Die Kurskorrektur der Kanzlerin – Abschotten und abschieben
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Von Miguel Sanches
Berlin. Die Flüchtlingskrise holt Angela Merkel immer wieder ein. Die deutsche Regierungschefin hat sich in eine Abschiebekanzlerin verwandelt.
Sie forciert Abschiebungen, treibt die EU an, verteilt Geld, pflegt die Türkei, sondiert in Algerien, besucht Ägypten und Tunesien. Alles dient einem Ziel: Den Flüchtlingsstrom zu drosseln und andere als europäische Türwächter einzuspannen – erst die Türkei, nun die Länder Nordafrikas. Aus Angela Merkel ist eine Abschiebekanzlerin geworden.
Die Aufforderung aus NRW, endlich die Flüchtlingspolitik zur Chefsache zu machen (Hannelore Kraft), ist völlig daneben. Richtiger ist ihr Hinweis, dass Merkel zuletzt etwa gegenüber Tunesien „offenbar nichts Handfestes erreicht“ hat. Merkel ist nicht tatenlos, sie ist sogar ins Gelingen verliebt. Aber sie hat sich einer Aufgabe verschrieben, die man nur noch als sisyphoshaft beschreiben kann: Die eigene Politik zu korrigieren, den Alleingang im September 2015, als sie die Grenzen offen ließ. Das war gut gemeint, aber schlecht gemacht und allemal eine Riesenlast. Gemessen an den über 20 Milliarden Euro, die allein der Bund sich die Flüchtlingspolitik jährlich kosten lässt, sind die Doktorspiele ihres SPD-Herausforderers Martin Schulz an der Agenda 2010 Peanuts.
Der Frühling kommt – und mit ihm steigt die Zahl der Flüchtlinge
Am 20. März steht der kalendarische Frühlingsanfang an, ein weiterer Grund für Merkel, hochwachsam zu sein. Sollten die Zahlen der Flüchtlinge ansteigen, kann sich das für die Union bei den Wahlen im Saarland, in NRW und Schleswig-Holstein rächen. Ganz zu schweigen davon, was es mit den Unionsparteien machen würde, zumal mit der immerzu alarmistischen CSU. Die Geschlossenheit wäre passé.
Dieselbe Frau, die 2015 Selfies mit Flüchtlingen machte, erklärt heute, dass sich das Jahr nicht wiederholen dürfe. Sie macht Druck auf die Bundesländer, mehr abzuschieben, und würde am liebsten die nordafrikanischen Staaten so einspannen wie die Türkei.
Die SPD lässt Merkel die Suppe allein auslöffeln
Das Verhalten der SPD kann man nur als bigott bezeichnen. Sie regiert mit Merkel, hat den Alleingang 2015 mitgetragen und fordert mehr Abschiebungen – aber was macht sie? SPD-regierte Länder lehnen Abschiebungen nach Afghanistan ab oder führen sie zögerlich aus. Im Bundesrat kommt die Einstufung der Maghreb-Staaten als sichere Herkunftsländer nicht zustande, weil sich die Grünen in den Ländern sperren, zumeist Koalitionspartner der SPD. Das Kalkül ist offensichtlich: Die Kanzlerin soll die Suppe, die sie sich selbst eingebrockt hat, auch auslöffeln – und das mit dem kleinsten Löffel.
Das ist Bundeskanzlerin Angela Merkel
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Von einer Willkommenskultur kann keine Rede mehr sein. Inzwischen wird alles angedacht, Auffanglager in Nordafrika, in Ländern, die instabil sind und nicht gerade von lupenreinen Demokraten regiert werden. Und Innenminister Thomas de Maizière (CDU) rechtfertigt die Rückführungen nach Afghanistan nicht etwa damit, dass das Land insgesamt sicher sei, sondern nur einzelne Regionen. Da ist man sich für keine Begründung zu schade. Als die Türkei Sicherheitszonen für Flüchtlinge in Syrien forderte, wurde das noch abgelehnt. Es ist die gleiche Logik, mit der man Abschiebungen nach Afghanistan rechtfertigt.
Der Kardinalfehler in der Flüchtlingspolitik ist 2015 gemacht worden
Die Vorfälle am EU-Grenzzaun in Ceuta zeigen, wie groß, wie schier unaufhaltsam der Migrationsdruck ist. Die EU hat keine Patentlösung, Merkel auch nicht. Es gibt sie nicht. Für komplexe Probleme gibt es viele unterschiedliche und mühsame Lösungsansätze. Merkel arbeitet beharrlich daran. Es sind Korrekturen, Ablenkungen, innenpolitisch Schuldumkehr und – bedenkt man den Aufwind rechtspopulistischer Kräfte in Europa – Schadensbegrenzung. Der Fehler ist im Herbst 2015 gemacht worden. Merkel hat das Ende nicht bedacht. Vielleicht war es unmöglich. In jedem Fall holt es sie jetzt wieder ein.
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