Berlin. 250.000 Menschen sind bisher im syrischen Bürgerkrieg gestorben – viele auf der Flucht. Jetzt soll es eine Waffenruhe und Wahlen geben.

Mehr als 250.000 Tote, elf Millionen Menschen auf der Flucht: Die Bilanz des seit fast fünf Jahren andauernden Bürgerkrieges in Syrien ist verheerend. Er ist der zentrale Auslöser für die Flüchtlingskrise. Jetzt haben US-Präsident Barack Obama und sein russischer Amtskollege Wladimir Putin eine Waffenruhe für das weitgehend zerstörte Land vereinbart. Trägt die Feuerpause? Wir beantworten die wichtigsten Fragen:

Warum keimt plötzlich Hoffnung für Syrien auf?

Die Absprache über eine Waffenruhe ist eine der wenigen Vereinbarungen zwischen Obama und Putin überhaupt. Das ist auch deshalb bemerkenswert, weil der russische Ministerpräsident Dmitri Medwedew bei der Münchner Sicherheitskonferenz am 13. Februar noch vor einem „neuen Kalten Krieg“ und einem „dritten Weltschock“ gewarnt hatte. Die Waffenruhe für Syrien soll ab kommenden Freitag um 23 Uhr mitteleuropäischer Zeit in Kraft treten.

Gibt es Ausnahmen?

Ja. Angriffe auf terroristische Gruppen wie die Extremistenmiliz „Islamischer Staat“ (IS), der Al-Qaida-Ableger Al-Nusra-Front und ihnen verbundene Terrororganisationen sollen fortgesetzt werden. Die US-geführte internationale Koalition flog bislang in Syrien vor allem Luftangriffe auf Stellungen des IS, Russland auf Positionen der gemäßigten syrischen Opposition. Moskau und der Iran stärkten dadurch den syrischen Präsidenten Baschar al-Assad.

Das sind die Konfliktparteien in Syrien

Syriens Diktator Baschar al-Assad konnte sein Regime stabilisieren. Lange Zeit schien es, als könnten die Rebellengruppen seine Herrschaft stürzen – bis Russland dem bedrohten Despoten zur Hilfe kam.
Syriens Diktator Baschar al-Assad konnte sein Regime stabilisieren. Lange Zeit schien es, als könnten die Rebellengruppen seine Herrschaft stürzen – bis Russland dem bedrohten Despoten zur Hilfe kam. © dpa | Syrian Presidency / Handout
Russische Kampfflugzeuge greifen zwar auch den „Islamischen Staat“ an – vor allem bekämpfen sie aber syrische Rebellengruppen. Russlands Präsident Wladimir Putin will die Macht seines syrischen Verbündeten Baschar al-Assad unbedingt erhalten.
Russische Kampfflugzeuge greifen zwar auch den „Islamischen Staat“ an – vor allem bekämpfen sie aber syrische Rebellengruppen. Russlands Präsident Wladimir Putin will die Macht seines syrischen Verbündeten Baschar al-Assad unbedingt erhalten. © REUTERS | SERGEI KARPUKHIN
Das oberste Ziel von US-Präsident Barack Obama ist es, den „Islamischen Staat“ zu stoppen. Amerikanische Kampfflugzeuge bombardieren Stellungen der Islamisten. Bodentruppen sollen allerdings nicht eingesetzt werden, die US-Bevölkerung ist nach den Konflikten in Irak und Afghanistan kriegsmüde.
Das oberste Ziel von US-Präsident Barack Obama ist es, den „Islamischen Staat“ zu stoppen. Amerikanische Kampfflugzeuge bombardieren Stellungen der Islamisten. Bodentruppen sollen allerdings nicht eingesetzt werden, die US-Bevölkerung ist nach den Konflikten in Irak und Afghanistan kriegsmüde. © dpa | Ned Redway
An den Luftschlägen der USA gegen den „Islamischen Staat“ beteiligt sich auch Frankreich. Seit den Terror-Anschlägen in Paris sieht Präsident François Hollande sein Land im Krieg gegen die Islamisten.
An den Luftschlägen der USA gegen den „Islamischen Staat“ beteiligt sich auch Frankreich. Seit den Terror-Anschlägen in Paris sieht Präsident François Hollande sein Land im Krieg gegen die Islamisten. © REUTERS | PHILIPPE WOJAZER
Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan will mit allen Mitteln das Entstehen eines kurdischen Staates verhindern. Deshalb bekämpft er die syrische Rebellengruppe Partei Demokratische Union (PYD), die in Verbindung zur kurdischen Guerilla PKK stehen soll.
Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan will mit allen Mitteln das Entstehen eines kurdischen Staates verhindern. Deshalb bekämpft er die syrische Rebellengruppe Partei Demokratische Union (PYD), die in Verbindung zur kurdischen Guerilla PKK stehen soll. © REUTERS | HANDOUT
Saudi-Arabiens König Salman ibn Abd al-Aziz unterstützt radikalsunnitische Rebellen in Syrien. Das Ziel des Herrscherhauses ist es, Diktator Baschar al-Assad zu stürzen. Damit kämpft König Salman in Syrien auch gegen seinen regionalen Konkurrenten Iran. Der König signalisierte, sein Land sei auch bereit für den Einsatz von Bodentruppen.
Saudi-Arabiens König Salman ibn Abd al-Aziz unterstützt radikalsunnitische Rebellen in Syrien. Das Ziel des Herrscherhauses ist es, Diktator Baschar al-Assad zu stürzen. Damit kämpft König Salman in Syrien auch gegen seinen regionalen Konkurrenten Iran. Der König signalisierte, sein Land sei auch bereit für den Einsatz von Bodentruppen. © imago/Xinhua | imago stock&people
Irans Präsident Hassan Rohani unterstützt das syrische Regime von Baschar al-Assad  finanziell, Assads Armee kämpft auch mit iranischem Kriegsgerät. Ziel von Rohani ist es, den „Islamischen Staat“ und andere sunnitische Islamisten zurückzudrängen und den regionalen Kontrahenten Saudi-Arabien zu schwächen.
Irans Präsident Hassan Rohani unterstützt das syrische Regime von Baschar al-Assad finanziell, Assads Armee kämpft auch mit iranischem Kriegsgerät. Ziel von Rohani ist es, den „Islamischen Staat“ und andere sunnitische Islamisten zurückzudrängen und den regionalen Kontrahenten Saudi-Arabien zu schwächen. © dpa | Daniel Bockwoldt
Der „Islamische Staat“ will zunächst Syrien erobern – und dann ein globales Kalifat errichten. Doch IS-Chef Abu Bakr al-Baghdadi musste durch Angriffe kurdischer Rebellen und die Luftbombardements der USA zuletzt empfindliche Gebietsverluste hinnehmen.
Der „Islamische Staat“ will zunächst Syrien erobern – und dann ein globales Kalifat errichten. Doch IS-Chef Abu Bakr al-Baghdadi musste durch Angriffe kurdischer Rebellen und die Luftbombardements der USA zuletzt empfindliche Gebietsverluste hinnehmen. © screenshot/Islamic State video | screenshot/Islamic State video
Die syrische Opposition besteht aus 800 bis 1000 verschiedenen Gruppen, manche sind islamistische Terroristen wie die al-Nusra Front, andere sind gemäßigte Oppositionelle und wollen Demokratie. Der 2011 begonnene Krieg hat in Syrien zahlreiche Städte und weite Teile des Landes zerstört.
Die syrische Opposition besteht aus 800 bis 1000 verschiedenen Gruppen, manche sind islamistische Terroristen wie die al-Nusra Front, andere sind gemäßigte Oppositionelle und wollen Demokratie. Der 2011 begonnene Krieg hat in Syrien zahlreiche Städte und weite Teile des Landes zerstört. © dpa | Mohammed Badra
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Wie bewertet Putin die Aussichten auf eine Waffenruhe?

Positiv. Der Kremlchef sagte, nun bestehe eine realistische Chance auf ein Ende des Blutvergießens. Durch die Einigung könne die Krise in Syrien „radikal verändert“ werden. Zudem solle ein „heißer Draht“ zwischen den USA und Russland eingerichtet werden. Es sei wichtig, dass beide Staaten die Feuerpause effektiv überwachen könnten.

Und was sagt Obama dazu?

Der Chef des Weißen Hauses begrüßte die Verständigung, klang aber kühler als Putin. Alle Beteiligten müssten sich nun darauf konzentrieren, das Leid der Menschen zu beenden, den Friedensprozess voranzutreiben und den IS zu bekämpfen, so Obama. „Wir wissen, dass noch eine Menge Hindernisse im Weg stehen“, erklärte sein Sprecher.

Wie reagiert Machthaber Assad?

Die syrische Regierung stimmt dem russisch-amerikanischen Plan zu. Mit Moskau werde nun abgesprochen, für welche Gruppen und Gebiete die Vereinbarung gelten solle, hieß es. Das könnte sich als Schlupfloch erweisen, denn bislang hat das Regime in Damaskus fast alle Gegner von Assad als „Terroristen“ bezeichnet. Zudem hat Assad für den 13. April eine Parlamentswahl in Syrien angesetzt. Der UN-Sicherheitsrat hatte im Dezember in einer Resolution verlangt, dass binnen 18 Monaten eine Parlamentswahl auf der Basis einer neuen Verfassung stattfinden soll. Die letzte Parlamentswahl fand 2012 statt. Die Zukunft Assads wurde ausgeklammert.

Wie verhält sich die Opposition?

Grundsätzlich sei man für die vereinbarte Waffenruhe, erklärte das Oberste Verhandlungskomitee (HNC), in der verschiedene Rebellengruppen vereinigt sind. Aber es müsse garantiert sein, dass Belagerungen in Syrien aufgehoben, Bombardements auf Zivilisten eingestellt und Hilfslieferungen ermöglicht werden. Nach Angaben des Präsidenten der oppositionellen Syrischen Nationalkoalition, Chaled Chodscha, soll die Waffenruhe zunächst für zwei Wochen gelten. Ein Problem sei allerdings, dass Assad und Russland trotz Waffenruhe weiterhin Islamistengruppen angreifen könnten. Seine Befürchtung: Unter dem Vorwand, Extremisten wie die Al-Nusra-Front zu bekämpfen, würden gemäßigte Oppositionelle wie die Freie Syrische Armee ins Visier genommen.

Wie positioniert sich die Türkei?

Die Regierung in Ankara behält sich das Recht auf Vergeltungsangriffe auf die kurdischen YPG-Milizen in Nordsyrien vor – auch im Falle einer Feuerpause. Die Türkei will unter allen Umständen verhindern, dass die Kurden einen eigenen Staat in Nordsyrien errichten.

Wie steht es mit Saudi-Arabien?

Zusammen mit der Türkei ist das Königreich ein wichtiger Nachschub-Lieferant für die Rebellen. Beide fordern vehement den Sturz von Assad. Dem sunnitischen Saudi-Arabien geht es vor allem darum, den Einfluss des schiitischen Erzrivalen Iran zurückzudrängen.

Alles in allem: Wie groß sind die Chancen für eine Waffenruhe?

Dass Obama und Putin eine Gipfel-Absprache getroffen haben, ist ein Lichtblick. Denn ohne die Chefs der wichtigsten internationalen Mächte im Syrienkonflikt gibt es keine Bewegung. Es wird sehr darauf ankommen, ob sich Assads Truppen – die auf Grund der russischen Luftangriffe zuletzt beträchtliche Geländegewinne erzielt haben – an die Feuerpause halten. Risiko-Faktoren bleiben auch die großen regionalpolitischen Spieler Türkei und Saudi-Arabien. Sie verfolgen in Syrien eigene Interessen. Die Waffenruhe für Syrien dürfte daher vom ersten Tag an brüchig sein.