Terrormiliz IS zieht Kämpfer im Norden Syriens zusammen – Nach Enthauptung eines Briten durch die radikalen Islamisten wächst Sorge um US-Geisel

Ankara/Berlin. Die extremistische Miliz Islamischer Staat (IS) versucht nach Zeitungsinformationen, Terrorkommandos als Flüchtlinge getarnt nach Europa zu schleusen. Aus je vier Terroristen bestehende Gruppen sollten die syrisch-türkische Grenze überqueren und mithilfe gefälschter Pässe weiter nach Westeuropa reisen, auch nach Deutschland. Dort sollten sie Anschläge verüben, schreibt die „Bild am Sonntag“ unter Berufung auf Sicherheitskreise.

Aus abgehörten Gesprächen hätten US-Geheimdienste auch erfahren, dass die Terroristen wegen der strengeren Kontrollen an Airports keine Flugzeuge benutzen sollen. Deutschen Behörden ist das Szenario laut der Zeitung bekannt, dies hätten Regierungskreise bestätigt.

Ein Sprecher des Bundesinnenministeriums sagte auf Anfrage lediglich: „Deutschland steht nach wie vor im Fokus des dschihadistischen Terrorismus.“ Daraus resultiere eine abstrakt hohe Gefährdung für die innere Sicherheit. Derzeit gebe es jedoch keine Hinweise auf konkrete Anschlagsplanungen.

Nach der Enthauptung des Briten Alan Henning durch die Terrormiliz Islamischer Staat (IS) in Syrien gerät die Regierung in London unter Zugzwang. Die Downing Street müsse sich dafür einsetzen, dass der Geldfluss an die Terroristen aus einflussreichen Golfstaaten wie Katar und Saudi-Arabien gestoppt werde, betonten frühere Generäle sowie der Ex-Verteidigungsminister Liam Fox im „Sunday Telegraph“. Katar und Saudi-Arabien unterhalten milliardenschwere Geschäftsverbindungen nach London. Premierminister David Cameron drohte der Extremisten-Miliz mit Vergeltung. Es werde alles getan, „um diese Organisation zu besiegen, die Menschen auf eine zutiefst unbarmherzige, sinnlose und barbarische Art behandelt“, sagte Cameron. Die britische Regierung werde alles unternehmen, um weitere Gefangene des IS aufzuspüren und ihnen zu helfen. Dazu würden „alle zur Verfügung stehenden Mittel“ eingesetzt.

Am Freitagabend war ein Video aufgetaucht, das vor laufender Kamera die Ermordung des 47-jährigen Taxifahrers Henning aus Manchester zeigt. Wie in den drei vorangegangenen Fällen zwangen die Täter ihr Opfer, eine Erklärung zu verlesen, bevor ein Maskierter es enthauptete. „Wegen der Entscheidung unseres Parlaments, den Islamischen Staat anzugreifen, zahle nun ich den Preis“, musste er sagen. Regierungsvertreter in Washington erklärten, es gebe keinen Grund, an der Echtheit des über YouTube verbreiteten Videos zu zweifeln. Der Schwager des Opfers warf der Regierung in London vor, nicht genug für Hennings Freilassung getan zu haben.

Der Brite war bei einem Hilfseinsatz im Norden Syriens, bei dem medizinische Ausrüstung in Krankenhäuser gefahren werden sollte, verschleppt und neun Monate gefangen gehalten worden. „Alan ist nach Syrien gegangen, um Menschen aller Glaubensrichtungen in der Stunde der Not zu helfen“, erklärte Cameron. Seine Hinrichtung zeige das ganze Ausmaß der Barbarei der IS. Muslimische Gruppen verurteilten die Hinrichtung ebenfalls und sprachen von einer „verabscheuungswürdigen Tat“. In den Moscheen werde für den früheren Taxifahrer und seine Familie gebetet.

Nach Hennings Enthauptung wächst nun die Sorge um das Leben eines US-Entwicklungshelfers, der vom IS gefangen gehalten wird. Die Eltern des 26 Jahre alten Peter Kassig flehten die Geiselnehmer in einer Videobotschaft an, ihren Sohn gehen zu lassen. Kassig hatte nach einem Bericht der „Washington Post“ von April bis Juli 2007 als Soldat im Irak gedient und war nach seiner Zeit bei der US-Armee als Entwicklungshelfer nach Syrien gegangen. Er wurde im Oktober 2013 verschleppt. Trotz schwerer Verluste und neuer Luftschläge der von den USA geführten Koalition verstärkte die Terrormiliz Islamischer Staat am Sonntag ihre Angriffe auf die nordsyrische Stadt Kobane in unmittelbarer Nähe zur türkischen Grenze.

Die Dschihadisten hätten Verstärkung aus ihren Hochburgen in Al-Rakka und Deir as-Saur im Kampf um Kobane hinzugezogen, berichtete die kurdische Nachrichtenagentur Firat am Sonntag unter Berufung auf Angaben der kurdischen Volksschutzeinheiten (YPG), die die Stadt verteidigen. Innerhalb der vergangenen 24 Stunden seien 86 IS-Extremisten getötet worden, aufseiten der YPG seien 17 Kämpfer ums Leben gekommen. Südlich der Stadt gebe es „Nahkampf-Gefechte“. Die USA und ihre arabischen Verbündeten hätten die Kurden mit sieben Luftangriffen bei Kobane unterstützt, teilte die syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte mit.

Im Irak seien 20 IS-Kämpfer bei Luftschlägen der von den USA angeführten Koalition westlich der Stadt Mossul ums Leben gekommen, berichteten Augenzeugen. Zwölf weitere Extremisten seien bei Gefechten mit der irakischen Armee nahe Baidschi getötet worden, hieß es aus Sicherheitskreisen. Die IS-Dschihadisten hätten am Sonntag erneut die größte Ölraffinerie des Irak angegriffen, seien jedoch zurückgeschlagen worden. Die Anlage rund 200 Kilometer nördlich von Bagdad ist seit Monaten umkämpft. Im Juni hatten Extremisten die Raffinerie kurzzeitig erobert, waren dann jedoch von der irakischen Armee wieder vertrieben worden. Seitdem hat die IS-Miliz mehrmals Baidschi angegriffen.

Die IS-Dschihadisten versuchen seit Tagen, die Stadt Kobane einzunehmen. Angesichts der der dadurch ausgelösten Flüchtlingskatastrophe an der syrisch-türkischen Grenze forderte die Grünen-Politikerin Claudia Roth ein stärkeres deutsches Engagement. „Die humanitäre Situation ist dramatisch“, sagte die Bundestagsvizepräsidentin nach einem Besuch im Grenzgebiet. „Die Türkei braucht sofortige internationale humanitäre Unterstützung.“ Auch Deutschland sei dabei gefordert.