Luftschläge der USA erschweren dem IS die Eroberung der syrischen Grenzstadt Kobane. Aber das türkische Militär hegt Sympathien für die Terroristen

Suruç. Wir haben wirklich Fortschritte gemacht“, sagte US-Verteidigungsminister Chuck Hagel. „Aber die Situation bleibt gefährlich.“ Tag und Nacht fliegen Kampfflugzeuge weiterhin Angriffe auf Stellungen des Islamischen Staates (IS) in Kobane. Die Bomben der von den USA angeführten internationalen Koalition zeigen Wirkung. Die islamistische Terrormiliz wurde aus dem Stadtzentrum des syrischen Grenzortes zur Türkei gedrängt. „Unsere Kämpfer haben die Taktik gewechselt“, sagte Idris Naasan, der „Außenminister“ der autonomen Region Kobane. „Sie haben aufgehört, sich nur zu verteidigen, und sind in die Offensive gegangen.“ Natürlich wäre das ohne die Luftunterstützung der Koalition nicht möglich, wie Naasan betont.

Mittlerweile sollen auch die Nachschubwege des IS bombardiert werden. Die Extremisten bekommen ständig Verstärkung aus den von ihnen kontrollierten Städten Rakka, al-Bab, Mandschbi und Jarablous. Sie möchten Kobane mit aller Gewalt einnehmen, schließlich versuchen sie das bereits seit einem Jahr. Und ein Sieg zum gegenwärtigen Zeitpunkt wäre ein Propagandatriumph. Denn der IS hätte nicht nur die Kurden in die Knie gezwungen, sondern auch der internationalen Koalition eine Niederlage bereitet.

Nur so einfach ist es für den IS nicht mehr, seit die Kampfjets und Drohnen ständig am Himmel kreisen. Die Kämpfer bewegen sich auf Motorrädern und haben kurdische Flaggen auf ihren Fahrzeugen positioniert, um Angriffe aus der Luft zu vermeiden. Eine Offensive auf den Grenzübergang in Kobane zur Türkei hatten sie wegen der Bombardierungen abbrechen müssen. Mit der Einnahme des Grenzorts hätten sie die letzte Fluchtmöglichkeit von den rund 700 in der Stadt verbliebenen Zivilisten und mehr als 10.000 Menschen am Grenzzaun geschlossen.

„In unserer Nähe schlugen Mörsergranaten ein, und wir wurden beschossen“, erzählt Hassan, der mit seiner Frau und zwei kleinen Kindern 20 Tage lang direkt am Grenzübergang kampiert hatte. Am Sonnabend ließ ihn das türkische Militär endlich gehen. „Dort sind noch Tausende, die darauf warten, die Grenze passieren zu können“, sagt der 27-jährige Bauer. „Vor einer Woche waren die Kämpfe plötzlich in unsere Nähe gekommen“, mischt sich Ischa, ein anderer Familienvater, ein. Zum Glück sei aber niemand von ihnen verletzt worden. „Wir stammen alle aus einem Dorf östlich von Kobane“, erklärt der 35-jährige Ischa. „Unsere Häuser wurden vom IS zerstört und völlig geplündert. Unsere Traktoren, unsere Tiere, alles ist weg.“ Die Männer seien nur mit auf die Flucht gekommen, um die Frauen und vor allen Dingen die Kinder in Sicherheit zu bringen. „Wir wollen nur einen sicheren und festen Platz für sie im Flüchtlingslager“, meint Ischa und zeigt auf die Zelte, die gerade auf einem offenen Feld außerhalb der türkischen Grenzstadt Suruç aufgebaut werden. „Danach gehen wir Männer sofort nach Kobane zurück, um zu kämpfen.“ Hassan, der seine Tochter auf dem Arm hält, nickt entschlossen und sagt dann: „Wir haben alles verloren, aber das macht nichts. Wir können das wieder aufbauen, nur Kobane darf nicht fallen. Die Stadt ist unser Symbol, sie ist Symbol für alle Kurden.“

Hassan und Ischa wären mit ihren Familien in den 20 Tagen Wartezeit vor dem Grenztor verhungert und verdurstet, wäre nicht „die Partei“ gewesen, wie sie sagen. Sie meinen die Partei der Demokratischen Union (YPD), deren Miliz Kobane gegen den IS verteidigt. „Sie haben uns und alle anderen Tausenden von Menschen Verpflegung gebracht“, erzählen Hassan und Ischa.

Täglich sind es bis zu fünf Lkw, die von türkischer Seite nach Kobane fahren. „Geladen haben sie Verpflegung und Medikamente“, sagt Tahsin Erdin, der für die Versorgung von Flüchtlingen aus Kobane zuständig ist und zur kurdischen Demokratischen Partei der Bürger (BDP) gehört. „Allerdings kann man sich nie darauf verlassen, ob und wie viele Lkw von den türkischen Grenzbeamten durchgelassen werden.“ Man sei vollkommen der Willkür der Türken ausgeliefert.

Deshalb gebe es auch andere Wege, um nach Kobane zu kommen. Mehr kann und darf Erdin nicht dazu sagen. Aber bei einer Fahrt entlang der Grenze wird klar, wie leicht es ist, unbemerkt auf die syrische Seite zu gelangen. In verlassenen Gegenden, in denen sich nur noch Fuchs und Hase Gute Nacht sagen, gibt es keine Grenzbefestigungen mehr, und der Zaun hat Löcher. „Wir wissen, wo die Minenfelder sind und können jederzeit hin und zurück“, sagt ein Schmuggler, mit dem wir im Wagen von einem abgelegenen Weiler zum anderen fahren. Er wird von den türkischen Soldaten, denen wir begegnen, freundlich begrüßt. An einer Stelle haben Einwohner von Kobane Hunderte Autos, Busse, Traktoren und Bagger direkt am Grenzzaun in Sicherheit gebracht. Einige Männer bewachen den Fuhrpark und schlafen in einem Bus.

Zur türkischen Seite sind es höchstens fünf Meter. Im Hintergrund weidet ein Mann eine kleine Schafherde. „Vor zwei Wochen gab es hier schwere Kämpfe“, meint der verantwortliche Offizier des türkischen Militärs. „Seit der IS die Gegend erobert hat, ist es endlich ruhig“, meint der junge Mann und fügt ein „cool“ an. Wo die Sympathien des türkischen Soldaten und seiner Kameraden liegen, ist klar. Sie wollen auch kein einziges kurdisches Wort hören. Sie verbitten sich sogar ein Spas (danke) und verlangen die türkische Übersetzung. „Das ist typisch für das gesamte türkische Militär“, meint der Flüchtlingskoordinator Erdin. „Wie ist es sonst möglich, dass man am Grenzübergang selbst Schwerverwundete stundenlang oder sogar einen Tag warten lässt“, behauptet er verärgert und kopfschüttelnd. Viele seien an der Grenze schon gestorben.