Der Rassismus in den USA ist ausgerechnet unter Obama eher schlimmer geworden

In einer flammenden Rede beschwor der englische Puritaner John Winthrop im Jahre 1630 die Errichtung einer „Stadt auf dem Hügel“, eines neuen Jerusalems in einer Neuen Welt. Es wurde zum Sinnbild für die Vorbildfunktion der Vereinigten Staaten, den sorgsam gepflegten Exzeptionalismus. Viel früher als andere Staaten gründete Amerika seine Verfassung auf den unveräußerlichen Rechten des Einzelnen, unabhängig von Geburt, Rasse und Stand.

Aber es sollte noch mehr als zwei Jahrhunderte dauern, bis die USA im Zuge eines blutigen Bürgerkrieges auch die Sklaverei der Millionen aus Afrika verschleppten Schwarzen gesetzlich beendeten. Die USA gelten als „Schmelztiegel“ aller Rassen; doch dies ist in weiten Teilen ein Trugbild geblieben. In Amerika können es Schwarze zu Ruhm, Reichtum und hohen Ämtern bringen, aber das System ist unverändert ein weißes.

Am 28. August 1963 hielt der schwarze Bürgerrechtler Martin Luther King in Washington seine berühmte „Traum“-Rede; in der es unter anderem hieß: „Ich habe einen Traum, dass eines Tages selbst der Staat Mississippi, ein Staat, der in der Hitze der Ungerechtigkeit und in der Hitze der Unterdrückung verschmachtet, in eine Oase der Freiheit und Gerechtigkeit verwandelt wird.“ King wurde 1968 von einem Weißen ermordet; und Mississippi, Missouri und viele andere Südstaaten verschmachten nach wie vor in der Hitze der Ungerechtigkeit. Der Tod des 18-jährigen Schwarzen Michael Brown, dem ein weißer Polizist sechs Kugeln in den Körper jagte, weil er nicht auf dem Bürgersteig ging, ist symptomatisch für jenen schwelenden Rassismus, der sich immer wieder explosiv entlädt. Drei Viertel der Bevölkerung der Kleinstadt Ferguson, eines Vorortes der Missouri-Metropole St. Louis, sind schwarz, aber 50 der 53 Polizisten sind Weiße.

Als Barack Obama 2008 als erster Schwarzer ins Weiße Haus gewählt wurde, stiegen die Hoffnungen der Schwarzen himmelhoch, dass sich ihre Lage bessern würde. Sie übersahen, dass Obama und seine Frau Michelle – wie übrigens auch der schwarze Justizminister Eric Holder, der nun nach Ferguson entsandt wurde – das Produkt von traditionellen Elitebildungsinstituten wie Harvard oder Columbia sind. Obamas Politik gegenüber der Lage der Schwarzen ist weitgehend opportunistisch; er führt um die Kernelemente seiner Außen- wie Innenpolitik – Stichwort Obamacare und Truppenrückzug – ohnehin erbitterte Gefechte mit den von weißen Hardlinern dominierten Republikanern und will sich die Eröffnung einer weiteren Front nicht leisten.

Die Lage der Schwarzen insgesamt ist unter Obama eher schlechter als besser geworden; weiße Familien haben im Schnitt mehr als 100.000 Dollar auf dem Rentenkonto angesammelt, Schwarze kaum 17.000. Das dramatisch ungleiche Bildungssystem der USA sorgt nicht eben für Verbesserung; zudem haben der Niedergang der Industrie sowie die Wirtschaftskrise die unteren Schichten ungleich härter getroffen. Obendrein haben sich Millionen Schwarze mutlos in einer sozialen Duldungsstarre eingerichtet, in der Bildungsferne, Kriminalität und Gewalt in der Kindererziehung immer neues Unheil hervorbringen. Auf der anderen Seite hat sich vielerorts eine rassistische weiße Polizeikaste etabliert, die sich als „letzte Widerstandslinie“ gegen die Anarchie empfindet.

Die Einberufung der Nationalgarde durch den Gouverneur von Missouri ist ein politisches Armutszeugnis. Hätte die Polizei von Ferguson nicht so arrogant gegenüber dem Aufklärungsbedürfnis der Bevölkerung gemauert, wäre es wohl gar nicht so schlimm geworden. Der angebliche „Schmelztiegel“ USA ist zunehmend gekennzeichnet von politischen, ethnischen und sozialen Lagern, die sich unversöhnlich gegenüberstehen.