Kanzlerin verspricht mindestens 123 Milliarden für den Euro-Rettungsfonds und sagt die vereinbarte Steuersenkung ab

Berlin. Es war der Tag, an dem Angela Merkel (CDU) mit gigantischen Milliarden-Summen zur Rettung des Euro hantierte, zugleich milliarden-teure Versprechen einkassieren und eine bittere Niederlage quittieren musste. Ein Tag, für den die Kanzlerin und ihre Koalition möglicherweise einen hohen Preis zahlen müssen.

Da war zunächst das große Projekt der FDP. Bis zuletzt beharrten die Liberalen auf Steuersenkungen im Milliardenumfang. Nach dem Wahldebakel in Nordrhein-Westfalen zog Merkel gestern die Notbremse. Sie erteilte nach dem Verlust der schwarz-gelben Mehrheit im Bundesrat weiteren Entlastungen für die Bürger in den nächsten beiden Jahren eine Absage. "Steuersenkungen werden auf absehbare Zeit nicht durchsetzbar sein", sagte sie. Dies gelte für die Bundesetats 2011 und 2012. Die Konsolidierung des Haushalts und die Schuldenbremse hätten Priorität. "Es muss klar sein, dass wir uns jetzt bestenfalls mit der Vereinfachung des Steuersystems befassen."

FDP-Chef Guido Westerwelle signalisierte Kompromissbereitschaft: "Dass auch wir wissen, dass die Mehrheitsverhältnisse im Bundesrat sich verändert haben, ist doch offensichtlich." Die FDP sei unverändert für ein "faires Steuersystem" und einen "Neuanfang", müsse aber zur Kenntnis nehmen, dass durch den Verlust der Mehrheit im Bundesrat der "Spielraum nicht größer geworden" sei. Union und FDP hatten vereinbart, bis 2013 Bürger und Unternehmen um bis zu 24 Milliarden Euro pro Jahr steuerlich zu entlasten.

Westerwelle schließt Ampelkoalition in NRW nicht mehr aus

Doch nicht nur von ihren Steuerplänen muss sich die Koalition verabschieden. Nach der Abwahl von Schwarz-Gelb in Düsseldorf werden im bevölkerungsreichsten Bundesland neue Koalitionskonstellationen gesucht - was nicht ohne Auswirkungen auch auf Berlin bleiben wird. Große Koalition, Rot-Rot-Grün, doch die Ampel oder gar Jamaika? Das Koalitionskarussell hat Fahrt aufgenommen.

Die Union forderte die SPD zu einem schwarz-roten Bündnis auf - dies sei auch wegen der ernsten Lage durch die Euro-Krise geboten. Die SPD mit Spitzenkandidatin Hannelore Kraft pochte dagegen auf einen Führungsanspruch - obwohl sie bei der Landtagswahl mit 6200 Stimmen hauchdünn hinter der abgestürzten CDU von Ministerpräsident Jürgen Rüttgers lag. Die Sozialdemokraten hielten sich auch ein Bündnis mit der Linken offen. Erstmals deutete Westerwelle an, dass er ein Zusammengehen der FDP mit SPD und Grünen an Rhein und Ruhr nicht verhindern werde. Er überließ die Entscheidung über eine mögliche Ampel-Regierung dem NRW-Landesverband. Diese Frage müsse man "vor Ort bewerten und entscheiden". Er habe "volles Vertrauen in die nordrhein-westfälische FDP". Nordrhein-Westfalens FDP-Spitzenkandidat Andreas Pinkwart hat bisher einer Ampel-Koalition eine klare Absage erteilt.

Und schließlich musste Merkel gestern auch noch die Notwendigkeit des 750-Milliarden-Pakets zur Rettung des Euro begründen. In der EU sei das "beispiellose Paket" geschnürt worden, weil es seit Freitag "breite Angriffe auf den Euro" gegeben habe, sagte sie. Tatsächlich zeigte der Rettungsschirm erste positive Wirkungen. Die Börsen reagierten weltweit mit Kurssprüngen. Der Euro kletterte zwischenzeitlich über die Marke von 1,30 US-Dollar, fiel dann aber wieder auf 1,28 zurück. Angeschlagene EU-Länder können künftig Kredite zur Lösung ihrer finanziellen Probleme aufnehmen. Zudem wollen sowohl die Europäische Zentralbank (EZB) als auch nationale Notenbanken Staatsanleihen von Not leidenden Ländern aufkaufen, wenngleich sie damit gegen die Grundprinzipien der Währungsunion verstoßen.

"Die Glaubwürdigkeit der Europäischen Zentralbank steht auf dem Spiel"

Merkel ließ dennoch an dem Rettungsprogramm keine Zweifel: "Wir schützen das Geld der Menschen in Deutschland." Auch Ökonomen bewerten die außergewöhnlich hohe Summe als wichtiges und richtiges Zeichen gegen die Finanzmarktkrise. "Mit dem Notfallfonds hat Europa endlich einen Krisenmechanismus zur Rettung angeschlagener Euro-Staaten und zur Abwehr von Spekulanten", sagte der Finanzexperte Rudolf Hickel dem Abendblatt. Sollte allerdings der Notfall eintreten, dass weitere Länder in Schieflage geraten, muss Deutschland mindestens 123 Milliarden Euro zu dem Rettungsprogramm beisteuern.

Arbeitgeberpräsident Dieter Hundt fordert einen strikten Sparkurs: "Alle EU-Mitgliedstaaten einschließlich Deutschland und Frankreich müssen umgehend eine haushaltspolitische Kehrtwende einleiten. Nur dann funktioniert der Rettungsschirm", sagte Hundt dem Abendblatt. Er kritisierte: "Die Glaubwürdigkeit der Europäischen Zentralbank würde beschädigt, wenn sie genötigt wird, Staatsanleihen von überschuldeten EU-Mitgliedstaaten zu kaufen."