Kämpfe in Ostukraine flammen aber vor angekündigter Waffenruhe wieder auf. Prominente warnen vor Krieg in Europa

Berlin/Moskau. Auf versöhnliche Töne aus Moskau folgen neue tödliche Gefechte und Berichte über einen verdächtigen Militärkonvoi in der Krisenregion: Auch zwei Tage bevor eine umfassende Waffenruhe in Kraft treten und eine Pufferzone eingerichtet werden soll, ist in der Ostukraine wieder gekämpft worden. Mindestens fünf Zivilisten und zwei Soldaten seien getötet worden, vermeldeten am Sonntag die Behörden.

Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) übte scharfe Kritik an Russland. Sie bekräftigte in der „Welt am Sonntag“ die EU-Sanktionspolitik gegenüber Moskau. Das Russland „die territoriale Integrität und Souveränität der Ukraine verletzt hat, darf nicht folgenlos bleiben.“ Und auch Moldau und Georgien, die wie die Ukraine Assoziierungsabkommen mit der EU unterzeichnet haben, „bereitet Russland Schwierigkeiten“, sagte die Kanzlerin. Sie nannte insbesondere die Konflikte um Transnistrien, Südossetien und Abchasien. Bei der Destabilisierung schrecke Moskau nicht davor zurück, die territoriale Integrität der betreffenden Länder zu verletzen.

Am Sonnabend hatten sich Russlands Präsident Wladimir Putin und Frankreichs Staatschef François Hollande überraschend zu einem Austausch über die Krise am Moskauer Flughafen getroffen. „Frankreich und Russland sind für ein sofortiges Ende des Blutbades“, sagte der Kreml-Chef im Anschluss. Und er hoffe „auf eine Verbesserung in naher Zukunft“.

Wenige Stunden zuvor hatte der ukrainische Präsident Petro Poroschenko bei einem Truppenbesuch in Tschugujiw eine „vorläufige Einigung“ mit den prorussischen Separatisten in Lugansk und Donezk über die Einhaltung einer Waffenruhe und die Einrichtung einer Pufferzone verkündet. Ab Dienstag sollen die Waffen dauerhaft schweigen, am selben Tag sollen Vertreter der Rebellen, der russischen Regierung und der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa mit den Vertretern Kiews über weitere Schritte verhandeln. Wichtigste Etappe nach dem vereinbarten Beginn der Waffenruhe am Dienstag: „In den folgenden 30 Tagen müssen sich die Seiten aus der demilitarisierten Zone zurückziehen.“

Für Beunruhigung sorgte auch ein Bericht von Beobachtern der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE), wonach am Sonntag ein Konvoi von 60 ungekennzeichneten Lastwagen auf dem Weg von Schachtarsk nach Donezk gesichtet wurde. Kiew und der Westen werfen Russland vor, die prorussischen Separatisten seit Beginn der Krise mit Waffen und Kämpfern zu unterstützen. In Deutschland haben unterdessen drei Persönlichkeiten einen Aufruf von Prominenten mit dem Titel „Wieder Krieg in Europa? Nicht in unserem Namen!“ organisiert: der frühere Kanzlerberater Horst Teltschik (CDU), Ex-Verteidigungsstaatssekretär Walther Stützle (SPD), die frühere Bundestagsvizepräsidentin Antje Vollmer (Grüne). Mehr als 60 Persönlichkeiten aus Politik, Wirtschaft, Kultur und Medien haben ihn unterschrieben, darunter Altbundespräsident Roman Herzog, der ehemalige SPD-Vorsitzende Hans-Jochen Vogel, Ex-Kanzler Gerhard Schröder (PD) sowie die ehemaligen Bürgermeister von Berlin und Hamburg, Eberhard Diepgen (CDU) und Klaus von Dohnanyi (SPP).

In dem Aufruf heißt es unter anderem, niemand wolle Krieg. „Aber Nordamerika, die Europäische Union und Russland treiben unausweichlich auf ihn zu, wenn sie der unheilvollen Spirale aus Drohung und Gegendrohung nicht endlich Einhalt gebieten. Alle Europäer, Russland eingeschlossen, tragen gemeinsam die Verantwortung für Frieden und Sicherheit. Nur wer dieses Ziel nicht aus den Augen verliert, vermeidet Irrwege.“

Der Ukraine-Konflikt zeige, dass die Sucht nach Macht und Vorherrschaft nicht überwunden ist. Bei Amerikanern, Europäern und Russen sei der Leitgedanke, Krieg aus ihrem Verhältnis dauerhaft zu verbannen, verloren gegangen. „Anders ist die für Russland bedrohlich wirkende Ausdehnung des Westens nach Osten ohne gleichzeitige Vertiefung der Zusammenarbeit mit Moskau wie auch die völkerrechtswidrige Annexion der Krim durch Putin nicht zu erklären.“

„Wir, die Unterzeichner, appellieren an die Bundesregierung, ihrer Verantwortung für den Frieden in Europa gerecht zu werden. Wir brauchen eine neue Entspannungspolitik für Europa. Das geht nur auf der Grundlage gleicher Sicherheit für alle und mit gleichberechtigten, gegenseitig geachteten Partnern. Die deutsche Regierung geht keinen Sonderweg, wenn sie in dieser verfahrenen Situation auch weiterhin zur Besonnenheit und zum Dialog mit Russland aufruft. Das Sicherheitsbedürfnis der Russen ist so legitim und ausgeprägt wie das der Deutschen, der Polen, der Balten und der Ukrainer. Wir dürfen Russland nicht aus Europa hinausdrängen. Das wäre unhistorisch, unvernünftig und gefährlich für den Frieden. Seit dem Wiener Kongress 1814 gehört Russland zu den anerkannten Gestaltungsmächten Europas. Alle, die versucht haben, das gewaltsam zu ändern, sind blutig gescheitert – zuletzt das größenwahnsinnige Hitler-Deutschland, das 1941 mordend auszog, auch Russland zu unterwerfen.“