Regierung in Kiew und Separatisten ordnen Feuerpause an. Nato-Gipfel beschließt Aktionsplan für Osteuropa

Minsk/Newport. Der ukrainische Präsident wählte große Worte: „Die ganze Welt strebt nach Frieden. Nach Frieden strebt die ganze Ukraine – einschließlich der Millionen Bewohner des Donbass“, sagte Petro Poroschenko am Freitagmittag – und teilte mit: Beim Treffen der Ukraine-Kontaktgruppe in der weißrussischen Hauptstadt Minsk sei „ein vorläufiges Protokoll für eine Einstellung des Feuers unterzeichnet“ worden. Nach monatelangen schweren Kämpfen in der Ostukraine haben sich die Führung in Kiew und die prorussischen Separatisten erstmals auf eine Waffenruhe geeinigt. Der ukrainische Präsident Petro Poroschenko wies seine Truppen am Freitag an, ab 18 Uhr Ortszeit (17 Uhr MESZ) das Feuer im Konfliktgebiet einzustellen. Allerdings wurden keine Angaben zu deren Dauer gemacht.

Auch Separatistenführer Andrej Sachartschenko im ostukrainischen Donezk ordnete eine Feuerpause an. Die Einigung bedeute aber nicht, dass die Aufständischen ihr Ziel einer Abspaltung von der Ukraine aufgäben, sagte ein Separatistenführer in Lugansk russischen Agenturen zufolge.

Russland begrüßte die Einigung auf eine Waffenruhe. Der Kreml richtete zugleich mahnende Worte an beide Seiten. Russland hoffe darauf, „dass sämtliche Elemente des Dokuments und der geschlossenen Vereinbarungen von allen Parteien Punkt für Punkt befolgt werden“, sagte Kreml-Sprecher Dmitri Peskow. Gleiches gelte für die weiteren Verhandlungen über eine „vollständige Beilegung der Krise in der Ukraine“.

Es ist die erste von beiden Seiten vereinbarte Waffenruhe seit Beginn der ukrainischen „Anti-Terror-Operation“ im April. Eine frühere Feuerpause hatte die Ukraine einseitig ausgerufen, diese war aber brüchig gewesen. Der russische Außenpolitiker Alexej Puschkow begrüßte die Einigung im russischen Staatsfernsehen als seriös.

Experten gehen dennoch davon aus, dass angesichts komplizierter Befehlsketten auf beiden Seiten des Konflikts eine Umsetzung der Waffenruhe nicht einfach werden könnte. In der Konfliktregion kam es ungeachtet der Gespräche in Minsk zu neuer Gewalt mit Toten und Verletzten. Noch am Morgen hatten die Behörden von Mariupol und die Separatisten von Kämpfen nahe der strategisch wichtigen Hafenstadt berichtet.

Vereinbart wurde in Minsk ein aus zwölf Punkten bestehendes Protokoll: Darin einigten sich beide Seiten auch auf einen Austausch von Gefangenen und auf eine Kontrolle der Feuerpause durch Beobachter der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE). Dies war auch Teil eines Friedensplans von Kreml-Chef Wladimir Putin. Poroschenko wies seine Regierung an, gemeinsam mit der OSZE die Kontrolle der Waffenruhe vorzubereiten. Die Organisation will nach den Worten von Russlands OSZE-Botschafter Andrej Kelin ihre Beobachtermission in dem Konfliktgebiet von 100 auf 500 Personen ausweiten. Zur Kontaktgruppe gehören Vertreter der Ukraine, Russlands und der OSZE, auch Vertreter der Aufständischen nahmen am Freitag an dem Treffen in Minsk teil. Die ukrainische Führung hatte zuvor lange Zeit Verhandlungen mit den von Russland unterstützten Separatisten abgelehnt. Gespräche über den künftigen staatlichen Status des Konfliktgebiets Donbass soll es nach Darstellung von Verhandlungsteilnehmern erst zu einem späteren Zeitpunkt geben.

Die Regierung in Kiew betonte, dass die Waffenruhe nach den Bedingungen des Friedensplans ihres Präsidenten Poroschenko umgesetzt werden sollte. Ministerpräsident Arseni Jazenjuk forderte unter anderem einen Rückzug russischer und aufständischer Kämpfer aus der Ostukraine und die Wiederherstellung der Kontrollen an der ukrainisch-russischen Grenze. Einen Friedensplan von Putin lehnte Jazenjuk ab. Putin hatte unter anderem einen Rückzug aller Bewaffneten und einen Gefangenenaustausch gefordert. Eine Entwaffnung der prorussischen Separatisten sieht Putins Plan indes nicht vor.

Der Westen wirft Russland vor, die prorussischen Separatisten im Kampf gegen das ukrainische Militär mit Waffen und Soldaten zu unterstützen. Moskau hat dies wiederholt bestritten. Mehrere russische Fernsehkanäle strahlten am Freitag aber fast gleichzeitig Sendungen über „Freiwillige“ aus, die im Kampf gegen die ukrainische Armee als „Helden“ ihr Leben ließen.

Die Ukraine-Krise war am Freitag auch das beherrschende Thema beim Nato-Gipfel im walisischen Newport: Das Verteidigungsbündnis besinnt sich angesichts des Vorgehens Russlands im Konflikt mit seinem westlichen Nachbarland wieder auf Mittel der Abschreckung. Die Staats- und Regierungschefs der 28 Alliierten beschlossen am Freitag den sogenannten Readyness Action Plan (sinngemäß: Plan für höhere Bereitschaft). Er zielt auf den Schutz der ost- und mitteleuropäischen Partner, die sich von Russland bedroht fühlen. Zentrales Element des Aktionsplans ist eine „Speerspitze“ der schnellen Eingreiftruppe (Nato Response Force). Es geht um mehrere Tausend – vermutlich 3000 bis 5000 – Soldaten aller Waffengattungen, die im Krisenfall binnen zwei bis fünf Tagen in Einsatzbereitschaft versetzt werden können. „Unsere Präsenz im Osten wird sichtbarer“, sagte Nato-Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen.

Die Soldaten der Einheiten sollen nur mit leichtem Gepäck ausgerüstet sein. Fahrzeuge, Waffen, Munition und andere Ausrüstung werden den Plänen zufolge in möglichen Einsatzländern gelagert. Die „Speerspitze“ soll abwechselnd von mehreren Verbündeten gestellt werden.

Damit will das Bündnis an den Regeln der Gründungsakte des Nato-Russlands-Rates von Mai 1997 festhalten. Der Vertrag verbietet der Allianz, dauerhaft Kampftruppen in Ost- und Mitteleuropa zu stationieren. „Wir haben keine Entscheidung getroffen, uns von der Nato-Russland-Akte abzuwenden“, sagte Rasmussen. In Polen, den baltischen Staaten Estland, Lettland und Litauen sowie in Rumänien gab es Stimmen, den Vertrag aufzukündigen, den Russland ihrer Ansicht nach durch seine Aggressionspolitik gebrochen hat.

Das Bündnis hat die Beziehungen zu Moskau nach der Annexion der ukrainischen Halbinsel Krim auf Eis gelegt und beobachtet mit Sorge, wie Russland offensichtlich Separatisten in der Ostukraine unterstützt. Der britische Premierminister David Cameron sagte: „Unser großes Bündnis muss sich weiterentwickeln und auf die Fähigkeiten besinnen, die wir brauchen, um unseren Völkern Sicherheit zu geben.“ Großbritannien sei bereit, bis zu 3500 Soldaten für die „Speerspitze“ abzustellen.

Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) sieht in den Beschlüssen des Gipfels das Signal an Russland, dass die Allianz das Vorgehen Moskaus im Ukraine-Konflikt nicht akzeptiert. „Wir haben klar und deutlich gemacht, dass Prinzipien verletzt werden“, sagte Merkel. „Wir haben aber auch deutlich gemacht, dass wir zu unseren Verabredungen stehen.“ Deswegen halte die Nato an dem Grundlagenvertrag mit Russland fest. „Wir stehen zu der Sicherheitsarchitektur Europas.“