Der stellvertretende SPD-Vorsitzende spricht über Nordrhein-Westfalen und sieht Schwarz-Gelb derzeit in einer “Legitimationskrise“.

Hamburg. Ohne die SPD kann künftig in Nordrhein-Westfalen (NRW) nicht mehr regiert werden. Doch die Sozialdemokraten an Rhein und Ruhr müssen sich entscheiden: Wollen sie ein Bündnis mit den Grünen und der Links-Partei? Wollen sie eine Große Koalition? Partei-Vize Olaf Scholz warnt vor zu schnellen Festlegungen.

Hamburger Abendblatt: Herr Scholz, wie sehr bedauern Sie Ihre Kollegin in NRW, Hannelore Kraft?

Olaf Scholz: Ich bedaure Hannelore Kraft überhaupt nicht. Sie hat ein großartiges Wahlergebnis erzielt. Und es sieht danach aus, dass sie bald in Nordrhein-Westfalen regieren kann.

Aber Frau Kraft steckt in einem Dilemma. Wenn sie regieren will, braucht sie die Linkspartei.

Hannelore Kraft hat den Regierungsbildungsauftrag, das ist entscheidend. Mit wem sie am Ende regiert, wird sie zusammen mit der nordrhein-westfälischen SPD in großer Ruhe entscheiden.

Die SPD hat bis zuletzt behauptet, die Linke sei nicht regierungsfähig. Gilt das noch?

Unsere Zweifel an der Regierungsfähigkeit der nordrhein-westfälischen Linkspartei haben wir vor der Wahl deutlich zum Ausdruck gebracht. Diese Zweifel sind immer noch berechtigt. Es gibt sehr viele Programmpunkte bei der Linken, von denen sich niemand vorstellen kann, dass man sie verwirklichen kann. Erst recht nicht in einem so bedeutenden Land wie Nordrhein-Westfalen.

Die Linke müsste sich also gewaltig bewegen.

Alle Parteien müssten sich bewegen, wenn sie miteinander regieren wollen. Das gilt auch für die nordrhein-westfälische FDP ...

... die sich Gesprächen verweigert.

Dieses Wahlergebnis hat deutlich gemacht: Diejenigen, die vor einer Wahl alles Mögliche ausschließen, haben nach der Wahl ein Problem.

Was sollte die FDP daraus lernen?

Eine Partei, die mit der SPD von 1969 bis 1982 eine erfolgreiche sozialliberale Koalition mit fortschrittlichen Zielen gebildet hat, verkennt die Geschichte, wenn sie sich nur noch als Koalitionspartner der Union versteht. Die FDP macht da einen großen Fehler. Am Ende ist sie die Gelackmeierte, weil sich die Union je nach Lage nach anderen Partnern umsieht. Die FDP muss sich vor allem auf politische Ziele besinnen und sich nicht nur in einer Bündnisoption festbeißen.

Wieso spricht die SPD Regierungschef Jürgen Rüttgers eigentlich so vehement den Wahlsieg ab?

Er hat zehn Prozentpunkte verloren. Das ist ein so eindeutiges Votum der Wähler für einen Regierungswechsel. Daran kann es keine Zweifel geben.

Gewinnt nicht der die Wahl, der die meisten Stimmen hat? Jürgen Rüttgers hat 6200 mehr Stimmen als Hannelore Kraft bekommen.

SPD und CDU haben gleich viele Sitze im Landtag errungen. Das ist entscheidend. Und Jürgen Rüttgers hat gegenwärtig keine Option für eine Mehrheit, die ihn im Amt halten könnte.

Die SPD hat ihr Ergebnis von 2005 doch sogar noch unterboten. Wie wollen Sie sich da zum Wahlsieger erklären?

Das stimmt. Wir haben uns noch einmal verschlechtert. Andererseits ist es auch ein gigantisches Ergebnis, wenn man sich die Entwicklungen der SPD in den Jahren zuvor ansieht. Rot-Grün hat Schwarz-Gelb deutlich geschlagen.

Jürgen Rüttgers will trotzdem nicht weichen.

Der Ministerpräsident sollte sich jetzt jenseits der deutschen Grenzen informieren, wie man in Parlamenten mit vielen Parteien mit so einem Wahlergebnis umgeht. Überall in der Welt würde Hannelore Kraft jetzt den Regierungsbildungsauftrag erhalten.

Welche Konsequenzen sollte die Bundesregierung aus der NRW-Wahl ziehen?

Für die wichtigsten Vorhaben der Bundesregierung gibt es im Bundesrat keine Mehrheit mehr. Es wird wohl keinen Ausstieg aus dem Atomausstieg geben, die Kopfpauschale ist gescheitert, die Steuersenkungen sind abgesagt. Die Koalition muss sich jetzt allein auf die Haushaltskonsolidierung konzentrieren.

Dann machen Sie mal Vorschläge.

Klug wäre es, wenn die Koalition zum Beispiel mit der Rücknahme der irrsinnigen Steuersenkungen für Hoteliers zeigte, dass sie verstanden hat. Aber das wird sie wohl nicht tun. Das Wichtigste: Wir brauchen jetzt eine europaweite Besteuerung von Finanztransaktionen. Es kann nicht dabei bleiben, dass der Steuerbürger mit seinem Geld Garantien geben muss, während die Verantwortlichen für die derzeitige Euro-Krise nicht zur Kasse gebeten werden. Da muss die Bundeskanzlerin auf internationaler Ebene handeln.

Tut sie das nicht?

Nein. Frau Merkel hat zuletzt nur taktiert und darauf geachtet, PR in eigener Sache zu machen. Hätte sie schneller gehandelt, wären uns viele Maßnahmen billiger gekommen. Sie hat nur auf die Wahl in NRW geschielt und Entscheidungen vor sich her geschoben. Zu führen bedeutet auch, von Anfang an die Wahrheit zu sagen. Da ist ein Neuanfang nötig. Ohnehin stecken die Kanzlerin und Schwarz-Gelb in einer massiven Legitimationskrise. Das Programm der Bundesregierung ist aus der Zeit gefallen, und das merkt jetzt auch der Letzte. Die Krisenbekämpfung der Großen Koalition war viel erfolgreicher als das Schauspiel, das wir jetzt geboten bekommen.

Glauben Sie, die Kanzlerin sehnt sich nach der SPD?

Das glaube ich nicht. Aber es wird nicht nur Frau Merkel aufgefallen sein, dass die Politik der Großen Koalition in der Krise sehr vernünftig war. Die Finanzmarktstrategien von Peer Steinbrück, das von Frank-Walter Steinmeier entwickelte Konjunkturprogramm, die von mir verantwortete Weiterentwicklung des Kurzarbeitergeldes, das war vernünftige Politik von guten Leuten. Solche Konzepte und Personen fehlen der Bundeskanzlerin jetzt.

Das klingt so, als ob Sie Schwarz-Rot vermissen.

Nein, das tue ich nicht. Der Trend geht in eine andere Richtung, und die heißt Rot-Grün.