Rekordbesuch der Papst-Messe in Manila. Mehr als sechs Millionen Gläubige hörten die Kritik an sozialen Missständen

Manila. Der Papst, 78, trägt Plastik. Ein zitronengelber dünner Mantel über Franziskus’ liturgischem Gewand. Den gleichen billigen Wetterschutz mit Kapuze wie die Millionen Gläubigen, die seiner Heiligkeit zujubeln, als er im offenen Jeepney winkend und lächelnd im peitschenden Regen durch Manila fuhr. Der Jeepney, das landestypische Sammeltaxi der kleinen Leute, und die bescheidene Plastikkutte sind beinahe symbolisch: keine Pracht, kein Prunk, der Papst erhebt sich nicht über die Gläubigen, er ist einer von ihnen.

Dunkle Wolken ballten sich Sonntagmorgen am Himmel zusammen, der abflauende Wirbelsturm „Mekkhala“ sammelte seine letzten Kräfte, bevor er sich noch einmal mit Wucht über Manila entlud, doch das konnte die Gläubigen nicht abhalten. Von allen Seiten pilgerten sie zum Rizal-Park im Zentrum der philippinischen Hauptstadt, um die größte heilige Messe der Weltgeschichte zu feiern. Und um einen Blick auf „Lolo Kiko“ zu werfen, den volksnahen Papst. Lolo bedeutet Großvater in der philippinischen Landessprache Tagalog, Kiko ist ihr Spitzname für den Vornamen Francisco.

Um dem schlimmsten Sturm zu entgehen, begann „Lolo Kiko“ seine Abschlussmesse eine halbe Stunde früher als geplant. Sechs Millionen Menschen waren erwartet worden, Rekord. Nachdem örtliche Behörden wegen des Sturms nur mit drei Millionen gerechnet hatten, waren es dann plötzlich mehr als sechs Millionen Besucher. Den bisherigen Weltrekord bei einer Papst-Messe hatte Johannes Paul II. aufgestellt, der 1995 am selben Ort einen Gottesdienst veranstaltete.

Franziskus ist ein Rockstar in dem frommen Land. 82 Prozent der Menschen hier sind Katholiken, strenggläubig und kirchentreu. Die Bischöfe und Kardinäle haben hier viel zu sagen. Konservativ und strikt bremsen sie viele Reformen und regeln das Leben der Bevölkerung mit unerbittlicher Moral. Verhütung, Scheidung: Gesetze zu diesen „sündigen“ Liberalisierungen reiben sich bis heute an der stählernen Ablehnung der Kardinäle. Und so hofften viele freiere Geister auf ein Wort oder zwei des Pontifex, der für seine undogmatische Art berühmt ist.

In seiner Predigt aber sprach der Heilige Vater keine auf den Philippinen strittigen Themen an. Er forderte mehr Kinderschutz und die Achtung des christlichen Familienbildes. Man dürfe nicht zulassen, „dass Kinder ihrer Hoffnung beraubt und dazu verurteilt werden, auf der Straße zu leben“. Und er verurteilte „heimtückische Angriffe“ auf die Familie. Franziskus sagte, jedes Kind müsse als Geschenk betrachtet, angenommen und beschützt werden. Außerdem schimpfte er gegen die Oberflächlichkeiten des modernen Lebens. „Der Teufel ist der Vater der Lügen“, predigte Franziskus. „Oft verbirgt er seine Fallen hinter dem Anschein der Kultiviertheit, hinter der Verlockung, modern und wie alle anderen zu sein. Er lenkt uns ab mit dem Köder kurzlebiger Vergnügen, oberflächlichen Zeitvertreibs. Und so vergeuden wir unsere gottgegebenen Geschenke, indem wir uns mit Schnickschnack beschäftigen; wir verschwenden unser Geld für Spiel und Getränke und drehen uns um uns selbst. Wir vergessen, auf die Dinge ausgerichtet zu bleiben, auf die es wirklich ankommt.“ Am Morgen hatte Franziskus bei einer Jugend-Audienz an der Thomas-von-Aquin-Universität Manilas, der größten katholischen Universität Asiens, offenere Worte gesprochen und humorvoll an den starren Strukturen der konservativen Philippinen gekratzt. Als er sah, dass vier von fünf Besuchern Männer waren, kritisierte er spontan: „Es gibt nur eine kleine Anzahl Frauen hier, zu wenige“. „Frauen haben uns in der heutigen Gesellschaft viel zu sagen. Manchmal sind wir Männer zu macho. Wir lassen den Frauen keinen Raum, dabei sind Frauen fähig, die Dinge aus einem anderen Blickwinkel als wir zu sehen. Frauen sind in der Lage, Fragen zu stellen, die wir Männer nicht verstehen können.“ Und wenn der nächste Papst nach Manila komme, fügte er unter tosendem Applaus und Gelächter hinzu, „bitte mehr Mädchen und Frauen“! Immerhin sei es ein Mädchen gewesen, nicht ein Mann, das die härteste Frage des Tages gestellt habe. Glyzelle Iris Palomar, 12, ein ehemaliges Straßenkind, war nach einigen Sätzen in Tränen ausgebrochen und hatte den Papst gefragt: „Viele Kinder werden von ihren Eltern verlassen. Viele werden Opfer von Drogen oder Prostitution. Warum lässt Gott das zu?“ Darauf erhob sich der Papst, überquerte die Bühne und nahm das Mädchen lange in den Arm. Franziskus verzichtete auf seine vorbereitete Rede und wandte sich auf Spanisch direkt an seine jungen Zuhörer: „Lasst uns lernen, zu weinen wie sie“, sagte der Papst. Wer nicht lerne, laut zu klagen, könne kein guter Christ sein. „Die Antwort auf fremdes Leid kann nur Schweigen oder eine Entgegnung aus Tränen sein.“

Vor dem Gottesdienst hatte Franziskus sich mit dem Vater einer jungen Frau getroffen, die am Vortag bei der Papst-Messe in Tacloban ums Leben gekommen war. Das Kirchenoberhaupt hatte in der vor rund einem Jahr vom Taifun „Haiyan“ besonders stark zerstörten Stadt der Tausenden Todesopfer gedacht. Dabei war eine 27-jährige freiwillige Helferin von Gerüstteilen erschlagen worden, die ein neuer Tropensturm zum Einsturz gebracht hatte. Sein Besuch in Tacloban auf der ostphilippinischen Insel Leyte, am „Ground Zero“ des verheerenden Taifuns „Haiyan“, der im November 2013 mehr als 6500 Menschen das Leben gekostet hatte, war Franziskus’ inhaltlicher Höhepunkt seiner Philippinenreise.

Nach seiner Messe im Rizal-Park überschütteten die Philippiner Franziskus mit Dank. Erzbischof Socrates Villegas sprach ihnen aus der Seele: „Sie sind unser Freund, unsere Inspiration. Sie sind unser Regenmantel im Regen!“