Terroristen erschießen mehrere Journalisten in Paris. Das ganze Land ist schockiert über den brutalen Anschlag auf die Meinungsfreiheit

Paris. Frankreich befindet sich nach einem Attentat auf die Wochenzeitung „Charlie Hebdo“ im Schockzustand. Am Mittwoch gegen 11.30 Uhr waren zwei vermummte Männer in die Redaktion des Satiremagazins in der Rue Nicolas-Appert im 11. Arrondissement von Paris eingedrungen. Bewaffnet mit Kalaschnikow-Gewehren eröffneten sie das Feuer auf die Mitglieder der Redaktion. Bei der anschließenden Flucht schossen sie auch auf Polizeibeamte. Insgesamt kamen bei dem Anschlag nach Angaben der Staatsanwaltschaft Paris zwölf Menschen ums Leben, 20 weitere wurden verletzt, vier davon lebensgefährlich. Es war das schwerste Attentat in Frankreich seit Ende des Zweiten Weltkrieges.

Einem der Journalisten von „Charlie Hebdo“, Laurent Léger, gelang es noch, Hilfe anzufordern, indem er einen Freund anrief. In dem Telefonat um 11.40 Uhr sagte er: „Ruf die Polizei an. Es ist ein Blutbad. Alle sind tot.“ Danach wurde das Gespräch abgebrochen. „Ich war meine Tochter in der Kinderbetreuung abholen. Als ich vor dem Gebäude der Zeitschrift ankam, haben uns zwei vermummte und bewaffnete Männer brutal bedroht“, sagte die schockierte Zeichnerin Corinne Rey – Künstlername Coco – der kommunistischen Tageszeitung „L’Humanité“. „Sie wollten rein, nach oben. Ich habe den Zugangscode eingegeben.“ In den Redaktionsräumen angekommen, eröffneten die Männer sofort das Feuer auf die Anwesenden. „Es hat fünf Minuten gedauert... Ich habe mich unter einen Schreibtisch geflüchtet“, berichtet Rey. Die Täter hätten perfekt Französisch gesprochen und gesagt, sie würden al-Qaida angehören.

Offenbar waren die beiden Männer auch sehr gut über den Redaktionsalltag von „Charlie Hebdo“ unterrichtet. Denn mittwochs findet die Redaktionssitzung des Satiremagazins statt. Dabei seien stets fast alle Mitarbeiter anwesend, während es an anderen Tagen leerer sei, erklärten Redaktionsmitglieder. Das Satiremagazin hatte noch kurz vor dem Anschlag auf Twitter einen Neujahrsgruß veröffentlicht, in dem es sich über Abu Bakr al-Baghdadi, den Anführer der islamistischen Terrorgruppe IS, lustig machte. „Beste Wünsche übrigens“, steht in dem Tweet. Darunter ist eine Karikatur Baghdadis an einem Mikrofon zu sehen, der verkündet: „Und vor allem Gesundheit.“

Es ist nicht das erste Mal, dass das 1970 als Nachfolger des verbotenen Satiremagazins „Hara-Kiri“ gegründete Blatt in Karikaturen den Islam auf die Schippe nimmt. So hatte „Charlie Hebdo“ 2006 die in der dänischen Tageszeitung „Jyllands Posten“ veröffentlichten Mohammed-Zeichnungen übernommen. 2011 veröffentlichte das Magazin als Reaktion auf den Wahlsieg der islamistischen Partei Ennahda in Tunesien ein Heft mit dem Titel „Charia Hebdo“, zum Jahreswechsel 2012/13 dann ein Sonderheft über das Leben Mohammeds. Seit der Veröffentlichung der Mohammed-Karikaturen 2006 habe es permanent Drohungen gegen das Satiremagazin gegeben, erklärte Richard Malka, der Anwalt von „Charlie Hebdo“, im französischen Radio.

Wie brutal die Täter vorgingen, ist auch auf einem Video zu sehen, das von einem Zeugen aufgenommen wurde und zwischenzeitlich im Internet kursierte. Darauf ist zu sehen, wie einer der beiden Männer einen Polizeibeamten erschießt, der bereits verwundet am Boden liegt. Dabei riefen sie: „Wir haben den Propheten Mohammed gerächt. ,Charlie Hebdo‘ ist tot.“ Nicht nur in der Redaktion des Satiremagazins, sondern auch in den umliegenden Gebäuden zeugen Einschusslöcher in Fensterscheiben und Mauern von der Brutalität des Anschlags. Mitarbeiter der „Charlie Hebdo“ gegenüberliegenden Presseagentur Première Ligne flüchteten sich auf das Dach ihres Gebäudes. Yve Cresson, ein Filmproduzent, dessen Büro sich im Nachbarhaus des Satiremagazins befindet, berichtete, dass die Täter zunächst hinter der Postbotin in sein Gebäude eingedrungen seien. Sie hätten sich aber in der Adresse geirrt und nach „Charlie Hebdo“ gesucht. „Sie sind wieder gegangen, nachdem sie zweimal geschossen haben.“

Cédric Le Béchec, ein anderer Augenzeuge, kam gerade von einem Termin, als er den Tätern in der weiter nördlich vom Tatort entfernten Rue de Meaux begegnete. Den Zusammenhang mit dem Anschlag stellte er jedoch erst später her. „Ein schwarzes Auto stand mitten auf der Straße“, sagt er. „Zwei große, militärisch schwarz Gekleidete sind ausgestiegen.“ Einer von ihnen habe einen Raketenwerfer getragen. Beide hätten dann einen älteren Herrn aus seinem Kleinwagen gedrängt und seien dann damit weitergefahren. Sie hätten den umstehenden Passanten noch zugerufen: „Sagen Sie den Medien, dass dies al-Qaida aus Jemen ist.“ Später sollen die beiden Täter, die sich Mittwochnachmittag noch immer auf der Flucht befanden, in der Nähe der im Nordosten von Paris gelegenen Porte Pantin noch einen Fußgänger angefahren haben.

Die Attentäter müssten eine militärische Ausbildung gehabt haben, vermuten Pariser Polizeikreise. Denn auf den von Augenzeugen gemachten Fotos und Videos sei deutlich zu erkennen, dass sie die Kalaschnikow-Gewehre wie Profis halten und abfeuern würden. Zudem lasse die Kaltherzigkeit ihres Vorgehens darauf schließen, dass sie die Tat genauestens geplant hätten. Die Vorgehensweise entspreche nicht der eines fanatischen Amokläufers, so Mitarbeiter der Ordnungskräfte. Unter den Opfern des Attentats befinden sich auch Polizeibeamte. Davon war einer zum Schutz des „Charlie Hebdo“-Zeichners und Herausgebers Stéphane Charbonnier, genannt Charb, abgestellt worden, nachdem dieser Todesdrohungen erhalten hatte. Auch Charb kam bei dem Anschlag ums Leben, genau wie die drei Zeichner Jean Cabut (Cabu), Bernard Verlhac (Tignous) und Georges Wolinski sowie der Ökonom Bernard Maris, der in dem Satiremagazin regelmäßig unter dem Namen „Onkel Bernard“ schrieb. Obwohl es in der Vergangenheit Drohungen und 2011 sogar einen Brandanschlag auf das Satiremagazin gab, fühlte sich die Redaktion offenbar in letzter Zeit weniger gefährdet.

Ein Mitarbeiter, der bei dem Angriff nicht anwesend war, schilderte die Stimmung im Büro so: „In den vergangenen Monaten waren wir trotz der Drohungen nicht besonders beunruhigt. Wir bekommen ständig drohende E-Mails und Anrufe. Wir hatten uns daran gewöhnt. In der letzten Zeit dachten wir, dass es mit der echten Gefahr vorbei sei.“