Berlin. Seehofer besucht Moskau: Die bayrische Außenpolitik könnte Kanzlerin Angela Merkel schaden und ruft Kritiker aus der CDU auf den Plan.

Es war ein Anfang. Im Herbst kommt Horst Seehofer wieder nach Moskau – dann mit einer hundertköpfigen Delegation aus Kultur und Wirtschaft. Im Vergleich dazu ging es am Mittwoch intim zu: ein Tête-à-Tête mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin. Seehofer glaubt, dass sich viele Krisen ohne die Russen nicht lösen lassen. „Wir wollen mit ehrlichem Herzen unseren Beitrag leisten, dass wir in schwierigem politischem Umfeld wieder ein Stück Vertrauen und Normalität herstellen“, sagte er. Putin erwiderte, „die Probleme von heute betreffen uns alle“. Es war der Schulterschluss.

Wenigen war es vergönnt, den bayrischen Regierungschef zu begleiten. Vier Mitarbeiter, dazu als Türöffner Edmund Stoiber und nicht zu vergessen: 17 Journalisten. Wenn einer eine Reise tut, hat er auch was zu erzählen.

Stoiber fädelte das Treffen mit Putin ein

Im Herbst sprach Seehofers Wirtschaftsministerin Ilse Aigner in Moskau vor, das Eis war gebrochen. Dann zog der Ministerpräsident ein echtes Ass aus dem Ärmel: Stoiber. „Fädle das ein“, bat er seinen Amtsvorgänger. Stoiber, der den Besuch arrangierte, ist ein Moskau-Veteran. Er war 1987 bei der legendären Reise von Franz Josef Strauß dabei. Bayern und Russland verbindet viel, seit 200 Jahren. Geschichte, Geschichten, vielleicht sogar eine Seelenverwandtschaft. Die Bayern gelten als Genussmenschen, trinkfest, direkt. Anekdotenhaft ist der Dialog zwischen Strauß und dem Sowjetführer Michail Gorbatschow: Ob es sein erster Besuch in Russland sei? „Nein, das zweite Mal“, antwortete Strauß, der bei der Wehrmacht war, „das erste Mal kam ich nur bis Stalingrad“.

Eine herzliche Begrüßung: Wladimir Putin umarmt Edmund Stoiber, der den Besuch von Horst Seehofer in Moskau eingefädelt hat.
Eine herzliche Begrüßung: Wladimir Putin umarmt Edmund Stoiber, der den Besuch von Horst Seehofer in Moskau eingefädelt hat. © dpa | Sven Hoppe

Stoiber ist Begründer der Regionalpartnerschaft mit Moskau. Die Stadt hat zwölf Millionen Einwohner, so viele wie ganz Bayern. Zweimal traf er Putin. 2006 schmeichelte er sich ein, indem er dem Russen einen unvergesslichen Abend bereitete. Er ging mit ihm in eine urige Kneipe in Aying. Der 4600-Seelen-Ort südöstlich von München schaffte sich dafür eigens ein „Goldenes Buch“ an. Die örtliche Blaskapelle spielte, die Trachtler marschierten, das Bier floss, Putin genoss.

Putin weiß, was Seehofer umtreibt

Bei aller Sentimentalität – Die Russen gelten auch als Machtmenschen. Reisen nach Russland sind Reisen zum Mittelpunkt der Welt. Beim letzten Mal 2011 ließ Putin seinen Besucher Seehofer erst im Hotel warten und dann spät am Abend eineinhalb Stunden lang zu ihm rausfahren.

Dieses Mal trifft Seehofer zwar auch Minister, Gouverneure, Bürgermeister, aber die Attraktion ist Putin. Und wieder ließ der den Gast zappeln. Erst wollte er ihn am Donnerstag treffen, dann am Vorabend. Ab nach Nowo-Ogarjowo, 30 Kilometer westlich des Kreml, früher Landgut der Zarenfamilie, eine Residenz im Wald, hinter sechs Meter hohen Mauern sind Reitstall, Sportplätze, Hubschrauberzone.

Putin weiß, warum er umgarnt wird. Allein in Moskau sind 800 bayrische Firmen vertreten. Ihre Geschäfte liefen schon mal besser. 2013 betrug das Handelsvolumen 11,5 Milliarden Euro. 2014 brachen die Exporte um 15 Prozent ein, letztes Jahr um über 30 Prozent. Das lag natürlich am Boykott gegen Russland, der nach dem Ukraine-Krieg.

Seehofer kann ihn nicht aufheben, aber den Präsidenten vielleicht überzeugen, seinerseits einen russischen Boykott zu lockern, zumindest für bayrische Milchprodukte. Er wird die Chancen sondieren, schon mit Blick auf die Herbstreise, von der er nicht mit leeren Händen zurückkehren will.

Viele Unternehmer sehen keinen Sinn in den Strafmaßnahmen. Seehofer ist ihr Handlungsreisender. „Wir brauchen Russland politisch, wir brauchen es wirtschaftlich“, sagte der Hauptgeschäftsführer der Vereinigung der bayerischen Wirtschaft, Bertram Brossardt. „Eine längere Entwöhnungsphase darf es nicht geben“. Es geht um den „Dialog“, mehr noch: um Interessen.

Polenz übte scharfe Kritik an der Reise nach Moskau

Das spielt Putin in die Karten. Er weiß auch, dass er über die CSU Druck auf Kanzlerin Angela Merkel ausüben, sie ärgern kann. Seehofer weiß es auch und bereitete sich vor. Der Mann machte seine Hausaufgaben. Er hielt Rat im außenpolitischen Club der CSU, Karl-Theodor zu Guttenberg und der Karrierediplomat Wolfgang Ischinger waren dabei, konsultierte den Co-Chef des „Petersburger Dialogs“, Ronald Pofalla, ließ sich von Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) unterrichten und suchte Merkel auf. „Das kannst du ruhig machen“, sagte sie.

In Berlin haben sich einige dennoch das Maul zerrissen, nicht irgendwelche Grüne, CDU-Leute, mit Roderich Kiesewetter ein Berufener, Obmann im Auswärtigen Ausschuss. „Fünftklassige Politiker“, grantelt Seehofer. „Richtig sauer“ sei er gewesen, heißt es in München. Seit er mit der Kanzlerin wegen ihrer Flüchtlingspolitik über Kreuz liegt, wird jeder Schritt daraufhin überprüft, ob er Angela Merkel schadet. Das nervt. Die Reise sei abgestimmt, „wie sich das gehört“, beteuert Agrarminister Christian Schmidt und CSU-Mann.

Hilft der Bayer doch unbewusst mit, Merkel zu schwächen?

Freilich: Die Welt hat sich weiter gedreht, Russland wird verdächtigt, einen Propagandafeldzug zu führen. Wenn sie von der anderen Seite in das Teleskop schauen, mit dem Seehofer die Welt betrachtet, kommen fünftklassige Politiker zu anderen Einsichten. Ruprecht Polenz, erfahrener CDU-Außenpolitiker, ordnet die Visite ein: Die Kanzlerin tue gerade sehr viel für den Zusammenhalt Europas, „Putin hingegen will Europa spalten – und deshalb ist er an einer Schwächung Merkels auch in Deutschland interessiert“, sagt er unserer Redaktion. „Da treffen sich zwei Gegner Merkels – diesen Eindruck wird Seehofer nur schwerlich widerlegen können.“ Er müsse wissen, „dass die Russen über den Besuch nur das erfahren werden, was Putin will“.