Brüssel. Reformvorschläge bei Eurogruppenchef angekommen. Menschenrechtsgerichtshof spricht Strafe aus. Tsipras will Syriza frei abstimmen lassen.

Nächster Akt im griechischen Schuldendrama: Die Euro-Partner haben dem Athener Premier Alexis Tsipras ein Ultimatum gestellt. Wenn er in dieser Woche keine harten Reformen vorlegt, will Europa Griechenland kein Geld mehr geben. Am Sonntag soll ein Sondergipfel die endgültige Entscheidung fällen. Tsipras kündigte für den heutigen Donnerstag einen neuen Reformplan an. Die Entwicklungen im Live-Blog bei abendblatt.de.

Athener Sparprogramm eingetroffen - Erste Details

Die griechische Regierung hat ihr Sparprogramm auf den Weg gebracht. Die Vorschläge seien gegen 21.30 Uhr MESZ per E-mail an den Eurogruppenchef Jeroen Dijsselbloem abgeschickt worden, berichtete der Sender unter Berufung auf die Regierung in Athen weiter. Später am Abend bestätigte ein Sprecher, die Spar- und Reformvorschläge seien bei Eurogruppenchef Jeroen Dijsselbloem eingetroffen. Die Geldgeber hatten der Athener Regierung bis Mitternacht Zeit gegeben, ihre konkreten Pläne vorzulegen. Nach ersten Informationen soll die Regierung in dem Vorschlag anbieten,Vergünstigungen bei der Mehrwertsteuer auf Inseln bis Ende 2016 zu streichen - ein wichtiger Streitpunkt bei früheren Gesprächen.

Parlament in Athen könnte Freitag über Sparprogramm beraten

Das griechische Parlament könnte Medienberichten zufolge bereits am Freitag über ein Sparprogramm der Regierung beraten. Die Abstimmung könnte am Freitag- oder am Sonnabendabend stattfinden, berichteten griechische Fernsehsender und Nachrichtenportale übereinstimmend weiter. Dem Vernehmen nach geht es um ein mehr als zwölf Milliarden Euro schweres Programm. Das Sparprogramm sollte am Donnerstagabend nach Brüssel geschickt werden.

Tausende demonstrieren in Athen für den Verbleib im Euroland

Tausende haben am Donnerstagabend in Athen für einen Verbleib Griechenlands im Euroland demonstriert. Die Kundgebung stand unter dem Motto: „Wir bleiben in Europa“ statt. Die Menschen forderten, dass sich die Regierung unter Ministerpräsident Alexis Tsipras mit den Partnern und Gläubigern verständigt, damit Griechenland den Euro als Währung behalten kann. Zu der Demonstration hatten Sympathisanten und Wähler der oppositionellen konservativen Partei Nea Dimokratia sowie der Sozialisten (Pasok) und anderer pro-europäischer Organisationen und Vereinigungen aufgerufen.

Griechenland-Optimismus treibt den Dax kurz über 11.000 Punkte

Spekulationen auf eine baldige Einigung im griechischen Schuldenstreit haben den deutschen Aktienmarkt weiter angetrieben. Der Leitindex Dax baute seine Vortagesgewinne deutlich aus und übersprang sogar kurz wieder die Marke von 11.000 Punkten. Am Ende stand ein Plus von 2,32 Prozent bei 10 996,41 Punkten. Der Index der mittelgroßen Werte MDax zog um 2,14 Prozent auf 19.812,61 Punkte an. Für den TecDax der Technologiewerte ging es um 1,90 Prozent auf 1645,46 Punkte nach oben.

Schäuble vermisst vertrauensbildende Maßnahmen Griechenlands

Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) vermisst vertrauensbildende Maßnahmen der griechischen Regierung zur Lösung des Schuldenstreits mit Athen. Er habe dem neuen griechischen Finanzminister Euklid Tsakalotos gesagt: „Macht doch die eine oder andere Maßnahme. Geht doch in Euer Parlament und: Just do it. Das würde wahnsinnig viel Vertrauen schaffen“, sagte der CDU-Politiker bei einer Bundesbank-Tagung in Frankfurt. „Aber ich habe nicht mitbekommen, dass seit Dienstag irgendeine Maßnahme in Griechenland in Kraft gesetzt wurde.“ Schäuble betonte: „Meine Fantasie, wie wir vertrauensbildende Maßnahmen zwischen jetzt und Sonntag 24.00 Uhr bekommen sollen, ist sehr begrenzt.“

Juncker empfängt Politiker griechischer Oppositionsparteien

In der griechischen Schuldenkrise empfängt EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker Politiker griechischer Oppositionsparteien. „Das ist ein wichtiger Augenblick. Und Präsident Juncker will zuhören“, sagte Junckers Sprecher in Brüssel. Der Luxemburger wollte am Donnerstag mit einer Delegation der konservativen Nea Demokratia zusammenkommen.

Griechenland muss wegen schlechter Haftbedingungen zahlen

Auch das noch: Griechenland muss wegen schlechter Haftbedingungen für HIV-positive Strafgefangene insgesamt 260.000 Euro Strafe zahlen. Dazu wurde das Krisenland durch den Europäischen Menschenrechtsgerichtshof verurteilt. Die Straßburger Richter betonten in ihrer am Donnerstag veröffentlichten Entscheidung, die 13 Kläger seien nicht angemessen medizinisch versorgt worden. Auch seien ihre Zellen im Gefängniskrankenhaus von Korydallos überfüllt und die Ernährung unzureichend gewesen. Die Inhaftierten hätten psychisch und physisch unter den schlechten Haftbedingungen gelitten. Die Missstände seien auch von griechischen Untersuchungsbehörden bestätigt worden.

Dagegen wiesen die Richter die Klagen ab, die Häftlinge seien wegen ihrer Erkrankung „ghettoisiert“ worden. Die Gefängnisleitung sei vielmehr bestrebt gewesen, durch die gesonderte Unterbringung den Bedürfnissen der HIV-positiven Gefangenen besser gerecht zu werden. Die 13 Kläger erhielten jeweils 20.000 Euro Entschädigung zugesprochen.

Drastische Zunahme griechischer Pass-Anträge

Angesichts der dramatischen Finanzkrise in Griechenland hat die Zahl der Anträge auf Ausstellung neuer Reisepässe drastisch zugenommen. Die Zeitung „Kathimerini“ wertete dies als ein Indiz dafür, dass viele Griechen aus Angst vor einem „Grexit“, einem Ausstieg aus der Eurozone, erwägen auszuwandern.

In Athen seien zuletzt an einem Tag 1580 Anträge bei den zuständigen Polizeistellen vorgelegt worden, berichtete das Blatt am Donnerstag unter Berufung auf die Sicherheitskräfte. Dies bedeute eine Steigerung um über 50 Prozent im Vergleich zum entsprechenden Tag des Vorjahres. Die Zunahme der Pass-Anträge habe begonnen, als Ministerpräsident Alexis Tsipras eine Volksabstimmung über Spar- und Reformmaßnahmen angesetzt habe.

Mehr Griechenland-Pauschalreisen als 2014

Bei den Pauschalreise-Veranstaltern der DER Touristik hat sich Griechenland bei den Buchungen in diesem Sommer trotz der finanziellen Krise stark entwickelt und liegt 21 Prozent über den Zahlen des Vorjahres. Umbuchungs- und Stornierungswünsche gebe es nicht, erklärte DER Touristik am Donnerstag.

Weiterer EU-Gifpel am Sonntag

Zur Lösung der griechischen Schuldenkrise wird es am Sonntagnachmittag ein weiteres europäisches Gipfeltreffen geben. „Wir haben nur noch drei Tage bis zum nächsten Gipfel“, sagte EU-Ratspräsident Donald Tusk am Donnerstag in Luxemburg. Wie der Sprecher von Tusk mitteilte, sollen zunächst um 16 Uhr die Staats- und Regierungschefs der 19 Euro-Länder zusammenkommen, um 18 Uhr dann in größerer Runde alle 28 EU-Länder.

Damit bestätigte Tusk den bereits angekündigten Termin für Sonntag. Griechenland hatte einen Antrag auf neue Hilfe aus dem Euro-Rettungsschirm ESM gestellt und muss nun noch ein Reformpaket vorlegen, das Voraussetzung für die Unterstützung ist. „Ich hoffe, dass wir heute konkrete und realistische Vorschläge von Athen erhalten“, sagte Tusk.

Für Sonnabend ist bereits ein Treffen der Finanzminister der Eurozone geplant. Für dieses Treffen ist noch keine Uhrzeit bekannt.

Bosbach bezweifelt Unions-Mehrheit für drittes Hilfspaket

Kanzlerin Angela Merkel kann sich nach Ansicht des CDU-Abgeordneten Wolfgang Bosbach im Falle eines neuen Griechenland-Rettungspaketes nicht auf eine Mehrheit in ihrer Bundestagsfraktion verlassen. Bosbach sagte dem Bonner „General-Anzeiger“ (Freitag): „Es würde sehr, sehr schwierig, für ein drittes Hilfspaket eine Mehrheit in der Unionsfraktion zu finden. Möglicherweise gibt es aber eine deutliche Mehrheit im Bundestag.“

Bosbach verwies darauf, dass bereits bei der Abstimmung über die Verlängerung des zweiten Hilfspaketes Ende Februar mehr als 100 Abgeordnete der Unionsfraktion „nur unter erheblichen Bauchschmerzen zugestimmt“ hätten.

Er betonte, er persönlich werde keinen weiteren Rettungspaketen zustimmen, die dem Zweck dienten, Griechenland um jeden Preis in der Eurozone zu halten. „Es fehlt dort an der Einsicht, dass sich Wirtschaft und Staat umfassend modernisieren müssen, und an der politischen Kraft, dies auch zu tun.“

Trotz der kritischen Stimmung in der Fraktion müsste Merkel aber eine Abstimmung über ein drittes Hilfspaket nicht mit der Vertrauensfrage verbinden. „Unser Vertrauen in sie ist groß, und das weiß sie auch ohne Abstimmung“, sagte er.

Am Vortag hatte Ex-Innenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) gesagt, er kenne niemanden in der Unionsfraktion, der eine Basis für ein drittes Hilfspaket für Griechenland sehe.

Dagegen glauben Bundestagsvizepräsident Peter Hintze, Unionsfraktionsvize Thomas Strobl und Ex-Bundesfamilienministerin Kristina Schröder (alle CDU) nicht, dass Merkels Rückhalt in den eigenen Reihen wegen der Griechenland-Politik schwinde. Das sagten sie den Zeitungen der Funke-Mediengruppe (Donnerstag). Bleibe es bei dem Grundsatz, dass es keine Leistung ohne Gegenleistung gebe, habe Merkel „mit Sicherheit die gesamte Fraktion hinter sich“, sagte Schröder. Hintze sagte: „Ich bin sicher, dass die Fraktion in jedem Fall einem Vorschlag von Bundeskanzlerin Merkel folgen wird.“

Tsipras will Syriza frei nach Gewissen abstimmen lassen

Der griechische Ministerpräsident Alexis Tsipras sucht nach Wegen, eine mögliche Einigung mit den Geldgebern über ein Hilfspaket durch das Parlament zu bringen, ohne einen Bruch des Regierungslagers zu riskieren. Wie die Deutsche Presse-Agentur am Donnerstag aus griechischen Regierungskreisen erfuhr, will Tsipras die Abgeordneten seines Linksbündnisses Syriza ohne Fraktionszwang nach ihrem Gewissen abstimmen lassen.

Vertreter des linken Syriza-Flügels hatten angekündigt, in jedem Fall gegen ein neues Sparprogramm zu votieren. Insider erwarten bis zu 30 Abweichler. Mit einem Verzicht auf den Fraktionszwang würde der Regierungschef es verhindern, dass es zu einem offenen Bruch im Regierungslager komme, hieß es.

Tsipras kann sich allerdings darauf verlassen, dass die Abgeordneten der wichtigsten Oppositionsparteien für ein Spar- und Reformprogramm stimmen werden. Damit wäre die Mehrheit praktisch gesichert. Das Datum für eine mögliche Abstimmung im griechischen Parlament steht noch nicht fest.

Pro Asyl: Mehr Hilfe für Flüchtlinge in Griechenland

Die Flüchtlingsorganisation Pro Asyl hat mit Blick auf die Griechenlandkrise mehr Hilfe für die dort eintreffenden Flüchtlinge gefordert. "Angesichts des Versagens der EU-Staaten fordern wir die deutschen Katastrophenhilfsorganisationen auf, sofort ein Nothilfeprogramm in Griechenland zu starten", sagte Pro-Asyl-Bundesgeschäftsführer Günter Burkhardt der "Welt" (Donnerstag). "Es ist ein Skandal, dass auf europäischen Boden nicht einmal das nackte Überleben von Flüchtlingen gesichert werden kann."

Es brauche eine gesamteuropäische Verantwortung, so Burkhardt weiter. Die Rettung und Aufnahme sei nicht allein die Aufgabe von Italien und Griechenland. "Die Flucht über das Meer würde aber nur durch die Öffnung legaler Wege gemindert."

Dies fordere auch einen größeren Einsatz für die Herkunftsländer. "Europa darf nicht nach dem kurzfristigen Profit streben, sondern muss im eigenen langfristigen Interesse eine Politik betreiben, die die wirtschaftliche Entwicklung dieser Staaten fördert", so der Bundesgeschäftsführer.

Leitartikel: Kein Schlussstrich unter Griechenland

Laut Pro Asyl ist Deutschland in den kommenden Jahren auf Zuwanderung angewiesen. "Es ist möglich, mehr Menschen aufzunehmen, wenn man sich als Gesellschaft darauf einstellt und Integration organisiert." In der Bundesrepublik gebe es auch eine große Aufnahmebereitschaft. Flüchtlinge sollten aber nicht in großen Sammelunterkünften "am Rande der Ortschaften ausgegrenzt werden". Es brauche Sprachkurse und Hilfe bei der Suche nach Wohnung und Arbeit, "dann bleibt Solidarität in der Gesellschaft so groß, wie sie im Moment ist".

Lagarde erhöht Druck auf griechische Regierung

In der Griechenland-Krise erhöht der Internationale Währungsfonds (IWF) den Druck auf die Regierung in Athen. Griechenland befinde sich nun in einer gegensätzlichen Position zum Weltwährungsfonds, sagte IWF-Chefin Christine Lagarde in Washington. Die griechischen Bürger hätten die letzten Vorschläge der Institutionen und der Europäer bei dem Referendum abgelehnt. Das Land stecke in einer „akuten Krise“, sagte Lagarde in ihrer Rede vor dem Institut Brookings.

Sie signalisierte zugleich Gesprächsbereitschaft: „Der IWF bleibt der Suche nach einer Lösung, um in Griechenland Stabilität und ein tragfähiges Schuldenniveau wiederherzustellen, voll verpflichtet.“

Lagarde mahnte - im Gegensatz zu Deutschland - eine Umstrukturierung der griechischen Schulden an. Zu diesem Schritt habe der Fonds - zusammen mit der Forderung nach Reformen - stets geraten, und an dieser Ansicht habe sich auch nichts geändert. Das Land stecke in einer „akuten Krise“, die ernsthaft und schnell bekämpft werden müsse, sagte Lagarde.

Weidmann: Eventuelle Brückenfinanzierung für Athen nicht von EZB

Bundesbank-Präsident Jens Weidmann stemmt sich gegen Begehrlichkeiten nach weiteren Finanzhilfen der Europäischen Zentralbank (EZB) für das taumelnde Griechenland. „Die Zweifel an der Solvenz der griechischen Banken sind legitim und nehmen jeden Tag zu“, sagte Weidmann am Donnerstag bei einer Tagung der Bundesbank in Frankfurt. „Es muss klar sein, dass die Verantwortung für die weiteren Entwicklungen in Griechenland und für jedwede Entscheidung zu finanziellen Transfers bei der griechischen Regierung und den Partnerländern liegt - und nicht beim EZB-Rat.“ Die Europäische Zentralbank (EZB) hat die Notkredite für Griechenlands Banken bei knapp 90 Milliarden Euro eingefroren.

Sollte bis zu einer endgültigen Einigung über ein neues Hilfsprogramm für Athen eine Brückenfinanzierung notwendig sein, sei es Sache der Politik diese bereitzustellen, sagte Weidmann. Griechenland muss unter anderem am 20. Juli 3,5 Milliarden Euro Staatsanleihen tilgen, die die EZB hält. Außerdem schuldet das Land dem Internationalen Währungsfonds (IWF) noch gut 1,5 Milliarden Euro, die eigentlich am 30. Juni fällig gewesen wären.

„In jedem Fall sollte das Eurosystem die Bereitstellung von Liquidität nicht ausweiten und die Kapitalverkehrskontrollen sollten so lange in Kraft bleiben bis ein angemessenes Hilfspaket von allen Partner vereinbart ist und die Solvenz sowohl des griechischen Staates als auch des griechischen Bankensystems gewährleistet ist“, betonte Weidmann.

2200 deutsche Rentner in Griechenland

In Griechenland beziehen derzeit rund 2200 Deutsche eine Rente. Die jüngsten Rentenzahlungen wurden Ende Juni laut Bundessozialministerium ohne Probleme und pünktlich über die Bundesbank an die griechischen Banken angewiesen. Probleme bei der Auszahlung ließen sich bisher nicht verlässlich beurteilen. „Wir behalten das jedoch im Blick.“

Insgesamt wurden Ende Juni demnach rund 92.000 Rentenzahlungen nach Griechenland geleistet. Überwiegend handele es sich um Zahlungen an Griechen, die in Deutschland einen Rentenanspruch erarbeitet haben und diesen auf ihr griechisches Konto überwiesen bekommen. „Klar ist, dass alle Menschen in Griechenland vor den gleichen Schwierigkeiten stehen, Bargeld zu bekommen.“

DIW: Griechenland benötigt jahrelange Hilfe

Griechenland wird aus Sicht des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) noch lange Hilfe von außen brauchen - ob mit oder ohne Euro. „Wir dürfen uns nicht der Illusion hingeben, dass Deutschland mit einem Scheitern der Verhandlungen besser leben kann“, sagte DIW-Präsident Marcel Fratzscher der Deutschen Presse-Agentur in Berlin. „Griechenland wird über Jahre auf europäische Hilfe angewiesen sein, und wenn es humanitäre ist.“

Im Schuldenstreit bleiben Athen nur noch wenige Tage für einen Kompromiss. Die Europartner haben eine Frist bis Ende dieser Woche gesetzt. „Es wird irgendwann einen Deal geben“, zeigte sich Fratzscher gewiss. „Die Frage ist nicht ob, sondern wann. Je länger es dauert, desto schmerzhafter wird es für die Griechen.“ Eine weitere Verzögerung könne zu einem kompletten Bankenzusammenbruch führen.

Für die nächsten zwei Jahre hält der Ökonom ein drittes Hilfsprogramm mit einem Volumen von 30 bis 40 Milliarden Euro für den griechischen Staat für nötig. Außerdem sei ein zweistelliger Milliardenbetrag für die griechischen Banken notwendig. „Perverserweise ist ein drittes Programm durch die griechische Verhandlungsstrategie unausweichlich geworden. Denn die griechische Regierung hat die Wirtschaft vor die Wand fahren lassen.“

Der DIW-Chef warnte vor einem Euro-Ausstieg Athens. „Der "Grexit" ist die absolut schlechteste Option für alle. Der würde Griechenland in eine fünf bis zehn Jahre dauernde Depression stürzen. Und die deutschen Steuerzahler würden deutlich mehr Geld abschreiben müssen.“

Eine Rückkehr zur alten griechischen Währung Drachme löse die Schwierigkeiten nicht, widersprach Fratzscher entsprechenden Forderungen. „Das ist wirtschaftlicher Unfug. Wir Deutschen wissen allzu gut, dass man mit einer Weichwährung nicht Wohlstand schaffen kann.“

Das Problem sei ja nicht, dass die Griechen gute, wettbewerbsfähige Produkte hätten, die nur etwas zu teuer seien. „Letztlich funktionieren die Institutionen in Griechenland nicht so, wie es für eine Marktwirtschaft notwendig ist“, sagte Fratzscher mit Verweis auf Korruption, unzureichende Kataster- und Steuerverwaltung, komplizierte Genehmigungsverfahren und zu wenig Vorkehrungen gegen Monopolbildungen.

Chronologie der Griechenland-Krise

März 2010

Das Parlament in Athen verabschiedet ein erstes massives Sparprogramm, das unter anderem Steuererhöhungen sowie das Einfrierender Renten vorsieht. Massenproteste folgen. Die Eurostaaten sagen ein erstes Hilfspaket unter Beteiligung des Internationalen Währungsfonds(IWF) zu.

April/Mai 2010

Griechenland beantragt offiziell ein Hilfsprogramm. Die Eurogruppe beschließt Notkredite in Höhe von 110 Milliarden Euro und verlangt im Gegenzug einen harten Sparkurs.

Oktober 2011

Ein zweites Rettungspaket wird beschlossen:Griechenlands private Gläubiger sollen freiwillig einem Schuldenschnitt von 50 Prozent zustimmen. Zudem soll es Kredithilfen von 100 Milliarden Euro geben und Garantien von 30 Milliarden Euro, mit denen der Schuldenschnitt begleitet wird.

Februar/März 2012

Das griechische Parlament stimmt einem weiteren Sparpaket zu, das auf Druck der internationalen Geldgeber mehrfach verschärft wird.

November 2012

Athen billigt abermals ein Sparpaket als Voraussetzung für weitere Hilfen. Ein drittes Rettungspaket ist im Gespräch. Die Eurogruppe signalisiert, dass weitere Hilfen möglich sind - aber erst, wenn das laufende Hilfsprogramm erfolgreich beendet wird.

Juli 2013

Und wieder muss Athen neuen Sparmaßnahmen zustimmen. Siesehen unter anderem die Entlassung von 15 000 Staatsbediensteten vor. Bei weiteren 25 000 Beamten werden die Einkommen gekürzt.

Januar 2015

Die Linkspartei Syriza unter Alexis Tsipras gewinnt die Parlamentswahl. Seine Popularität verdankt er der Ablehnung desvereinbarten Sparkurses.

Februar 2015

Die Euro-Finanzminister verlängern das - bereits einmal verlängerte - Hilfsprogramm von Ende Februar bis Ende Juni 2015.

März 2015

Athen legt eine Liste mit Reformen vor, die pro Jahr drei Milliarden Euro einbringen sollen. Es geht vor allem um den Kampf gegen Steuerhinterziehung. Die internationalen Geldgeber halten die Liste für unzureichend und verlangen Nachbesserungen.

Mai 2015

Das Tauziehen um Reformen geht weiter. Die Finanznot in Athen wird immer größer. Die Regierung sucht nach Geld, um Kreditschulden beim Internationalen Währungsfonds bezahlen zu können.

Juni 2015

Der IWF erlaubt Griechenland, insgesamt vier im Juni fällige Kredite erst Ende des Monats zurückzuzahlen. Athen legt neue Reformvorschläge vor, Krisentreffen auf Spitzenebene bleiben aber ergebnislos. Tsipras schlägt überraschend vor, das griechische Volk über die Sparvorschläge der Geldgeber abstimmen zu lassen und wirbt für ein negatives Votum. Die Eurogruppe erklärt die Verhandlungen für gescheitert, das Hilfsprogramm wird nicht verlängert.

13. Juli 2015

Der Grexit ist vorerst abgewendet. Beim Euro-Gipfel in Brüssel einigen sich die Regierungschefs mit Griechen-Premier Alexis Tsipras auf ein Reform- und Sparprogramm. Der Finanzbedarf der Griechen wird auf 82 bis 86 Milliarden Euro in den nächsten drei Jahren taxiert. Die Parlamente in den Euro-Ländern müssen noch zustimmen.

1/12

(HA/dpa/kna)