Grünen-Chefin Claudia Roth im Abendblatt-Interview über die Koalitionsmöglichkeiten ihrer Partei nach der Wahl in Nordrhein-Westfalen.

Hamburg. Die Grünen wollen regieren in Nordrhein-Westfalen. Doch beide möglichen Konstellationen, eine Ampel-Koalition oder ein Liqnksbündnis, könnten zur Zerreißprobe für die Partei werden.

Hamburger Abendblatt: Frau Roth, die Grünen in NRW haben das beste Ergebnis Ihrer Landesgeschichte geholt und könnten trotzdem wieder in der Opposition landen. Sind Sie frustriert?

Claudia Roth: Nein, dafür gibt es doch tatsächlich keinen Grund. Wir haben mit der Verdoppelung unserer Stimmen dafür gesorgt, dass Schwarz-Gelb abgewählt ist. Wir haben unsere Ziele erreicht: Wir sind zweistellig geworden, die alte Landesregierung ist Geschichte, das Durchregieren der Bundesregierung ist beendet.

Wie wichtig ist Ihnen jetzt, dass die Grünen regieren?

Wir wollen unsere Inhalte an die Macht bringen. Wir wollen nicht nur einen Regierungswechsel, sondern einen Politikwechsel. Für uns ist Opposition kein Mist, aber wir wollen nun ernsthafte Gespräche führen, um diesen Politikwechsel auch umzusetzen.

Ist der Wählerauftrag also ein Regierungsauftrag?

Ich verstehe den Wählerauftrag so, dass wir offen sein sollen, in die Regierungsverantwortung zu gehen.

In welcher Konstellation?

Zunächst werden wir Gespräche mit der SPD führen, wie wir das im Wahlkampf auch angekündigt haben. Ausgeschlossen haben wir nur eine Jamaika-Koalition und ein Tolerierungsmodell. Ansonsten sind wir auch offen für Gespräche sowohl mit der Linkspartei als auch mit der FDP. Allerdings muss die Linke sagen, ob sie verantwortlich regieren möchte oder lieber Fundamentalopposition betreiben will. Und die FDP muss entscheiden, ob sie bei ihrer ablehnenden Haltung gegenüber einer Ampel-Koalition bleiben will oder sich doch von ihrem neoliberalen Kurs verabschiedet, wie es ihr die Wähler ja auch angeraten haben.

Was empfehlen Sie denn Ihrer Kollegin in NRW, Sylvia Löhrmann?

Ich empfehle Frau Löhrmann, das zu tun, was sie für richtig hält. Sie wird allein nach den wichtigsten Fragen entscheiden: Mit wem können die Grünen am ehesten die Schulpolitik reformieren, die Studiengebühren abschaffen, die Verlängerung der AKW-Laufzeiten und neue Kohlekraftwerke verhindern, die Kommunen wieder handlungsfähig machen?

Und mit wem? Linke oder FDP?

Das muss sich jetzt entlang der Inhalte zeigen. Natürlich reden wir zuerst mit der SPD. Wie auch zuletzt in Hamburg, Bremen oder dem Saarland geht es uns darum, grüne Politik zu realisieren.

Die Situation ist vergleichbar mit der in Hamburg 2008. Damals kamen nur eine Große Koalition und Schwarz-Grün in Betracht, heute nur eine Große Koalition oder ein Linksbündnis.

Und schon wird damit begonnen, die Große Koalition zu verklären. Wir haben auf Bundesebene gesehen, dass Große Koalitionen nicht in der Lage sind, große Probleme zu lösen.

Kann man denn große Probleme mit der Linkspartei lösen?

Das müssen Sie die Linkspartei fragen. Der Ball liegt aber zuerst im Feld der SPD. Ich kann mir nicht vorstellen, dass es der Wille der SPD-Wähler war, dass die Sozialdemokraten in eine Große Koalition gehen. Schwarz-Rot wäre kein Politikwechsel.

Wäre eine Ampel-Koalition überhaupt realistisch?

Wir sind in vielen Themen wirklich Lichtjahre entfernt von der FDP in NRW. Das habe ich im Wahlkampf deutlich gespürt. Aber numerisch wäre die Ampel eine Möglichkeit. Und deswegen ist es richtig, miteinander zu reden und auszuloten, inwieweit ein Politikwechsel möglich wäre.

Sie hätten es jetzt leichter mit der FDP: Die Bundeskanzlerin hat Steuersenkungen bis auf Weiteres eine Absage erteilt. Überrascht Sie der Zeitpunkt?

Das überrascht mich gar nicht. Ich kenne viele CDU-Mitglieder, die diese Steuersenkungspolitik in Zeiten dieser gigantischen Staatsverschuldung schon länger für absoluten Schwachsinn gehalten haben. Nachdem die Wähler in NRW deutlich gezeigt haben, was sie von den schwarz-gelben Steuersenkungsversprechen halten, zeigt endlich auch Frau Merkel die Einsicht, dass wir die Haushalte konsolidieren müssen.

Nur einen Tag nach der Wahl hat sich Merkel dazu positioniert. Beschädigt das die Glaubwürdigkeit der Politik?

Diese Art zu handeln, beschädigt die Glaubwürdigkeit der Politik immens. Dieses Abwarten und Schielen auf die Wahl in Nordrhein-Westfalen war ein Beispiel politischer Unkultur. Alle Ankündigungen, wie man denn sparen wolle, wurden auf die Zeit nach der Wahl verschoben. Die Wähler wurden damit für dumm verkauft, aber sie haben den Braten gerochen. Auch dafür haben sie Schwarz-Gelb bestraft und abgewählt.

Bedeutet diese Abwahl die Rettung Ihres zentralen Anliegens, des Atomausstiegs?

Es wird keine Konstellation in Nordrhein-Westfalen geben, die im Bundesrat einem Ausstieg aus dem Atom-Ausstieg zustimmen wird. Damit ist die Sache vom Tisch. Und das freut uns.