Nach Ermordung des abgestürzten Piloten greifen Kampfjets Stellungen der Terrormiliz an

Amman. Die jordanische Bevölkerung ist sich so einig wie schon lange nicht mehr. Gab es noch vor wenigen Tagen große Kritik daran, dass sich Jordanien am Krieg gegen die Terrormiliz „Islamischer Staat“ (IS) beteiligt, ist davon nun kaum noch etwas zu spüren. Die Verbrennung des abgestürzten un vom IS gefangen genommenen Kampfflugzeugpiloten Maas al-Kassasbeh lässt Jordanien zusammenwachsen. In der Hauptstadt Amman gingen nach den Freitagsgebeten mehrere Tausend Menschen gegen den IS auf die Straße. Der jordanische König Abdullah kündigte einen „unbarmherzigen und erderschütternden Krieg“ gegen die Extremisten an. Die IS-Barbaren sollen „ausgemerzt“ werden.

„Rache“ forderte der Vater des getöteten Piloten – und die ganze Nation scheint hinter ihm zu stehen. In Amman trugen viele Demonstranten Fotos des Opfers, jordanische Fahnen oder Plakate, auf denen auch sie Rache forderten. „Die Hinrichtungen von Gefangenen sind nicht genug“, sagte der Vater. Die jordanischen Behörden hatten als Reaktion auf die Ermordung des Piloten zwei Al-Qaida-Häftlinge hängen lassen.

Am Donnerstag begann der Rachefeldzug: Jordanische Kampfjets flogen erste Angriffe – „Operation Maas“, benannt nach dem Vornamen des getöteten Piloten. Fernsehsender zeigten Bilder als Beweise für die Bombardierungen. Waffenlager, Basen und Stellungen der radikal-sunnitischen Gruppe sollen getroffen worden sein, in der De-Facto-Hauptstadt des IS, Rakka, und auch in anderen von ihr kontrollierten Städten in Syrien und im Irak. König Abdullah, der selbst ein erfahrener Pilot ist, hatte die Operation persönlich überwacht und koordiniert. Manche mutmaßen sogar, der König könnte sich bald selbst an den Luftangriffen beteiligen.

Die internationale Koalition, die die Vereinigten Staaten anführen, bombardiert seit Juni Ziele in Syrien und im Irak. Es gibt erste Erfolge: Die Dschihadisten wurden in der syrischen Grenzstadt Kobane vernichtend geschlagen. Auch in anderen Landesteilen Syriens, aber vor allem im Irak wurden sie aus zahlreichen Gebieten vertrieben. Die IS-Offensive ist gestoppt, die Terrormiliz wurde in die Defensive gezwungen. Mittlerweile musste sie schon dazu übergehen, junge Männer unter Zwang zu rekrutieren. In Mossul werden Verteidigungsgräben um die Stadt gezogen.

Aber das selbst erklärte Kalifat von IS-Chef Abu Bakr al-Baghdadi steht noch lange nicht vor dem militärischen Zusammenbruch. Wie will nun das jordanische Königreich die Islamisten in die Knie zwingen? Die ersten Angriffe haben gezeigt, es gibt genug Ziele. Nach den relativ geringen Bombardierungen der internationalen Koalition hätte man annehmen können, es sei generell schwierig, geeignete Angriffsobjekte zu finden, vor allem wegen der Präsenz von Zivilisten. Nun aber wurden über Nacht unzählige IS-Basen vernichtet.

Jordanien verfügt über eine moderne und schlagkräftige Luftwaffe. Insgesamt 650 Flugzeuge soll sie umfassen. Es sind hauptsächlich F-16-Kampfflugzeuge, die aus den Vereinigten Staaten stammen. Aus Washington erhält das Königreich reichlich Unterstützung. Jährlich gibt es etwa 580 Millionen Euro für Jordanien. Allein in diesem Jahr soll dieses Budget auf knapp 900 Millionen Euro aufgestockt werden. „Wir erkennen die dringenden Bedürfnisse Jordaniens, die aus der regionalen Unruhe resultieren“, teilte das US-Außenministerium mit. „Das Land steht an vorderster Front im Kampf gegen den IS und andere Extremisten. Außerdem muss es die Aufnahme von Flüchtlingen aus Syrien und dem Irak bewältigen.“

Nach Angaben des Flüchtlingswerks der Vereinten Nationen hat Jordanien etwa 750.000 Flüchtlinge aufgenommen. Der Großteil der finanziellen Hilfe wird mit Sicherheit nicht den Flüchtlingen, sondern dem Militärhaushalt zugutekommen. Und diese neue Finanzspritze braucht Jordanien dringend, will es seine Offensive gegen die IS-Miliz aufrechterhalten.

„In der momentanen Situation ist eine Bodenoffensive unwahrscheinlich“, sagte Reda Betusch, ein Ex-General der jordanischen Armee. „Aber die Truppen werden nicht zögern, jede Bedrohung an der Grenze auszuschalten.“ 110.700 Mann umfasst die jordanische Armee, 14.000 sind Elitesoldaten.

In Israel begrüßte man die Racheaktion des Nachbarlands. Der israelische Premierminister Benjamin Netanjahu hatte nach dem Tod des Piloten König Abdullah persönlich am Telefon kondoliert und das „Bündnis gegen die IS-Barbarei“ bekräftigt. Das sind schöne Gesten für die Öffentlichkeit. Im Hintergrund arbeiten die Geheimdienste beider Länder intensiv gegen die IS-Extremisten zusammen.

Die Bombardierungen waren „nur der Anfang unserer Vergeltungsmaßnahmen“, sagte der jordanische Außenminister Nasser Judeh. „Wir werden die Terrorbande des IS mit allem verfolgen, was uns zur Verfügung steht.“ Auf dem Rückweg der Kampfjets von ihrem ersten IS-Einsatz überflogen die Piloten den Heimatort ihres gefallenen Kameraden Kassasbeh. Das passte genau: König Abdullah war gerade auf Kondolenzbesuch bei der Familie des Piloten.