Separatisten feiern Einnahme des von ihnen eingekesselten Ortes Debalzewe nach Kämpfen mit ukrainischen Truppen

Wuhlehirsk. Alle paar Minuten knallt es heftig in der ostukrainischen Stadt Wuhlehirsk. „Das ist unser Feuer“, sagt ein Mann in Tarnuniform und mit brauner Filzmütze. Er nennt sich Johnny und ist einer der lokalen Separatisten-Kommandeure: „Die Ukrainer schießen auf uns, und wir schießen zurück.“ Doch dafür, dass die ukrainische Armee auf die Separatisten schießt, gibt es keine Beweise.

Die Panzer der Separatisten, die sich hinter Privathäusern verstecken, feuern dagegen regelmäßig. Bis zum umkämpften Ort Debalzewe sind es nur acht Kilometer. „Wir haben vorgeschlagen, dass die Ukrainer ihre Waffen in Debalzewe lassen und sich zurückziehen“, sagt Johnny: „Aber sie machen das nicht.“ Also gehen die Kämpfe um den Ort mit unverminderter Härte weiter.

An diesem Verkehrsknotenpunkt in der Ostukraine scheitert die in Minsk vereinbarte Waffenruhe, bevor sie je richtig in Kraft trat. Trotz der Vereinbarung, dass die Waffen schweigen sollen, werden am Dienstag aus Debalzewe Straßenkämpfe gemeldet. Der ukrainische Generalstab bestätigt, dass die Separatistentruppen in die Stadt eingedrungen sind. Die Separatisten wiederum erklären, dass sie die Eisenbahnstation von Debalzewe übernommen haben und inzwischen den Großteil der Stadt kontrollieren.

Auch die Wortwahl wird immer drastischer. „Das ist unser Stalingrad“, sagte der Separatistenanführer Alexander Sachartschenko dem russischen Fernsehsender Lifenews über Debalzewe. Das Städtchen in der Ostukraine hatte in friedlichen Zeiten rund 25.000 Einwohner. Es gilt als strategisch wichtig, denn es liegt auf der Straße, die die Gebietszentren Donezk und Luhansk verbindet. Debalzewe wurde zuletzt von rund 5000 ukrainischen Soldaten gehalten. Noch Anfang Februar haben die Separatisten es geschafft, die Anhöhen um die Stadt herum einzunehmen und die großen Zufahrtsstraßen zu sperren. In der vergangenen Woche versuchte die ukrainische Armee verzweifelt, die Straße von Debalzewe nach Artemiwsk einzunehmen, doch ohne Erfolg. Nur über Feldwege konnte die ukrainische Armee verletzte Soldaten aus der Stadt bergen. Denn ein Straßenabschnitt auf dem Weg in das Dorf Logwinowe ist vermint, das sagen sowohl die Separatisten als auch die ukrainische Armee.

Der Rückzug aus Debalzewe wäre psychologisch eine schwere Niederlage für die ukrainische Armee. Die Separatisten wissen das und verbreiten deshalb eifrig Meldungen über „zahlreiche Tote“ bei der ukrainischen Armee. Sie erklären, dass sie angeblich 300 Kriegsgefangene genommen haben. Der Druck auf die ukrainischen Soldaten wächst mit jeder Stunde. Kämpfer des ukrainischen Freiwilligen-Bataillons „Donbass“ zeigen Nachrichten auf ihren Handys, die sie automatisch bekommen, sobald sie ihre Telefone im Kampfgebiet um Debalzewe einschalten. In den SMS wird der ukrainische Präsident Petro Poroschenko beschimpft. Oder es steht: „Ich habe mich ergeben. Kriegsgefangene werden nicht erschossen.“

Nichts deutet vor Ort also auf die Waffenruhe hin, die Angela Merkel unter hohem persönlichen Einsatz ausgehandelt hatte. Immer wieder fahren militärische Laster durch die Gegend. Im Ort Makijewka rollt eine Militärkolonne mit einem Panzer und mehreren Tankfahrzeugen über die Straße. Näher an der Front steht ein Flugabwehrsystem.

Woher kommen die Kämpfer und ihre schwere Technik? Eine direkte Antwort bekommt man an der Front kaum. Johnny, der Separatist in Wuhlehirsk, sagt, er sei Georgier hier aus der Gegend. Auch ein anderer Kämpfer am gleichen Checkpoint, der sich Georgi nennt, will in Georgien geboren sein. Im selben Moment rollt die Militärpolizei aus dem Gebiet Donzek an. Es ist ein Kommando im weißen Geländewagen, die Männer tragen Schutzwesten und Munition an der Brust. An ihren Ärmeln sind rote Abzeichen: ein Hundekopf mit einem Besen und einem Beil. Das Zeichen weist sie als Opritschniki aus, eine brutale Militäreinheit aus Zeiten Iwan des Schrecklichen. Der Ranghöchste unter ihnen ist Wiktor Anosjew, ein großer Mann mit rundem Gesicht. Er sagt, er komme von der Krim und sei vor dem Krieg in der Ukraine Bauarbeiter gewesen. Zwei Kämpfer aus seiner Einheit nennen sich Alexej und Michail. „Wir kommen aus Slawjansk“, sagt einer. „Wir sind Bergarbeiter, oder, Alexej?“ – „Ja ja, wir sind Bergarbeiter.“ Ihre Sprache straft ihre Worte jedoch Lügen. Ihr fehlt jeder ukrainische Akzent, stattdessen ist das Russische deutlich zu hören.

„Wir sind am 29. Januar nach Wuhlehirsk gekommen“, behauptet Michail. Für die Zerstörungen sei die ukrainische Armee verantwortlich, die sich in Wohnhäusern verschanzt habe. Wuhlehirsk wirkt wie ausgestorben. Ein zerstörter Schützenpanzer und ein ausgebrannter Lasten stehen auf der Straße.

Ein älterer Mann radelt mit seinem klapprigen Fahrrad die Hauptstraße entlang, ungerührt vom deutlich zu hörenden Artilleriefeuer nur wenige 100 Meter entfernt. „Das ist doch gar nichts, wir haben uns schon daran gewöhnt“, sagt er. Wladimir Smirnow hat eine blau karierte Tasche an sein Rad angebracht und hofft, darin zehn Brote nach Hause zu bringen, die am anderen Ende der Stadt kostenlos verteilt werden. Es fließt inzwischen weder Strom, noch Wasser oder Gas. Smirnows Kinder und Enkelkinder haben Wuhlehirsk deshalb verlassen. Ein Sohn fuhr nach Russland, ein anderer auf die Krim. „Ich hätte auch nach Russland oder nach Kiew gehen können“, sagt der Rentner: „Aber ich werde hier bleiben, solange mein Haus noch nicht zerstört ist.“