Kremlchef Putin und Präsident Poroschenko reichen sich in Minsk die Hand – der Beginn einer Annäherung im Konflikt um die Ostukraine?

Minsk. Hohl klingen die Schritte im Palast der Unabhängigkeit in Minsk, als Kremlchef Wladimir Putin und sein ukrainischer Kollege Petro Poroschenko aufeinander zugehen. Fotografen versuchen, jeden Blick der Staatschefs bei ihrer ersten Begegnung seit Anfang Juni einzufangen. Poroschenkos Miene wirkt versteinert, als er dem lächelnden Putin die Hand reicht. Ein Neuanfang? Oder unverbindliche Höflichkeit? Der Machtpoker auf neutralem Boden könnte die Weichen für die weiteren Ereignisse in der umkämpften Ostukraine stellen.

Es war ihr erstes Treffen seit Juni. Poroschenko warb für seinen Friedensplan. Ziel der Gespräche sei, das Blutvergießen in seinem Land zu beenden und einen politischen Kompromiss zu suchen. Putin betonte, Moskau sei zu einem weiteren Dialog über die Krise bereit. Die Führung in Kiew müsse zudem mit den Aufständischen verhandeln.

Die Interpretationen gehen weit auseinander, ob der „Handschlag von Minsk“ vielleicht ein Symbol der Verständigung ist. Beim anschließenden „Familienfoto“ vom Treffen der Eurasischen Zollunion vor Staatsflaggen klafft schon wieder eine deutliche Distanz zwischen Putin und Poroschenko. Der weißrussische Präsident Alexander Lukaschenko steht als Gastgeber zwischen ihnen, außen blicken Kasachstans Staatschef Nursultan Nasarbajew und EU-Außenbeauftragte Catherine Ashton in die Kameras.

In Moskau und Kiew versucht man, die Bedeutung des Treffens herunterzuspielen. In der weißrussischen Hauptstadt seien sich die Staatschefs beim Treffen der Zollunion eben einfach über den Weg gelaufen. Und „wie so etwas üblich ist bei solchen Veranstaltungen, haben sich die beiden die Hand geschüttelt“, sagt ein namentlich nicht genannter Mitarbeiter des Kreml dem Radiosender Echo Moskwy. In Kiew stuft ein Berater von Poroschenko die Szene als „Floskel“ ein. Denn groß ist die Gefahr, dass ein politischer Konkurrent Kapital daraus schlagen könnte.

Putin gilt in der krisengeschüttelten Ukraine als Feindfigur, die die prorussischen Separatisten in ihrem Krieg gegen Regierungseinheiten mit Kämpfern und Waffen unterstützt. Moskau brüskiert zudem Kiew mit einem geplanten zweiten Hilfskonvoi für die Ostukraine – nur Tage, nachdem mehr als 200 weißlackierte Lastwagen eigenmächtig in die benachbarte Ex-Sowjetrepublik gerollt sind. In dieser Atmosphäre ist ein Handschlag mit dem „Gegner“ riskant – zumal in der Ukraine der Wahlkampf begonnen hat.

Poroschenko hat in Absprache mit den Parteien das Parlament aufgelöst und Neuwahlen für den 26. Oktober ausgerufen. Die vorgezogene Abstimmung hat er bei seinem Amtsantritt Anfang Juni versprochen. Der prowestliche Politiker hofft, seine Machtbasis in der Obersten Rada auszubauen. Doch Experten warnen, dass Poroschenko die Rechnung ohne den Wirt gemacht haben könnte. Die Popularität seiner geplanten Partei Solidarnost (Solidarität) schwindet. Nach seinem Wahlsieg im Mai lagen die Prognosen noch bei 40 Prozent. Zuletzt waren in Umfragen aber nur noch 28 Prozent der Ukrainer bereit, für Solidarnost zu stimmen. Das Treffen mit Putin könnte Poroschenko bei unentschlossene Wähler nicht unbedingt beliebter machen.

Auch bei der Diskussionsrunde mit Staatschefs und EU-Politikern an einem großen runden Tisch im Minsker Palast sitzen Poroschenko und Putin weit voneinander entfernt. Die andauernden Gefechte im Raum Donezk sind das Hauptthema der Gespräche, soeben hat die ukrainische Armee zehn russische Soldaten in der Kampfzone gefangen genommen. Doch Beobachtern fällt auf, dass Putin und Poroschenko gegenseitige Schuldzuweisungen meiden. Ist das Treffen im autoritär regierten Weißrussland, „Europas letzter Diktatur“, vielleicht doch ein Neubeginn?, fragen sich Politologen in Moskau und Kiew.

Der regierungsnahe Gouverneur des Konfliktgebiets Donezk, Sergej Taruta, sieht zwei Szenarien. „Wenn es Poroschenko und Putin in Minsk gelingt, sich auf eine Deeskalation zu einigen, brauchen wir nur zwei bis drei Wochen, um den Donbass zu säubern“, meint er. Im anderen Fall sieht er große Probleme auf die prowestliche Regierung in Kiew zukommen. „Sie wird sehr viele Kämpfer für diesen Krieg suchen müssen. Denn alle, die mit Waffen hierherkommen, werden bleiben.“