Berlin. Es sollen weniger Flüchtlinge kommen, hofft die EU – und setzt dabei auf die Türkei. Wir zeigen, was ihre Vereinbarung regeln soll.

Die Flüchtlingskrise bringt zwei Nachbarn zusammen, die zuletzt ein kühles Verhältnis pflegten. Nun steht die Flüchtlingsvereinbarung. Der türkische Ministerpräsident Ahmet Davutoglu jubelt am Freitag in Brüssel: „Wir haben heute festgestellt, dass die Türkei und die EU das gleiche Schicksal haben (...), die gleiche Zukunft.“ Doch was bedeutet die Abmachung für die Flüchtlinge?

Was sieht die Vereinbarung vor?

Das Prinzip heißt Abschreckung. „Alle irregulären Migranten, die vom diesem Sonntag, 20. März, aus der Türkei auf die griechischen Inseln kommen, werden in die Türkei zurückgeschickt“, sagt EU-Gipfelchef Donald Tusk. Dies dürfte beinahe alle Migranten betreffen, die die Inseln erreichen. Für jeden Syrer, der in die Türkei zurückkehrt, nimmt die EU einen anderen Syrer legal auf. Wer unerlaubt auf die Inseln fährt, setzt die Chance auf eine Zukunft in Europa aufs Spiel. Denn Vorrang bei der Umsiedlung von der Türkei nach Europa sollen jene Migranten haben, die nicht zuvor irregulär in die EU eingereist sind oder es versucht haben.

Darf die EU überhaupt Flüchtlinge zurückschicken?

Die EU beteuert, dass sie sich an europäisches und internationales Recht hält. Dabei setzt sie darauf, dass Griechenland die Türkei als „sicheren Drittstaat“ einstuft, in dem Flüchtlinge Schutz gemäß der Genfer Konvention finden. Migranten sollen erst nach individueller Prüfung zurückgeschickt werden. Wer dabei geltend machen kann, dass die Türkei für ihn kein sicherer Drittstaat ist, dürfte bleiben.

Die Menschenrechtsorganisation Amnesty International stellt die Legalität des Plans infrage: „Die Türkei ist kein sicheres Land für Flüchtlinge und Migranten, und jeder Rückführungsprozess, der darauf beruht, dass sie das ist, wird voller Makel, illegal und unmoralisch sein.“ Auszuschließen ist nicht, dass Flüchtlinge mit Unterstützung von Hilfsorganisationen klagen.

Wie viele Flüchtlinge muss die EU aus der Türkei übernehmen?

Vorerst höchstens 72.000 Personen. Wenn diese Zahl erreicht ist, will die EU den „Tauschhandel“ mit Flüchtlingen aussetzen. „Das wird gestoppt, weil es dann nicht funktioniert“, sagt ein EU-Diplomat. Das Ganze soll nur eine „vorübergehende und außergewöhnliche Maßnahme“ sein. Sobald es keine unerlaubten Überfahrten von Migranten aus der Türkei nach Griechenland mehr gibt (oder deren Zahl deutlich und nachhaltig gesunken ist), will die EU der Türkei weitere Flüchtlinge abnehmen. EU-Staaten sollen sich freiwillig dazu bereiterklären.

Was passiert, wenn eine Partei sich nicht an die Vereinbarung hält?

Die Türkei würde riskieren, dass die EU ihr keine weiteren Flüchtlinge legal abnimmt. Allerdings sind schon die derzeit vorgesehenen maximal 72.000 Personen für das Land lächerlich wenig. Die Türkei beherbergt 2,7 Millionen syrische Flüchtlinge. Außerdem würde sie womöglich die geplante Visaliberalisierung riskieren. Die EU wiederum liefe Gefahr, dass die Türkei sich bei der Rücknahme von Migranten querstellt, sich wenig Mühe beim Grenzschutz und Kampf gegen Schlepper gibt.

Was hat die Türkei von dem Deal?

Für die Türkei bedeutet der Pakt nicht nur eine (wenn auch erstmal nur leichte) Entlastung bei den Flüchtlingszahlen. Sie bekommt auch bis zu sechs Milliarden Euro, um die Bedingungen für Flüchtlinge im Land zu verbessern. Vor allem ist die Vereinbarung aber ein großer politischer Erfolg. Die EU-Beitrittsverhandlungen sollen beschleunigt werden. Türken können zudem damit rechnen, ab Ende Juni visafrei in den Schengen-Raum reisen zu dürfen – eine jahrzehntelange Forderung.

Kann der Pakt den Zustrom an Flüchtlingen nach Europa wirklich nachhaltig mindern?

Das ist äußert zweifelhaft. Solange es auf der Welt Krieg, Armut und Vertreibung gibt, werden weiterhin Menschen versuchen, in der EU die Chance auf ein besseres Leben zu bekommen. Wenn der Weg über die Ägäis jetzt versperrt ist, werden sie andere Routen nutzen. Befürchtet wird zum Beispiel, dass wieder mehr Flüchtlinge mit Booten von Libyen aus nach Italien oder Malta kommen könnten. In das Bürgerkriegsland Libyen dürfen Flüchtlinge nicht zurückgeschickt werden. (dpa)