Offiziell will Berlin die Griechen bei der Wahl nicht unter Druck setzen. Trotzdem zeigt man die Folterinstrumente

Berlin/Brüssel. Offiziell hat Angela Merkel (CDU) den Griechen keine guten Ratschläge zu geben. Offiziell geht es sie nämlich gar nichts an, für welche Partei sich der griechische Souverän bei den Parlamentswahlen am 25. Januar entscheidet. „Wir respektieren die souveräne Entscheidung der griechischen Wähler und warten jetzt einmal ab“, sagte Steffen Seibert, der Sprecher der Bundeskanzlerin daher auch. Und er wolle sich auch nicht zu spekulativen Szenarien äußern, was alles nach der Wahl geschehen könne, sollten die radikalen Linken vom Wahlbündnis Syriza an die Macht kommen.

Die Linie ist abgestimmt – zumindest unter den Granden der Union. Horst Seehofer gibt sich nämlich ebenfalls zurückhaltend: „In Deutschland gibt es schon manchmal eine besondere Neigung, die Rolle eines Vormundes zu spielen gegenüber anderen Ländern“, sagte Bayerns Ministerpräsident. Es sei richtig, Hilfen an Bedingungen zu knüpfen, wie das auf deutschen Druck hin in der EU geschehen sei. „Aber wir sollten jetzt nicht als Oberlehrer im griechischen Wahlkampf auftreten.“ Es ist selten, dass die Bayern im Umgang mit Athen derart zurückhaltend waren in den vergangenen Krisenjahren.

Inoffiziell sieht die Haltung zu Griechenland allerdings auch etwas anders aus. Angesichts der guten Wahlaussichten für die linke Syriza bei den Parlamentswahlen am 25. Januar versucht Berlin nun das Ganze in seinem Sinn zu beeinflussen. Manchmal mit ganz viel Druck. Denn ein Wahlsieg Syrizas wäre so etwas wie der GAU für Berlins Euro-Rettungspolitik. Alexis Tsipras, der Chef des Parteienbündnisses, macht seit Monaten klar, was er nach einem Wahlsieg will: Sozialausgaben hoch, öffentliche Beschäftigung hoch, Sparverpflichtungen gegenüber Europa runter. Am liebsten noch einen Schuldenschnitt. Kurz und gut: Bleibt Tsipras bei seiner harten Linie, liefe es auf die Kündigung der mit Europa vereinbarten zwei Reformpakete hinaus. Die Troika, die Beobachtertruppe aus Internationalem Währungsfonds (IWF), EU und Europäischer Zentralbank (EZB), möchte Tsipras lieber heute als morgen loswerden – und dabei dennoch im Euro bleiben.

Für Angela Merkel wäre das ein Albtraum. Andere Länder würden sich im Notfall keine Auflagen mehr machen lassen. Zunächst waren es vor allem die Vertreter der Union, die Griechenland am Wochenende Feuer gaben. „Wenn die Griechen unter einem möglichen Regierungschef Tsipras wieder zum alten Schlendrian zurückkehren wollen, dann sollen sie das machen. Aber dann wird es keine Hilfen mehr geben“, sagte der CSU-Europaabgeordnete Markus Ferber. Und Michael Fuchs, der Fraktionsvize der CDU/CSU, machte klar, dass er das Erpressungspotenzial Athens heute – anders als vor vier Jahren – für nicht mehr vorhanden hält. Soll heißen: Wenn die Griechen sich nicht an die Vereinbarungen halten, fliegen sie halt raus aus der Währungsunion. Europa tut das nicht mehr weh, weil die Ansteckungseffekte auf den viel, viel größeren Rest des Währungsraums beherrschbar sind.

In der SPD hat man verstanden, wie populär solche Forderungen sind. Zu deutlich sind die Wahlerfolge der Euro-feindlichen Alternative für Deutschland (AfD). SPD-Chef und Vizekanzler Sigmar Gabriel fordert daher ebenfalls Vertragstreue von den Griechen ein. Und wie die Vertreter der Union drohte er dann mit dem Ende der Euro-Mitgliedschaft Athens.

Tatsächlich könnten Gabriel und die anderen Vertreter einer harten Linie sogar recht haben. Während die Kurse für Griechenlands Aktien und Anleihen fallen, bleibt der Rest Europas relativ stabil. Vorbei scheinen vorerst die Zeiten, wo jedes Husten in Athen in Europa einen heftigen Fieberschauer verursachte. Aber es ist nicht so, dass die Bundesregierung den Griechen den Austritt aus der Euro-Zone einfach diktieren könnte. Das zweite und vorerst letzte Hilfspaket für Athen endet Ende Februar. Damit geht das Engagement der Troika in Griechenland zu Ende. So wie es aussieht, werden die Griechen zwar weitere Hilfen brauchen. Läuft es aber wie geplant auf eine vorsorgliche Kreditlinie, also eine Art Dispo für Notländer hinaus, ist der Einfluss der Europäer auf Athen schon wesentlich geringer als bisher. Denn diese Kreditlinie sieht wesentlich weniger Kontrollen vor. Das heißt aber auch, dass der politische Spielraum der neuen Regierung größer wird – egal, wer das Land regiert.

Selbst Vertreter des konservativen Ministerpräsident Samaras hatten bei Gesprächen in Berlin mehrfach klargemacht, dass sie weitere Auflagen im alten Troika-Stil nicht mehr akzeptieren werden, weil sie politisch der gebeutelten Bevölkerung Griechenlands nicht zu vermitteln seien.

Die in Deutschland so hitzig geführte Debatte wird in anderen europäischen Ländern mit Besorgnis betrachtet. In EU-Kreisen hieß es, „wenn Tsipras Regierungschef wird, muss das nicht den Austritt Griechenlands aus der Euro-Zone bedeuten“. Ein Sprecherin der Kommission sagte, über einen möglichen Austritt Griechenlands werde nicht spekuliert. Sie verwies darauf, dass die Mitgliedschaft in der Währungsunion rein rechtlich nicht aufgegeben werden könne: „Die Euro-Mitgliedschaft ist unwiderruflich.“ Es gebe in den EU-Verträgen keine Bestimmung, die einen Austritt vorsehe.

Erbost über den Druck der Deutschen zeigt sich auch der Chef der Liberalen im EU-Parlament, Guy Verhofstadt. Laut Verhofstadt würde ein Austritt Griechenlands allein Deutschland 80 Milliarden Euro kosten. „Die Idee, dass Griechenland die Euro-Zone verlässt, ist Unsinn“, sagte er. Anstatt über einen „Grexit“ zu diskutieren, sollte man die Investitionsprobleme der Griechen angehen.