Paris. Die Regionalwahlen in Frankreich könnten zum Triumph für den rechtsextremen FN werden. Die Terrorangst spielt der Partei in die Karten.

Der Wahlkampf für die französischen Regionalwahlen war noch gar nicht richtig in Fahrt gekommen, als er von den blutigen Attentaten in Paris abrupt abgewürgt wurde. Mittlerweile hat sich die Schockstarre, in der die trauernde Nation zwei Wochen lang verharrte, zwar langsam gelöst – aber in Frankreich ist nichts mehr wie vor dem 13. November. Der „Krieg gegen den Terror“ hat auch die politischen Koordinaten verschoben. Während er die etablierten Parteien zum Schulterschluss mit Staatschef François Hollande nötigt, öffnet er dem rechtsextremen Front National (FN) Tür und Tor.

Sämtliche Umfragen vor den beiden Wahlgängen an diesem sowie am nächsten Sonntag sehen den Front National vorne. Mit 29 bis 30 Prozent der Stimmen soll FN-Chefin Marine Le Pen im ersten Urnengang landesweit rechnen können. Demnach würden die bürgerlichen Republikaner knapp auf den zweiten Platz verwiesen und die sozialistische Regierungspartei steuert mit höchstens 22 Prozent auf eine weitere herbe Niederlage zu.

„Die politische Software ist überholt“

Sollten die Meinungsforscher richtig liegen, ginge der Front National also wie bei den Europawahlen 2014 als stärkste Kraft des Lande aus dem Votum hervor. Erstmals hat er zudem gute Chancen, im zweiten Wahlgang gleich mehrere der 13 Verwaltungsregionen des Landes zu erobern.

In den Augen von Marion Maréchal-Le Pen, der Enkelin des FN-Gründers Jean-Marie Le Pen, wäre das „nur logisch, da der 13. November aufgedeckt hat, wie überholt die politische Software der etablierten Parteien ist.“

Der Front National verfügt bis heute nur über zwei Sitze in der französischen Nationalversammlung. Einen davon hat 2012 die damals erst 22-jährige Marion Maréchal-Le Pen erobert, die nun auch als FN-Spitzenkandidatin in der Mittelmeerregion Provence-Alpes-Côte-D´Azur (Paca) antritt. Wobei der medienerprobten Blondine die Siegesgewissheit aus jedem Knopfloch sprüht: „Die Dynamik zu unseren Gunsten war schon vor den Anschlägen zu spüren. Aber jetzt haben diese fürchterlichen Ereignisse hervorgehoben, wie Recht wir hatten mit unserer Forderung, den Kampf gegen den radikalen Islam zur obersten Priorität zu machen.“

Sozialisten setzen alte FN-Forderungen um

Doch es sind nicht nur die Attentate, die sich wie ein Brandbeschleuniger für die Thesen des Front National auswirken. Einen ähnlichen Effekt provoziert die Sicherheitspolitik der Linksregierung, die in diesen Tagen die politische Debatte vollkommen beherrscht. Paris hat ja nicht nur den Ausnahmezustand verhängt oder die Grenzkontrollen wieder eingeführt. Auch die Mittel für Militär, Polizei, Geheimdienste und Zoll werden aufgestockt, radikale Moscheen geschlossen und Hassprediger ausgewiesen. Darüber hinaus ist ein Gesetz in Vorbereitung, das Islamisten mit doppelter Nationalität die Aberkennung der französischen Staatsbürgerschaft und die Abschiebung androht.

Alle diese Maßnahmen, die in Umfragen von mehr als 90 Prozent der Franzosen begrüßt werden, standen schon vorher in jeder Wahlkampfbroschüre des Front National – und zwar seit Jahren. Eigentlich bräuchte Marine Le Pen gar nicht von einem TV-Auftritt zum nächsten zu hetzen oder Kundgebungen in den Regionen abzuhalten. Ihre Forderungen sind seit dem 13. November nicht nur konsensfähig geworden, sie werden bereits in die Tat umgesetzt.

Marine Le Pen attackiert Präsident Hollande

Dass die Sicherheitspolitik gar nicht in die Zuständigkeit der Regionalparlamente fällt, über deren Zusammensetzung an den beiden kommenden Sonntagen abgestimmt wird, ist längst völlig untergegangen. Es gibt in diesen Tagen einfach kein anderes Thema. Vor allem aber gibt es kein anderes Thema, mit dem sich mehr Wasser auf die Mühlen des Front National lenken ließe.

Sie habe dem Präsidenten bereits nach dem Anschlag auf das Satiremagazin „Charlie Hebdo“ im Januar aufgefordert, die Grenzen zu schließen und den Ausnahmezustand auszurufen, erklärt Marine Le Pen im staatstragenden Ton. Im Klartext: Im Gegensatz zu ihr habe Präsident Hollande den Ernst der Lage unterschätzt.

Bezeichnenderweise hat es die FN-Chefin gar nicht nötig, diesen Vorwurf auch auszusprechen. So unermüdlich warnt sie seit Monaten vor der Bedrohung, die von radikalen Moslems und von „Millionen ungehindert nach Europa strömenden Flüchtlingen“ ausgeht, dass jeder Wähler die Anspielung verstehen muss.

Was passiert im zweiten Wahlgang?

Es geht gar nicht mehr um die Frage, ob dem FN ein weiterer Wahlerfolg gelingt, sondern wie groß dieser ausfällt. In drei, möglicherweise sogar in fünf Regionen könnten die Rechtsextremen am Sonntagabend die Nase vorne haben. Im Norden, in der Region Nord-Pas-de-Calais-Picardie, wo die Parteichefin persönlich antritt, gilt ein FN-Sieg bereits als so gut wie sicher. Aber auch Nichte Marion Maréchal-Le Pen (in der Mittelmeerregion PACA) sowie Marine Le Pens Lebensgefährten Louis Aliot (in der Region Languedoc-Roussillon-Midi-Pyrénées) weisen die Umfragen die Favoritenrolle zu.

Obwohl Maréchal-Le Pen mit einem deutlichen und Aliot mit einem knappen Vorsprung ins Rennen gehen, hängen ihre Erfolge zum Teil von den Wahlempfehlungen der etablierten Parteien für den zweiten Urnengang ab. Sollten sich Sozialisten und Bürgerliche auf ein „republikanisches Bündnis“ verständigen, ließe sich in beiden Regionen ein Sieg des Front National vielleicht noch verhindern. Im Norden hingegen, wo Marine Le Pen schon im ersten Wahlgang an der 40-Prozent-Marke kratzen dürfte, scheint die Abwehrschlacht bereits verloren.

Hollande hofft auf gestiegene Umfragewerte

Etwas Hoffnung schöpfen die regierenden Sozialisten aus neuen Umfragen zum Präsidenten. François Hollande kann nach den Terrorattacken von Paris auf neue Unterstützung der Franzosen setzen. Mit dem aktuell von Trauer um die Opfer und gleichzeitig hartem Kampf gegen den IS-Terror geprägten Handeln Hollandes sind jetzt 50 Prozent der Befragten zufrieden – ein Plus von 22 Punkten im Vergleich zum Vormonat. Wegen schlechter Wirtschaftslage und Dauerarbeitslosigkeit steckte der Präsident seit Jahren im Umfragetief.

Allerdings: Auch nach dem Terroranschlag auf „Charlie Hebdo“ im Januar frischte ein auf Einheit der Nation setzender Hollande seine sonst desaströsen Werte auf – um schon bald danach erneut in den Beliebtheitsumfragen abzustürzen.