Umgangston in Europa wird durch die Wirtschaftskrise rauer. Südeuropa rüstet verbal auf – Nazivergleiche sind an der Tagesordnung

Athen/Berlin. In dem Grad, in dem sich die Wirtschaftskrise in einigen europäischen Ländern verschärft, wird auch der Umgangston in Europa rauer. Letzter unrühmlicher Höhepunkt war eine Karikatur in der Parteizeitung „I Avgi“ der griechischen Syriza. Die Zeichnung des Satirikers Tassos Anastasiou zeigte Wolfgang Schäuble in einer Wehrmachtsuniform mit dem Bildtext, man solle die Griechen am besten zu Seife oder zu Dünger verarbeiten.

Solche mörderischen Nazivergleiche kann man durchaus geschmacklos finden – in der Öffentlichkeit von Krisenländern wie Spanien, Italien und vor allem Griechenland gehört das Stereotyp vom bösen und immer noch faschistischen Deutschen jedoch längst wieder zum Alltag. Auch die linken Globalisierungsgegner in der spanischen Graswurzelpartei Podemos haben Deutschland zum Erzfeind erklärt. Bei den regelmäßigen Demonstrationen gehören antideutsche Slogans ebenso dazu wie Hakenkreuz-Marionetten, an denen spanische Politiker vermeintlich willenlos baumeln. In Italien das gleiche Bild: Seit Jahren schon hat man hier eine „deutsche“ Austeritätspolitik als Ursache der italienischen Wirtschaftskrise ausgemacht. In Artikeln, Wahlkampfreden und Parteiplakaten von rechts bis links wird Angela Merkel gerne als dralle Nazibraut dargestellt.

Diese Attitüde, die viele Deutsche im Süden in Form von Beleidigungen und Verbalattacken mitbekommen, hat eine lange Vorgeschichte. Jugendarbeitslosigkeit, mangelnde Konkurrenzfähigkeit, ein überbesetzter Beamtenapparat, eine korrupte Politikerkaste – all diese hausgemachten Mängel in Griechenland und Italien beim Namen zu nennen würde eine schmerzliche Abrechnung mit den verlorenen Jahren unter Schuldenmachern wie Karamanlis und Berlusconi bedeuten.

Auf der anderen Seite lebt vor allem bei den griechischen und italienischen Linken das Misstrauen gegenüber dem kapitalistischen Deutschland seit dem Zweiten Weltkrieg unterschwellig fort. Während die eigene faschistische Vergangenheit – auch unter dem griechischen Obristenregime – kaum aufgearbeitet wurde, konnte man alles historisch Böse den einstigen deutschen Besatzern zuschreiben und dieses Muster bequem bis in die Bundesrepublik fortschreiben. Viele griechische und italienische Linke haben eher die DDR als die Bundesrepublik als moralischen Fixpunkt betrachtet und Stasi wie Mauer allzeit vehement verteidigt.

Das Einprügeln auf eine „verheerende“ oder gar „imperialistische“ Politik Deutschlands ist zu einem festen Bestandteil in vielen Medien Südeuropas geworden. An diese Mischung aus angestautem Minderwertigkeitskomplex und nachgeholtem Antifaschismus knüpft so manche Karikatur an, die Merkel in Wehrmachtsuniform zeigt oder das wiedervereinigte Deutschland kurzerhand mit dem Dritten Reich gleichsetzt. Merkel-Puppen in Uniform und verbrannte Deutschlandfahnen gehören bei Demonstrationen gegen den Euro in Rom und Athen beinahe schon zur Folklore. Es gibt aber auch Schattierungen, welche die grassierende antideutsche Stimmung als Verdrängungsmechanismus entlarven. So fordert der einflussreiche italienische Publizist Eugenio Scalfari, Deutschland solle unter Merkel außenpolitisch und wirtschaftlich die Führungsrolle annehmen, die Europas stärkster Ökonomie zukomme. Übernimmt sie aber wie jetzt im Ukraine-Konflikt eben diese Rolle, dann verstärken sich Misstrauen und das Gefühl von Minderwertigkeit im Süden weiter.

Deutschland ist wegen seiner aktuellen Wirtschaftskraft und seiner historischen Schuld schlicht der ideale Buhmann, den Satiriker, Publizisten und Politiker allein schon aus Gründen der Komplexität nicht mit anderen Geberländern wie Finnland, Luxemburg oder den Niederlanden in einem Atemzug nennen wollen, zumal dann die bequeme Nazikeule nicht mehr funktionieren würde. Nimmt Deutschland indes widerstandslos die Rolle des Sündenbocks für die Kalamitäten des Euro hin, wird dies im Süden als stilles Eingeständnis der Schuld gewertet. Mehr als höfliche Aufforderungen durch den Europaparlamentspräsidenten Martin Schulz, die Brachialkritik an der Kanzlerin endlich zu unterlassen, hat man von deutscher Seite bisher kaum gehört. Merkel schweigt zu allen Beleidigungen stets nobel. Und Finanzminister Schäuble erklärte sich das Deutscheprügeln öffentlich mit dem Neid, den nun einmal der Klassenbeste auf sich ziehe – was in den Schuldenländern allenfalls als arrogante Selbstüberschätzung ankommt.

Die Konstellation, dass eine ganze Gesellschaft für das Zahlen von Hunderten Milliarden Euro als Bösewicht begriffen wird, hat also nur auf den ersten Blick etwas Absurdes. Die Infamie funktioniert einfach zu gut. Nur etwa ein Prozent aller Griechen betrachtet Deutschland noch als befreundetes Land. Für die Politiker im Süden ist das Ventil der antideutschen Stimmung deshalb verlockend, um vom eigenen Versagen abzulenken.

In Italien findet sich kaum je das Argument, dass ein Schuldenschnitt für Griechenland auch etliche italienische Rettungsmilliarden kosten würde. Dem Schwarz-Weiß-Bild mit Deutschland als Buhmann auf der einen Seite und dem vermeintlich betrogenen Süden auf der anderen gehört deshalb einstweilen die Zukunft, so traurig das für die Deutschen auch sein mag.