Neue Regierung zieht den Schuldenschnitt teilweise zurück. Doch auch ihr Plan B wird am Ende richtig teuer

Brüssel/Berlin. Es war eines der zentralen Wahlversprechen von Alexis Tsipras. Die neue griechische Regierung werde einen Schuldenerlass mit den internationalen Gläubigern ausverhandeln, so wie anno 1953 Deutschland nach dem Krieg, versprach der neue Regierungschef seinem Volk. Die Hälfte der Schulden Athens sollte rasiert werden – es wäre der größte Schuldenerlass der europäischen Geschichte. Doch jetzt rückt die griechische Regierung vorsichtig von ihrer Extremforderung ab. Statt des bisher geforderten Schuldenerlasses sei nun auch „eine Liste von Umschuldungsmaßnahmen“ möglich, sagte Griechenlands neuer Finanzminister Janis Varoufakis der „Financial Times“. Der Begriff „Schuldenschnitt“ sei besonders in Deutschland nicht akzeptabel, weil es sich nach einem Totalausfall anhöre.

Offenbar haben die Gespräche der letzten Tage Wirkung gezeigt. Derzeit befinden sich Tsipras und Varoufakis auf einer „Road-Show“ durch Europa, um mit EU-Staaten über eine Umschuldung zu sprechen. Doch wo sie auch hinkamen, bislang trafen sie mit ihrer Forderung nach einem radikalen Schuldenschnitt auf Ablehnung.

Um Deutschland haben Tsipras und Varoufakis auf ihrem Gesprächs-Marathon bewusst einen Bogen gemacht. Doch auch hier setzt in der griechischen Regierung ein Umdenken ein: Varoufakis plant für Donnerstag einen Besuch bei Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU). In den ersten Tagen, so schien es einigen Vertretern der Bundesregierung, versuchte die griechische Regierung einen Keil zwischen Deutschland und die anderen Euro-Staaten zu treiben. Die neue griechische Regierung machte Paris und Rom ihre Aufwartung, Berlin dagegen stand nicht auf dem Programm. Doch gefruchtet haben die Versuche bislang nicht, glaubt man offiziellen Aussagen. „Es wird keinen Schuldenschnitt in Griechenland geben“, bekräftige Frankreichs Finanzminister Michel Sapin am Dienstag. „Es kommt überhaupt nicht in Frage, ein Euro-Land gegen ein anderes auszuspielen, speziell nicht Frankreich gegen Deutschland.“ Eine Verständigung führe nur über Paris und Berlin.

Die Bundesrepublik ist mit 80 Milliarden Euro vor Frankreich der größte Gläubiger Athens. Im Extremfall würde der deutsche Steuerzahler 30 bis 40 Milliarden Euro verlieren, wenn Griechenland den großen Schuldenerlass bekäme. Die Verluste würden insbesondere der euro-kritischen Alternative für Deutschland (AfD) in die Karten spielen. Union und SPD fürchten zudem, andere Euro-Länder wie Irland, Italien, Portugal oder Spanien könnten ebenfalls einen Schuldenerlass fordern. „Solch eine Sogwirkung müssen wir unter allen Umständen verhindern“, heißt es aus Regierungskreisen. Griechenland sitzt trotz eines Schuldenerlasses vor drei Jahren für private Gläubiger immer noch auf einem Schuldenberg in Höhe von 320 Milliarden Euro.

In diesem Jahr wird er knapp 169 Prozent der Wirtschaftsleistung ausmachen, erlaubt sind in der EU höchstens 60 Prozent. Kurzfristig hat Griechenland allerdings keine Probleme, seine Schulden zu bedienen. Die durchschnittliche Verzinsung liegt gerade mal bei 2,4 Prozent und ist damit niedriger als die Deutschlands. Die Zinsausgaben gemessen an der Wirtschaftsleistung sind mit knapp über vier Prozent geringer als die anderer Euro-Staaten.

Der Grund: Griechenland hat in den vergangenen Jahren bereits deutliche Erleichterungen von seinen Gläubigern erhalten. Die Laufzeiten der Hilfskredite wurden bis ins Jahr 2057 verlängert, die Zinsen nach unten gedrückt. An diesen Schrauben könne weiter gedreht werden, sobald Griechenland einen Haushaltsüberschuss vor Zinsausgaben einfahre, hatten die internationalen Geldgeber Athen Ende 2012 in Aussicht gestellt.

Diese Auflage hält das Land inzwischen ein. Griechenland werde seinerseits einen Überschuss von 1,0 bis 1,5 Prozent erwirtschaften, selbst wenn dies bedeute,nicht alle Wahlversprechen einhalten zu könnten, sagte Varoufakis. Seine Ideen für einen Umschuldungsplan sehen unter anderem neue Anleihen mit unbegrenzter Laufzeit vor. Außerdem könnte die Rückzahlung griechischer Schulden an das Wirtschaftswachstum gekoppelt werden. Bis Ende des Monats sollen die Vorschläge den EU-Partnern vorliegen.

Die EU-Kommission signalisierte Griechenland in dieser Frage Entgegenkommen. Brüssel werde seine Politik in einigen Punkten anpassen, aber „nicht alles ändern“, sagte EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) reagierte zurückhaltend auf die Vorschläge von Varoufakis. „Ich möchte jetzt nicht alles kommentieren, was jetzt jeden Tag zu lesen ist“, sagte Merkel. „Es ist klar, dass die griechische Regierung ihre Position noch ausarbeitet.“ Insgesamt könnte über eine Verlängerung der Kredite und Zinserleichterungen Griechenlands Schuldenlast um bis zu 32 Milliarden Euro gesenkt werden, hatte die Brüsseler Denkfabrik Bruegel kürzlich errechnet. Wenn es zu einer Umschuldung kommt, sollen private Gläubiger davon ausgenommen werden, heißt es aus dem Umfeld des griechischen Finanzministers.

Allerdings liegen inzwischen ohnehin 80 Prozent der griechischen Schulden in öffentlicher Hand, also bei der Troika aus EU, Europäischer Zentralbank (EZB) und Internationalem Währungsfonds (IWF). Somit stehen anders als vor drei Jahren nicht die Investitionen von Banken und Versicherungen, sondern das Geld des Steuerzahlers im Feuer. Der deutsche Steuerzahler würde einen „Schuldenschnitt light“ zwar nicht sofort spüren. Geld verliert er aber trotzdem. Bei einer Anleihe mit unbegrenzter Laufzeit gäbe Deutschland einen Kredit, bei dem sich Athen aussuchen kann, wann es ihn zurückzahlen will – also möglicherweise auch nie. Und je länger die Rückzahlung gestreckt wird, desto stärker nagt die Inflation am Wert des Geldes.

„Was ich unseren Partnern sagen werde, ist, dass wir eine Kombination aus einem primären Haushaltsüberschuss und einer Reformagenda zusammenstellen“, sagte Varoufakis. Viel Zeit hat Griechenland allerdings nicht. Im Februar und März müssen mehrere Milliarden an private Gläubiger zurückgezahlt werden. Ende Februar läuft das Hilfsprogramm der EU aus. Und seit Wochen heben die Griechen ihre Ersparnisse von den Konten ab: Drei der vier Großbanken haben deshalb begonnen, Not-Finanzhilfen der nationalen Notenbank zu nutzen. Die Europäische Zentralbank (EZB) soll dafür ihre Erlaubnis gegeben haben.