London/Brüssel. Großbritannien tritt möglicherweise aus der EU aus. Für Brüssel wäre das ein Alptraum. Wir erklären, worum es bei der Debatte geht.

Mit den Vorschlägen zur EU-Reform geht die Gemeinschaft ein gutes Stück auf David Cameron zu. Der britische Premierminister benötigt dringend Rückenwind aus Brüssel: Er muss die „Brexit“-Befürworter zufrieden stellen – auch in den eigenen Reihen. Zwar gebe es „echte Fortschritte“, meint Cameron – aber es ist „noch mehr Arbeit zu tun“. Fest steht: Die nächsten Wochen und Monate bis zum Referendum dürften hochspannend werden.

Warum ist die Debatte so schwierig?

Cameron geht es bei seinen Forderungen nicht nur um Kleinigkeiten und Details - es geht um Grundsätzliches. Seine Kernforderung, EU-Arbeitnehmer zeitweise bestimmte Sozialleistungen vorzuenthalten, die Briten dagegen bekommen, verstößt gegen den Grundsatz der Gleichbehandlung. Ein Ausweg ist da schwer.

Wie geht die EU damit um?

Das jetzt vorliegende Papier schlägt ein Schlupfloch vor. Insider nennen das eine „Notbremse“: Bestimmte staatliche Zuschläge und Steuererleichterungen auf Niedriglöhne können gestrichen werden, falls ein Staat einen übermäßigen Zustrom aus dem EU-Ausland nachweisen kann. Allerdings müssen alle 28 EU-Staaten darüber entscheiden, ob eine solche Notlage tatsächlich gibt. De facto ist die „Notbremse“ auf Großbritannien zugeschnitten. Bisher ist noch offen, wie lange London eine solche Sonderregelung nutzen könnte.

Eine „rote Karte“ für nationale Parlamente. Was ist das?

EU-Ratschef Donald Tusk schlägt vor, dass Volksvertretungen in den Mitgliedstaaten eine EU-Gesetzgebung aufhalten können. Dazu müssen innerhalb von zwölf Wochen 55 Prozent der Parlamente in den EU-Staaten zusammenkommen. Auch das ist ein Entgegenkommen: Cameron pocht seit langem darauf, die Rolle der nationalen Parlamente zu stärken.

Reicht das dem Herr von Downing Street 10, kann er die Austritts-Befürworter damit zufriedenstellen?

Cameron hat zwar einen Teilsieg erreicht. Doch den „Brexit“-Anhängern ist das natürlich nicht genug. Einige nennen die EU-Vorschläge einen „Witz“. Sie bemängeln vor allem, dass London bei der Beschneidung der Sozialleistungen nicht allein das Sagen hat. Kernpunkt der Reformen müsse aber mehr Souveränität für London sein.

Wie geht es jetzt weiter?

Die Debatte wird sich in den kommenden Wochen zuspitzen. Am 18./19. Februar soll der EU-Gipfel entscheiden. Cameron hat bereits klargestellt: Wenn es in seinem Sinne läuft, schlägt er ein - und will dann für ein Verbleib in der EU eintreten. Wenn nicht, wird er weiter für Reformen kämpfen - oder notfalls für den Ausstieg plädieren.

Wann kommt denn nun das Referendum?

Cameron drückt aufs Tempo. Zunächst hatte er gesagt, die Briten sollten bis spätestens Ende 2017 abstimmen, ob sie in der Gemeinschaft bleiben wollen oder nicht. Jetzt fasst er die Abstimmung bereits für Ende Juni ins Auge. Es heißt, Cameron befürchte, dass ein weiterer massiver Flüchtlingsstrom nach Europa im Sommer die Debatte belasten könnten - und Anti-EU-Gefühle bei den Briten verstärkt. Laut Umfragen ist der Ausgang der Abstimmung völlig offen.

Aber ist ein Austritt Großbritanniens wirklich realistisch, ist das tatsächlich eine Option?

EU-Diplomaten in London sprechen hinter vorgehaltener Hand von einem Alptraum - deshalb sind die anderen EU-Länder auch zu massiven Zugeständnissen bereit. Cameron meint zwar, dass ihm ein Verbleib in einer „reformierten EU“ lieber wäre. Doch er warnt auch davor, Londons Austrittsdrohungen lediglich als taktisches Manöver abzutun. Falls beim Referendum der Wunsch nach Austritt die Mehrheit erziele, gebe es keinen „Plan B“, werde es keine zweite Abstimmung zur eventuellen Korrektur geben.

Die EU-Vereinbarungen sind rechtlich ausgesprochen kompliziert? Gibt es Vorbilder?

Ja. Für den Februar-Gipfel ist eine rechtlich verbindliche Erklärung der EU-Staats- und Regierungschefs geplant. In diesem Text werden die wichtigsten Zugeständnisse aufgelistet. Diplomaten verweisen auf die sogenannte Edinburgh-Erklärung der EU aus dem Jahr 1992. Dieses Gipfeldokument sicherte Dänemark mehrere Ausnahmen vom Maastrichter EU-Vertrag zu. (dpa)