschland ein Atomkraftwerk bauen will.

Herr Brüderle, die CDU wird mehr und mehr das, was die Liberalen seit Längerem sind: eine Partei, die ganz von einer Person dominiert wird. Halten Sie das für ein Erfolgsmodell?

Jede Partei muss ihren eigenen Weg finden. In der FDP tragen alle Führungspersonen Verantwortung.

In der FDP gibt es Stimmen, die eine Trennung von Außenministeramt und Parteivorsitz fordern ...

Ich zähle nicht dazu.

In einer Wirtschafts- und Währungskrise könnte auch der Wirtschaftsminister stärker auftreten. Warum geben Sie nicht den Takt vor?

Ich arbeite in enger Abstimmung mit dem Finanzminister an Konzepten zur Finanzmarktregulierung und zur Stabilisierung des Euro. Wir haben letzte Woche gemeinsam ein Positionspapier für die Diskussion in Brüssel eingebracht.

Was ist jetzt das Gebot der Stunde?

Das Vertrauen der Menschen in die Stabilität des Euro zu stärken! Deshalb müssen wir die Grundprinzipien der sozialen Marktwirtschaft wieder beleben. Dazu brauchen wir einen handlungsfähigen Staat als fairen Schiedsrichter, aber nicht als Mitspieler.

Was bedeutet das für die Regulierung der Finanzmärkte?

Wir müssen hochspekulative Finanzinstrumente wie etwa ungedeckte Leerverkäufe in den Blick nehmen. Außerdem müssen wir die Bankenaufsicht und die Verbraucherrechte stärken. Darüber hinaus befürworte ich den Aufbau einer unabhängigen europäischen Rating-Agentur.

Die Bürger - das hat eine Umfrage ergeben - fürchten in der Krise um ihre Ersparnisse. Können Sie ihnen die Angst nehmen?

Die Ersparnisse sind sicher, der Euro bleibt stabil.

Was tut die Regierung dafür?

Es ist wichtig, die Regeln des Euro-Stabilitätspakts zu verschärfen. Außerdem muss es möglich werden, dass Länder, die unsolide wirtschaften, ihr Stimmrecht in der Europäischen Union verlieren. Wir brauchen auch Regeln für eine geordnete Insolvenz von Staaten. Diese Maßnahmen sorgen zusätzlich dafür, dass das Geld der Bürger sicher bleibt.