Amerika trauert um die Opfer der Terroranschläge vom 11. September 2001. Präsident Obama verliest einen Bibel-Psalm an Ground Zero in New York.

Hamburg/New York. Es war jener Tag, an dem Amerika, Sinnbild dynamischer Rastlosigkeit, innehielt. Eine ganze Nation schwieg in Trauer. Zunächst um 8.46 Uhr Ortszeit - in dieser Minute des 11. September 2001 war American-Airlines-Flug 11 in den Nordturm des New Yorker World Trade Centers gerast. 92 Menschen an Bord der Boeing 767, darunter fünf Al-Qaida-Terroristen, vergingen in einem Inferno aus explodierendem Kerosin.

Es war der Auftakt zu einem Massenmord, wie ihn die Geschichte des Terrors noch nie erlebt hatte. Um 9.03 Uhr flog dann United-Airlines-Flug 175 in den Südturm, um 9.37 Uhr explodierte American-Airlines-Flug 77 im Pentagon in Washington. Um 10.03 Uhr endete United-Airlines-Flug beim Einschlag auf eine Wiese in Shanksville in Pennsylvania. Todesmutige Passagiere hatten sich gegen ihre Entführer aufgelehnt, damit einen weiteren Terrorakt verhindert und die Maschine zum Absturz gebracht. Als um 9.59 Uhr und um 10.28 Uhr die 410 Meter hohen Zwillingstürme des World Trade Centers einstürzten und viele Menschen unter 1,8 Millionen Tonnen glühendem Schutt begruben, hatte Amerika an diesem Tag 2973 Opfer zu beklagen. Und jeder dieser Zeitpunkte markierte gestern eine Schweigeminute.

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Gestern war dieser Albtraum, der sich den 310 Millionen Amerikanern in die Seelen gebrannt hat, 3652 Tage beziehungsweise 87 648 Stunden, 5258 880 Minuten oder 315 532 800 Sekunden her, wie die "New York Times" penibel auflistete. Das ist weit mehr als Detailversessenheit; denn für Millionen Amerikaner - und keineswegs nur für die Angehörigen der Opfer - dauert dieser Albtraum an.

Seit zehn Jahren ist Amerika gefangen in einem Klima der Angst; weit mehr als der japanische Angriff auf Pearl Harbour am 7. Dezember 1941 zeigte der 11. September 2001, dass selbst die Vereinigten Staaten verwundbar sind. Ausgerechnet New York, der verlockende "Big Apple", das seit mehr als 200 Jahren keinen Kampf mehr erlebt hatte, war plötzlich Frontstadt geworden. Und das Amerika von heute ist ein ganz anderes als das von 2001. Nicht nur, dass eine tiefe politische Spaltung das Land erfasst hat.

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Der wirtschaftliche Niedergang der USA, nicht zuletzt mitverschuldet durch die beiden, bislang insgesamt 1,5 Billionen Dollar teuren Dauerkriege im Irak und Afghanistan, ist teilweise auch eine Konsequenz der Massenmorde von 9/11. Es wirkte gestern wie eine düstere Symbolik, dass sich die über zwölf Stockwerke hohe US-Fahne, Symbol amerikanischer Macht, am neu errichteten Hochhaus "1 World Trade Center" zuerst nicht entfalten wollte, weil sie sich in einem Baugerüst verheddert hatte. Kurz bevor die Angehörigen der Opfer am Ground Zero eintrafen, befreiten Arbeiter das Tuch.

Von einer "gepanzerten Nation" sprach die "Süddeutsche Zeitung" in Bezug auf das gigantische System der Terrorabwehr, das in den USA in Kraft ist. Gestern sorgte die Meldung, es seien angeblich drei Terroristen ins Land gelangt, um irgendwo Autobomben zu zünden, für neue Unruhe. Ohnehin waren Abertausende Polizisten, Elitesoldaten, Scharfschützen, Geheimagenten, Strahlenexperten und andere im Einsatz. New York und Washington glichen Hochsicherheitstrakten.

Als die Gedenkfeiern begannen, legten sich die klagenden Töne von Dudelsäcken über die Stadt New York. Und als die Namen aller fast 3000 Todesopfer vorgelesen wurden, flossen bei vielen Menschen die Tränen, zitterten viele Schultern. US-Präsident Barack Obama, der sich mit Ehefrau Michelle vorgenommen hatte, an allen drei Schauplätzen des Terrors - Ground Zero, Pentagon, Shanksville - nacheinander zugegen zu sein, hielt keine Rede, sondern verlas den Bibel-Psalm 46 ("Gott ist unsere Zuflucht und Stärke"). Am Vortag hatte Obama auf dem Nationalfriedhof von Arlington gesagt: Amerika lasse sich "vom Terror nicht brechen, egal, was auf uns zukommt". Der Präsident betonte: "Die USA sind stärker, und al-Qaida ist auf dem Weg zur Niederlage. Al-Qaida wollte uns terrorisieren, aber als Amerikaner weigern wir uns, in Angst zu leben."

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Sein Vorgänger George W. Bush, 2001 Präsident, las aus einem Brief von Bürgerkriegspräsident Abraham Lincoln (1809-1965) an eine Mutter, die fünf Kinder im Krieg verloren hatte. Bush wurde von seiner Frau Laura begleitet. Auch der frühere Präsident Bill Clinton sowie Obamas Vize Joe Biden waren im Einsatz, ebenso US-Außenministerin Hillary Clinton. Sie alle gaben sich Mühe, Trauernde zu trösten.

In Pakistan protestierten derweil radikale Muslime gegen die Gedenkfeiern in den USA. Und der frühere malaysische Ministerpräsident Mahatir Mohammed, ein bekannter Kritiker des Westens, entblödete sich nicht, in einem Blog zu schreiben, arabische Muslime aus Saudi-Arabien könnten einen derartigen Terroranschlag gar nicht geplant haben. Vermutlich habe Bush Lügen bezüglich der Ereignisse des 11. September erzählt - er habe ja auch bezüglich des Irak gelogen. Der Einsturz der Zwillingstürme habe ohnehin mehr wie ein geplanter Abriss gewirkt. Die Türme seien "ganz prima in sich zusammengefallen, ohne die umstehenden Gebäude zu berühren", schrieb Mahatir.

Die Gedenkstätte am Ground Zero ist ab heute auch der Öffentlichkeit zugänglich. Die ehemaligen Standorte der beiden Türmen sind durch zwei riesige Quadrate in Wasserbecken gekennzeichnet. 400 Bäume wurde gepflanzt, gewaltige künstliche Wasserfälle, angetrieben durch 16 starke Pumpen, laden zur Meditation ein.

Und 2013 soll das neue, rund 3,3 Milliarden Dollar teure World Trade Center mit vier Türmen fertiggestellt sein. Sein höchstes Gebäude wird sich dann 514 Meter hoch erheben, weit höher noch also als die alten "Twin Towers" - umgerechnet sind dies 1776 Fuß. Dieses Maß markiert das Jahr der amerikanischen Unabhängigkeitserklärung - die USA machen damit unmissverständlich klar, dass der amerikanische Traum weitergeht - wer das World Trade Center als Symbol des "american dream" zu Fall bringt, steht bald vor einem noch höheren.