Korrespondent Ansgar Graw ist in Ferguson. Er will über die Unruhen nach dem Tod des schwarzen Teenagers berichten. Doch er wird festgenommen

Ferguson. Die Polizei, dein Feind! Warum das so sei, erklärt mir Will am Montagabend in Ferguson, der Stadt in Missouri, in der ein weißer Polizist am 9. August einen unbewaffneten 18-jährigen Schwarzen erschoss und in der auch in der Nacht auf Dienstag wieder Schüsse fielen und die Polizei Tränengas einsetzte. „Traue nie einem Polizisten! Sie sind Teil des Systems“, sagt Will. „Sie haben Michael ermordet, und jetzt wollen sie uns provozieren, damit sie das Kriegsrecht verhängen können.“ Das Kriegsrecht? Warum sollten die Polizisten das wollen? Will, ein Afroamerikaner mit muskulösem und textilfreiem Oberkörper unter langen Dreadlocks, stockt nur kurz. Dann variiert er das Thema: Malcolm X wurde erschossen, Martin Luther King wurde erschossen, und auch Abraham Lincoln, der kein Schwarzer war, aber sich für die Sklavenbefreiung einsetzte. Will dürfte im Alter von Michael Brown sein. Da darf man manchen Unsinn glauben. Ich hatte am Vortag andere Polizisten kennengelernt.

Am Sonntag war das Flugzeug mit Verspätung in St. Louis gelandet, und ich bin erst weit nach Mitternacht in Ferguson angekommen. Polizisten hatten die West Florissant Avenue gesperrt, jene Hauptstraße in dem Vorort von St.Louis, in der es nach Browns Tod zu Ausschreitungen, Brandstiftungen und Plünderungen kam. Polizeiwagen blockierten die Zufahrten. Also einen anderen Weg suchen, um näher an den Ort des Geschehens zu kommen. Und das gelingt: An einer Stelle steht nur ein Polizeiwagen. Eine Beamtin und ihr Kollege strahlen den Mietwagen zwar mit Handscheinwerfern an und brüllen, was man denn hier wolle, inmitten der Ausgangssperre, die Sonnabend und Sonntag von Mitternacht bis fünf Uhr morgens galt. Doch der Hinweis, man sei Journalist und sicher nicht an die Sperrstunde gebunden, wird nach einem Blick auf den Presseausweis akzeptiert.

Die Polizei, dein Freund und Helfer. Die positiven Erfahrungen gehen weiter. Zwar sind die Polizisten an der Tankstelle, die von Plünderern in der Nacht nach Browns Tod in Brand gesetzt worden war, reichlich erstaunt, als ein Journalist auftaucht. Aber sie beantworten freundlich alle Fragen und lassen sogar Fotos von den Kollegen zu, die sich mit Maschinenpistolen im Anschlag auf mögliche Attacken vorbereiten: „Lieber wäre mir, Sie würden nicht fotografieren. Aber ich werde nicht das Presserecht einschränken.“

Der Montag schließlich. Die West Florissant Ave bietet schon am späten Vormittag ein völlig anderes Bild. Die hauptsächlich schwarzen Anwohner räumen die Straßen von Steintrümmern und Wurfgeschossen. Die Geschichten, die sie über die vorherige Nacht erzählen, klingen gänzlich anders als die der Polizisten: Sie hätten friedlich demonstriert, dann habe die Polizei ab 20.30 Uhr – also lange vor der mitternächtlichen Sperrstunde – ohneVorwarnung Tränengas und Rauchbomben eingesetzt, um die Menge zu zerstreuen. Aber weil die Straßen bereits abgeriegelt waren, hätten die Menschen gar nicht weggekonnt. Das habe die Wut gesteigert.

Demonstranten sagen, die Polizei habe ohne Anlass Tränengas eingesetzt

Ja, Demonstranten hätten auch Tränengaspatronen zurück in Richtung der Polizisten geworfen, und sicher auch Steine. Aber geschossen? Da hätten doch sicher, so sagen die wütenden Demonstranten, Polizisten in die Luft geschossen, um einen Grund fürs Eingreifen zu haben. Das klingt nach Verschwörungstheorie. Aber auf den Vorwurf etlicher Demonstranten, die Polizei habe ohne Vorwarnung und erkennbaren Anlass Tränengas eingesetzt, spreche ich einige der Polizisten an der abgebrannten Tankstelle an. „Sie sind auch Journalist?“, schnappt einer der Polizisten. „Dann schämen Sie sich! Alle Journalisten müssen sich schämen! Sie alle stellen die Ereignisse hier völlig falsch dar!“ Hier enden die guten Erfahrungen mit den Polizisten von Ferguson. Ich frage nach: „Alle Journalisten? Das ist doch wohl nicht Ihr Ernst? Ist es falsch, dass ich beide Seiten anhören will? Sie argumentieren ja wie der junge Demonstrant, der mir sagte, alle Polizisten seien Killer!“

Die Polizei, dein Nicht-Freund. Es wird noch schlimmer. Ein Kollege, Frank Herrmann, der für deutsche Regionalzeitungen aus den USA berichtet, und ich wollen kurze Zeit später nochmals zu der abgebrannten Tankstelle. Es ist Montag gegen 14 Uhr. Dieser Straßenabschnitt ist nahezu menschenleer, nichts deutet auf Gewalt oder Zusammenrottung hin. Trotzdem wollen uns die Polizisten verscheuchen. Aber wir fühlen uns hier in keiner Weise bedroht, alles ist völlig friedlich, und wir erklären, dass wir bleiben und einige Fotos machen wollen. „Okay, aber nur, wenn Sie ständig gehen. Wenn Sie einmal stehen bleiben, werden Sie verhaftet – das ist die letzte Warnung!“ Ein junger Beamter zückt vielsagend sein Bündel Kunststoffhandfesseln. Fotografieren ist schwierig, wenn man gehen muss. Also gehe ich in kleinen Kreisen, von rechts nach links und links nach rechts, ohne je stehen zu bleiben, während ich die Tankstelle ins Visier nehme. „Das reicht“, sagt der County-Beamte, der offenkundig das Kommando hat. Und lässt uns die Kunststofffesseln anlegen. Wie er heiße, wollen wir wissen. „Mein Name ist Donald Duck“, sagt er. Als wir zehn Minuten später in einen Gefangenentransporter klettern müssen, was mit auf den Rücken gefesselten Händen trotz des Kommandos „schnell, schnell“ gar nicht so leicht ist, schimpft Mr. Duck (auf dem Arrestreport wird später allerdings ein „Officer Amero“ genannt) uns noch nach, wir benähmen uns wie Teenager. Weil ich sagte, er sei mir gleich bekannt vorgekommen? Die Handfesseln werden noch einmal enger gezogen, mutmaßlich, damit wir sie nicht so schnell vergessen.

Ein Polizist, dem die Aktion peinlich zu sein scheint, schneidet die Fesseln durch

Der Transporter bringt uns zur nahen provisorischen Einsatzzentrale. Dort müssen wir die Hosentaschen leeren. Immerhin schneidet ein anderer Beamter, dem die ganze Aktion ein wenig peinlich zu sein scheint, die Handfesseln durch und legt uns nun die klassischen metallenen Handschellen an. Ein anderer Transporter bringt uns zum Justiz-Center, dem Gefängnis von St. Louis. Bei dieser Fahrt werden wir getrennt: Mich zwängt man in eine kleine Zelle direkt hinter der Fahrerkabine. Es stinkt nach Urin. Wir werden dann aber im Gefängnis in eine gemeinsame Wartezelle gesteckt. Dann müssen wir einzeln heraustreten. Zum zweiten Mal werden die (längst leeren) Hosentaschen gefilzt. Es folgt eine Messung des Blutdrucks und eine Befragung durch eine Ärztin. Wieder heraustreten, an einen anderen Schalter. Bleiben Sie stehen! Bleiben! Sie! Stehen! Die Hände auf den Tresen. Auf! Den! Tresen!

Für mich ist das alles eine neue Erfahrung. Ich war in etlichen Krisengebieten, ich war in Bürgerkriegsregionen in Georgien, im Gazastreifen, illegal im Kaliningrader Gebiet, als die damalige Sowjetunion westlichen Reisenden den Zugang noch streng verwehrte, ich war in Afghanistan, im Irak und in China, ich habe heimlich Dissidenten auf Kuba getroffen. Aber um mich von Polizisten fesseln und anschnauzen zu lassen und ein Gefängnis von innen zu sehen, musste ich nach Ferguson und St. Louis in Missouri in den Vereinigten Staaten von Amerika reisen.

Es sind jetzt drei Stunden seit der Festnahme vergangen. Wir bekommen unsere Habseligkeiten zurück und dürfen gehen. Das taube Gefühl in den Handgelenken ist verschwunden, und Albträume wird dieses Intermezzo bei mir sicher nicht auslösen. Keiner hat auf uns geschossen, keiner hat uns wirklich brutal behandelt. Aber mein Vertrauen, dass US-Polizisten trotz ihres oft rauen Auftretens Freunde und Helfer sind, ist dahin.