Palästinenser töten vier Betende in einer Jerusalemer Synagoge. Das Massaker zerstört Hoffnung auf Frieden in Nahost. Tathergang stellt israelische Sicherheitskräfte vor neue Probleme.

Tel Aviv. Rot gefärbte Gebetstücher, Leichen, die mit ihren Gebetsriemen in Blutlachen liegen: Den Rettern, die Dienstagmorgen in die Synagoge an der Shimon-Agassi-Straße in Westjerusalem eilten, bot sich ein fürchterlicher Anblick. In den frühen Morgenstunden waren zwei Palästinenser aus dem Ostjerusalemer Stadtteil Jabal Mukaber in eine große Thoraschule im stillen Stadtteil Har Nof eingedrungen. Mit Pistolen, Äxten und einem 50 Zenitmeter langen Metzgermesser bewaffnet gingen sie in der unteren Etage von Zimmer zu Zimmer und ermordeten alle, die ihnen begegneten – orthodoxe Juden, die sich zum Morgengebet versammelt hatten. Mindestens vier Menschen kamen ums Leben, drei von ihnen US-Staatsbürger, einer Brite. Mindestens acht wurden zum Teil lebensgefährlich verletzt, darunter auch Polizisten, die zu Hilfe geeilt waren. Schlimmeres wurde verhindert, weil Sicherheitskräfte innerhalb von sieben Minuten zum Tatort gelangten und die beiden Täter erschossen.

Das Attentat könnte Vorbote einer neuen Phase des Konflikts in Jerusalem sein. Die Stadt wird zwar seit Monaten von gewaltsamen Demonstrationen, Unruhen und Anschlägen erschüttert. Doch das Massaker in der Synagoge unterscheidet sich in mehrerer Hinsicht von allem, was Jerusalem bislang erschütterte. Konzentrierten sich die gewalttätigen Ereignisse bisher hauptsächlich auf arabische Stadtteile und die Nahtlinie, die den arabischen Osten und den jüdischen Westen der Stadt miteinander verbindet (oder voneinander trennt), ereignete sich das Blutbad im Gebetshaus mitten im jüdischen Westteil der Stadt, in einem friedlichen Wohnviertel orthodoxer Juden.

Der zweite Unterschied ist ein noch größerer Anlass zur Sorge. Die Attentäter griffen Betende in einer Synagoge an und verstärkten so die religiöse Dimension des Konflikts. Seit Wochen eskaliert die Gewalt in Jerusalem vor dem Hintergrund des Streits um den Tempelberg, der Muslimen und Juden heilig ist. Laut einer Vereinbarung aus dem Jahr 1967 dürfen Juden den Ort nur besuchen, aber nicht dort beten, weil auf dem Tempelberg die Al-Aksa-Moschee steht, der drittheiligste Ort des Islam. Immer größere Kreise religiöser Juden stellen diesen Status quo jedoch infrage und wollen an dem Ort, an dem vor 2000 Jahren der jüdische Tempel stand, auch beten. Das weckt in muslimischen Kreisen die alte Angst, dass Israel die Moschee zerstören will, um an ihrer statt einen Tempel zu errichten – eine Furcht, die sich hartnäckig hält – trotz aller Beteuerungen des israelischen Premiers Benjamin Netanjahu, Israel wolle den Status quo vor Ort nicht verändern.

Tat stellt Israel vor neue Probleme

Noch problematischer dürfte für Israel ein weiterer Aspekt des Anschlags sein. Bislang sprachen Sicherheitskräfte von „Einzeltätern“, die sich spontan und ohne Absprache zu ihren Taten entschlossen. Das Problem mit solchen Attentaten ist, dass man sie kaum verhindern kann. Andererseits ist aber auch der Schaden, den ein Einzeltäter verursachen kann, begrenzt. In diesem Fall jedoch handelt es sich um keinen spontanen Gewaltakt, sondern um ein von langer Hand geplantes Attentat. Die Täter wussten genau, wann sie wo zuschlagen mussten, um so viele Menschen wie möglich zu töten. Sie statteten sich mit Waffen aus, sprachen sich ab und führten dann ihre Tat kaltblütig aus. Das weckt den Verdacht, dass erstmals auch eine Terrororganisation hinter dem Anschlag stehen könnte. Kurz nach dem Attentat bekannte sich die Volksfront zur Befreiung Palästinas zur Tat. Es gibt aber keine unabhängige Bestätigung, dass das Bekennerschreiben authentisch ist.

Dennoch könnte Jerusalem nun ein verheerender Wettkampf palästinensischer Terrororganisationen bevorstehen, die um das Prestige ringen, die meisten und tödlichsten Attentate gegen Israel begangen zu haben. Die radikalislamische Hamas pries das Attentat jedenfalls sogleich als „heroische Tat“. Seit Wochen fordert sie die Palästinenser im Westjordanland auf, Anschläge auf Israelis zu verüben und eine neue Intifada zu beginnen. Möglicherweise fühlten sich die beiden Täter, die Cousins Rassan und Odai Abu Dschamal, von diesem Aufruf angesprochen. Sie stammen aus dem Stadtteil Jabal Mukaber in Ostjerusalem, bekannt als Hochburg der Hamas. Sie sollen Verwandte eines Terroristen gewesen sein, der von Israel im Rahmen eines Gefangenenaustauschs freigelassen wurde.

Abbas befolgt Anweisung Kerrys

Erst Ende vergangener Woche hatte US-Außenminister John Kerry Palästinenserpräsident Mahmud Abbas, den jordanischen König Abdullah II. und Netanjahu in Amman getroffen, um die Lage in Jerusalem zu deeskalieren. Angesichts der seit Monaten andauernden Unruhen in der Stadt hatten die Führungen beider Seiten versprochen, alles zu tun, um die Lage zu beruhigen. Kerry rief kurz nach dem Attentat die Palästinenser auf, die Tat „auf allen Führungsebenen zu verurteilen“. Abbas kam dieser Aufforderung noch in den Morgenstunden nach. Sein Sprecher verurteilte „jede Gewalt gegen Zivilisten, egal, von wem sie ausgeht, einschließlich der Gewalt gegen Betende in einer Gebetsstätte“. Dennoch machte Netanjahu in einer eigens einberufenen Sitzung des Sicherheitskabinetts auch Abbas verantwortlich: „Das Attentat ist die direkte Folge der Hetzkampagne, die von der Hamas und Abbas angeführt wird, eine Kampagne, die von der internationalen Staatengemeinschaft völlig ignoriert wird.“ Er gelobte, dass Israel mit „harter Hand“ reagieren werde. Der Chef des Inlandsgeheimdienstes Schin Bet, Joram Cohen, widersprach Netanjahu jedoch: „Abu Masen (Abbas) ist nicht an Terror interessiert und hetzt nicht zur Gewalt auf, auch nicht unter der Hand, obwohl ein Teil der Öffentlichkeit seine Äußerungen so auslegt.“

Nach dem Attentat flackerten die Unruhen in Jerusalem wieder auf. Ein großes Polizeiaufgebot rückte in Jabal Mukaber ein, dem Stadtteil, aus dem die Attentäter stammten. Palästinensische Jugendliche empfingen sie mit Steinen und Brandsätzen. Der arabische Osten der Stadt brodelt vor Hass, Wut und Misstrauen.