Erst Peitsche, jetzt Zuckerbrot: Griechenlands neuer Premier geht auf EU-Partner zu, aber nicht auf Merkel

Athen/Berlin. Nach dem großen Eklat rüstete Alexis Tsipras zumindest rhetorisch ab. Niemand wolle Streit, versicherte der griechische Regierungschef Notenbankpräsident Mario Draghi in einem Telefonat, nachdem er tags zuvor die Zusammenarbeit mit der Troika aus EU, Notenbank und Währungsfonds für beendet erklärt hatte. Es bestehe der Wille, „eine für Griechenland und Europa gleichermaßen vorteilhafte Lösung zu finden“, hieß es.

Ähnlich äußerte sich Finanzminister Giannis Varoufakis: „Alles, was wir von unseren Partnern verlangen, sind einige Wochen Zeit, um sinnvolle und vernünftige Vorschläge zu erarbeiten.“ Mit dieser Botschaft im Gepäck gehen Varoufakis und Tsipras nun auf ihre „Roadshow“ durch Europa. Varoufakis traf am Sonntag seinen französischen Kollegen Michel Sapin. Tsipras ist am Montag in Zypern, am Dienstag macht er dem italienischen Regierungschef Matteo Renzi seine Aufwartung. Weitere Reisen nach Brüssel, London und Paris sind in Planung.

Nur um ein Land macht Tsipras einen großen Bogen: Deutschland. Varoufakis allerdings kündigte am Sonntagabend an, er wolle angesichts der Bedeutung Deutschlands in Europa nun doch so bald wie möglich mit Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) in Berlin zusammenkommen. Die Stimmung bleibt jedoch angespannt. „Die neue griechische Regierung versucht die Meinungsverschiedenheiten zu ideologisieren“, sagt ein ranghoher Vertreter der Bundesregierung. EU-Parlamentspräsident Martin Schulz warnte Griechenland vor übermäßiger Kritik an Deutschland. Er habe Tsipras „nachdrücklich ans Herz gelegt, verbal abzurüsten“, sagte Schulz der „Welt am Sonntag“.

Er riet ihm zudem, seine Angriffe auf Bundeskanzlerin Angela Merkel zu beenden. „Es mag bei manchen vielleicht gut ankommen, auf die Deutschen einzuprügeln, aber es ist auch kurzsichtig und bringt uns nicht weiter.“ Griechenland brauche die Hilfe der Bundesregierung. Wenn Tsipras aber glaube, er könne die Troika nach Hause schicken, und die Europäer finanzierten ihm seine Wahlversprechen, habe er sich getäuscht.

Fraglich ist, ob die Merkel-Regierung noch den Rückhalt der anderen europäischen Partner hat. „Die Bundesregierung wirkt in Europa zusehends isolierter“, räumt ein Koalitionsvertreter ein und warnt: „Wir dürfen nicht die Kontrolle verlieren.“ Doch genau diese Gefahr ist derzeit so groß wie nie zuvor in fünf Jahren Schuldenkrise. Schon in den vergangenen Monaten wurde der Sparkurs in Europa aufgeweicht: Frankreich und Italien bekamen mehr Zeit für das Erreichen ihrer Haushaltsziele. Die EU brachte ein Investitionsprogramm auf den Weg, das in Berlin nicht für Jubelstürme sorgte. Der Stabilitätspakt soll flexibler angewendet werden. Und die Europäische Zentralbank (EZB) hat sich über den Widerstand der Bundesregierung hinweggesetzt und ein Aufkaufprogramm von Staatsanleihen beschlossen.

Jahrelang gab Deutschland die Richtung in der Euro-Zone vor. Nun ist die Bundesregierung in die Defensive geraten. Und die neue griechische Regierung ist angetreten, Deutschlands Führungsrolle in Europa zu beenden. „Die Politik der letzten fünf Jahre hat in Europa nur den Rassisten und Faschisten genützt“, sagte Finanzminister Varoufakis. Mit dieser Botschaft wird er in vielen europäischen Ländern auf offene Ohren stoßen.

In Frankreich steht Präsident François Hollande unter Druck von Marie Le Pen und ihrem Front Nationale. Sie kann notwendige Sparmaßnahmen ausschlachten. In Spanien hofft die Linke auf einen ähnlichen Durchmarsch, wie ihn Tsipras hingelegt hat. Zehntausende Spanier forderten am Sonnabend in Madrid ein Ende der Sparpolitik und feierten die neue griechische Regierung. In Umfragen ist die erst vor einem Jahr gegründete Podemos zur stärksten Kraft aufgestiegen. Auch Italien hat schon die Erfahrung gemacht, wie schnell ein Populist wie Beppe Grillo nach oben gespült werden kann.

„Man kann in zahlreichen europäischen Ländern beobachten, dass die politischen Ränder stärker werden“, sagt Jörg Asmussen, Staatssekretär im Bundesarbeitsministerium. „Die Parteien und Bewegungen, die dort an Einfluss gewinnen, sind nicht pauschal als antieuropäisch zu klassifizieren, der gemeinsame Nenner ist ein Anti-Establishment-Sein – egal, ob sie rechts oder links stehen.“ Merkel tut das, was sie häufig in schwierigen Situationen tut: Sie wartet ab. Die Griechen kommen lassen, laute derzeit die Devise, heißt es in der Bundesregierung. In nicht einmal einem Monat läuft das zweite Hilfsprogramm für Griechenland aus. Bis dahin muss es zumindest eine Annäherung geben mit der EU und damit auch mit Deutschland. Sonst gibt es kein Geld, und Athen schlittert in die Pleite.

Doch neben einem möglichen Euro-Austritt Athens macht sich die Bundesregierung Sorgen, Frankreich und Italien könnten den Tsipras-Sieg nutzen, um Reformen auf die lange Bank zu schieben. „Die Probleme Europas sitzen nicht in Athen, sondern in Paris und Rom“, heißt es in Koalitionskreisen.