Istanbul. Nach dem Abschuss eines russischen Jets durch türkische Kampfflieger schlägt Russlands Präsident Putin scharfe Töne an.

Türkische Streitkräfte haben ein russisches Kampfflugzeug im syrisch-türkischen Grenzgebiet abgeschossen. Das Verteidigungsministerium in Moskau teilte nach Angaben der Agentur Interfax am Dienstag mit, dass eine Maschine vom Typ Suchoi Su-24 in Syrien abgestürzt sei. Nach russischer Darstellung wurde sie vom Boden aus abgeschossen. Es ist der erste offiziell bestätigte Verlust der russischen Streitkräfte seit Beginn ihrer Intervention im syrischen Bürgerkrieg Ende September.

Die türkischen Streitkräfte teilten mit, ein Flugzeug unbekannter Herkunft habe den türkischen Luftraum verletzt und innerhalb von fünf Minuten zehn Warnungen ignoriert. Zwei türkische F16-Kampfflugzeuge hätten den fremden Jet den Einsatzregeln entsprechend am Morgen in der Grenzregion Hatay abgeschossen. Die Nato steht in Kontakt mit den türkischen Behörden und setzte für 17 Uhr ein Sondertreffen mit Vertretern aller Mitgliedsstaaten ein. Das Bündnis beobachte die Lage sehr genau, sagte ein Sprecher.

Moskau dementiert Luftraum-Verletzung

Das Ministerium in Moskau widersprach der türkischen Darstellung, wonach der Jet türkischen Luftraum verletzt habe. Nachweislich sei das Flugzeug die ganze Zeit über syrisches Territorium geflogen. Ankara habe keine Beweise für ihre Behauptung, sagte Kremlsprecher Peskow. Wie das russische Verteidigungsministerium mitteilte, sei der Jet in 6000 Meter Höhe vom Boden aus abgeschossen worden. Der Abschuss sei ein "sehr ernster Vorfall" und eine „feindselige Handlung“.

"Über irgendwelche militärische Folgen" habe Präsident Putin bisher nicht gesprochen, sagte Kremlsprecher Dmitri Peskow am Dienstag in Moskau. „Trotzdem ist es klar, dass es unausweichlich Folgen geben muss.“ Russland sei daher gespannt auf die Ergebnisse der für Dienstagabend angekündigten Nato-Sondersitzung - einschließlich der Reaktion auf die „Provokation der türkischen Seite“. Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan wird im Dezember in Moskau erwartet. Peskow sagte, bislang sei nicht entschieden, ob der Besuch stattfinde.

Putin verurteilte Abschuss

Russlands Präsident Wladimir Putin verurteilte den Abschuss in scharfen Worten. Im Kampf gegen den Terror sei das ein Schlag von hinten gewesen, „begangen von Helfershelfern von Terroristen“, sagte Putin am Dienstag live im russischen Fernsehen. Das russische Flugzeug habe keine Gefahr für die Türkei dargestellt.

Das russische Parlament forderte, den türkischen Botschafter einzubestellen. Die diplomatischen Beziehungen zwischen Russland und der Türkei sollten heruntergefahren werden, bis die Türkei vom Sicherheitsrat der UN für ihren "Angriff gegen Russland" zur Verantwortung gezogen werde.

Der türkische Ministerpräsident Ahmet Davutoglu erklärte in Ankara, sein Land habe das Recht sich zu verteidigen, wenn der Luftraum verletzt werde. Die Welt müsse wissen, dass die Türkei "alles Notwendige" tun werde, um die Sicherheit des Landes zu gewährleisten.

Syrien hat der Türkei derweil eine Verletzung ihrer Souveränität vorgeworfen. Die Türkei habe über syrischem Boden ein befreundetes russisches Flugzeug abgeschossen, das von einem Einsatz gegen die Terrormiliz Islamischer Staat (IS) zurückgekehrt sei, zitierte die staatliche Nachrichtenagentur Sana am Dienstag eine nicht näher genannte Armeequelle. Die türkische Regierung stehe an der Seite des Terrorismus und unterstütze ihn in jeder Form, hieß es weiter. Die „verzweifelten feindlichen Handlungen“ würden aber Syriens Entschlossenheit steigern, den Kampf gegen Terrororganisationen fortzusetzen.

Russlands Außenminister hat Türkei-Besuch abgesagt

Ein für diesen Mittwoch geplanter Besuch des russischen Außenministers Sergej Lawrow in der Türkei wurde nun abgesagt. Lawrow sagte zu Journalisten, dass er russischen Bürgern empfehle, nicht in die Türkei zu reisen. Die Terrorbedrohung dort sei nicht geringer als in Ägypten, wo eine Bombe eine russische Passagiermaschine zum Absturz brachte.

Die staatliche türkische Nachrichtenagentur Anadolu zeigte ein Video vom Moment des Absturzes. Darauf ist zu sehen, wie ein brennendes Kampfflugzeug zur Erde stürzt.

Piloten sollen noch am Leben sein

Die Piloten des im türkisch-syrischen Grenzgebiet abgeschossenen russischen Kampfflugzeuges sollen einem türkischen Medienbericht zufolge doch noch beide am Leben sein. Die Russen seien in den Händen syrischer Regimegegner, meldete die Nachrichtenagentur DHA am Dienstag unter Berufung auf türkische Regierungsquellen. Örtliche Rebellen hatten zuvor mitgeteilt, dass einer der Piloten tot sei. Er sei "durch die Hände von Rebellen umgekommen", hieß es in einem im Internet verbreiteten Video. In dem Video ist eine leblose Person in Uniform zu sehen.

In der Region kämpfen radikale und moderate Rebellen gegen Anhänger des Regimes. Dazu gehört neben Kämpfern der ethnischen Minderheit der Turkmenen auch die Al-Nusra-Front, der syrische Ableger des Terrornetzes Al-Kaida.

Türkei unterstützt Assad-Gegner

Russlands Unterstützung für die syrische Regierung belastet das Verhältnis zwischen Moskau und Ankara. Die Türkei ist ein ausgesprochener Gegner des syrischen Machthabers Baschar al-Assad. Die russische Luftwaffe unterstützt mit ihren Angriffen die syrische Führung.

Das türkische Außenministerium hatte wegen russischen Luftangriffen auf turkmenische Rebellen in Syrien erst am vergangenen Freitag den russischen Botschafter in Ankara einbestellt. Aus Sicht des Ministeriums treffen die Russen mit ihren Luftschlägen nicht Terroristen, sondern Zivilisten. Die Türkei unterstützt die turkmenischen Rebellen, die gegen Assad kämpfen. Der türkische Ministerpräsident Ahmet Davutoglu hatte am Montag betont, die Armee werde auf Grenzverletzungen aus Syrien sofort reagieren.

Dem Verteidigungsministerium in Moskau zufolge wurden zudem drei russische Kriegsreporter bei Beschuss in Syrien verletzt. Die Journalisten hätten an vorderster Front die syrische Armee bei ihrer Offensive gegen Rebellen begleitet, meldete Interfax. (dpa/rtr)