Westliche Lebensmittel sind knapp, die Preise im Supermarkt explodieren. Die Ukraine-Krise belastet die Russen im Alltag. Präsident Putins Getreue sagen: „Dann essen wir eben weniger.“

Moskau. Ausgedünnt sind die Auslagen in den Kühlregalen und Käsetheken in russischen Supermärkten. Wo vor einem halben Jahr noch Dutzende verschiedene Joghurtsorten oder Buttervarianten im Angebot waren, reihen sich heute nur wenige unterschiedliche Produkte. Sechs Monate nach dem russischen Importverbot für westliche Lebensmittel drückt zudem ein enormer Preisanstieg den Russen aufs Portemonnaie, und die Behörden kämpfen mit dem Schmuggel von Nahrungsmitteln aus EU-Staaten.

Die Preise für Lebensmittel lagen dem russischen Statistikamt Rosstat zufolge im Januar durchschnittlich mehr als 20 Prozent höher als vor einem Jahr. Nach anderen Berechnungen fiel die Teuerungsrate bei einzelnen Produkten sogar weitaus höher aus. Ende Januar stellte die Staatsanwaltschaft massive Preiserhöhungen seit dem Einfuhrverbot fest: Kohl – das Nationalgemüse der Russen – verteuerte sich zwischen August und Dezember um 353 Prozent, wie die Wirtschaftszeitung „RBK“ berichtete. Paprika legte sogar fast um das Doppelte zu. Mancherorts gab es Hinweise auf unlautere Preistreiberei.

„Ich gebe inzwischen 20 bis 25 Prozent mehr für Nahrungsmittel aus“, erzählt der Moskauer Unternehmer Grigori (44). „Das tut weh“, meint er, als er Früchte und Getränke fürs Büro einkauft. Für viele Russen ist einer repräsentativen Umfrage zufolge dieser Trend die derzeit größte Gefahr. 72 Prozent der Befragten wenden nach der Erhebung des unabhängigen Lewada-Zentrums inzwischen mindestens die Hälfte ihres Einkommens für Nahrung auf.

Doch von Klagen wollen russische Politiker nichts hören. „Wenn das Geld nicht reicht, müssen wir uns daran erinnern, dass wir alle Russen sind, die Hunger und Kälte gewohnt sind“, mahnte etwa Ilja Gaffner von der Regierungspartei Geeintes Russland kürzlich. „Dann sollten wir an unsere Gesundheit denken und weniger essen“, polterte er. Zwar folgte gleich eine Zurechtweisung von Parteioberen. Doch der freche Vorstoß zeigt die tiefe Verzweiflung der politischen Elite.

Der Rubel verlor über die Hälfte an Wert

Vor allem der rasante Rubelverfall von rund 66 Prozent seit einem Jahr und der Sturz des Ölpreises haben zur schweren russischen Wirtschaftskrise beigetragen. Die Inflation lag 2014 bei mehr als 11 Prozent, im Januar stieg sie nach Angaben der Zentralbank bereits auf 13 Prozent.

Als Kremlchef Wladimir Putin am 7. August die Einfuhr von Lebensmitteln aus dem Westen verbot, verkaufte die Regierung den Schritt als Mittel, die heimische Produktion zu fördern. Aus einem Gefühl der Stärke heraus wollte Russland damit den westlichen Sanktionen im Ukraine-Konflikt etwas entgegensetzen, was zugleich der eigenen Wirtschaft hilft. Doch sechs Monate später kämpft Russland neben dem Preisanstieg auch mit Schmuggel etwa über Weißrussland.

Bei Lebensmitteln wird getrickst

Kontrolleure finden immer wieder verbotene Lebensmittel in den Läden: Milchprodukte aus Deutschland und Frankreich, Fleisch aus Italien und Spanien und besonders kontrovers diskutiert – angeblich weißrussische Garnelen, obwohl das Land keinen Zugang zum Meer hat. Viele der Nahrungsmittel werden laut Verpackung in Weißrussland hergestellt. Die autoritäre Führung in Minsk ist ein enger Handelspartner Moskaus, hat sich aber den russischen Sanktionen nicht angeschlossen.

Von einem „Wurst-Krieg“ zwischen den „Bruderländern“ Weißrussland und Russland berichten Medien inzwischen. Der Vorwurf der russischen Behörden lautet, zahlreiche verbotene Produkte aus EU-Staaten werden in Weißrussland verarbeitet oder einfach mit neuen Etiketten und Ausfuhrpapieren versehen und dann nach Russland verkauft. Moskaus Lebensmittelaufsicht stoppte in den vergangenen Monaten die Einfuhr Hunderttausender Tonnen Nahrungsmittel aus dem Nachbarland – häufig mit der Begründung, es lägen Hygieneverstöße vor.

Italienischer Parmesankäse, spanischer Schinken und Früchte aus der EU sind seit langem aus den russischen Geschäften verschwunden. Stattdessen liegen Schweizer Käse, Äpfel aus Chile und Tomaten aus Ägypten in den Regalen. Von Versorgungsproblemen will Swetlana, Leiterin in einer Moskauer Supermarktfiliale, aber nichts wissen. „Schauen Sie sich um, die Regale sind voll mit Waren aus russischer Produktion“, meint sie.