Teilabzug der Bodentruppen aus dem Gazastreifen. US-Präsident Obama: „Kämpfe werden einige Zeit dauern.“ Erneut Uno-Schule getroffen

Washington/Jerusalem. Vier Wochen nach Beginn des Gazakonflikts zeichnen sich Änderungen in Israels Taktik ab. Die Armee zog am Sonntag einzelne Truppen ab und trug damit der Ankündigung von Ministerpräsident Benjamin Netanjahu vom Vortag Rechnung, man werde die Kräfte „neu ausrichten“, um „Reibungen zu minimieren“. Die Militäroperationen gingen gleichwohl unvermindert weiter.

Auch aus Washington gab es veränderte Signale. Präsident Barack Obama sagte, eine Beendigung der Kämpfe werde „einige Zeit dauern“. Obama fügte hinzu, es werde „sehr schwer, einen Waffenstillstand neu zu vereinbaren, wenn die Israelis und die internationale Gemeinschaft kein Vertrauen haben können, dass die Hamas sich an die Waffenstillstandsvereinbarung hält“.

Diese Wortwahl wurde verstanden als enger Schulterschluss des Weißen Hauses mit seinem Verbündeten Israel. In den Wochen zuvor hatte US-Außenminister John Kerry erfolglose Initiativen für Waffenstillstandsvereinbarungen vorgelegt, die von Jerusalem, aber auch von der Palästinenser-Führung in Ramallah als zu hamasfreundlich interpretiert worden war.

Obamas Hinweis zum geringen Vertrauen in die Hamas bezog sich auf den am Donnerstag vereinbarten 72-stündigen humanitären Waffenstillstand, der am Freitagmorgen um 8 Uhr Ortszeit beginnen sollte, aber nach nur 90Minuten beendet war. Nach israelischer Darstellung hatten Hamas-Kämpfer die Vereinbarung gebrochen, indem sie aus einem Tunnel heraus israelische Soldaten angriffen. Dabei wurden zwei Soldaten getötet. Ein Dritter, Unterleutnant Hadar Goldin, 23, wurde zunächst als entführt gemeldet. Jetzt bestätigte die Armee: Hadar Goldin ist ebenfalls gefallen.

Der US-Präsident bekräftigte das israelische Recht auf Selbstverteidigung, äußerte aber auch die Hoffnung, dass das Militär versuchen werde, die Zahl ziviler Opfer zu reduzieren. Israel liege „völlig richtig“ damit, das Netzwerk der Tunnel im Gazastreifen zu zerstören, durch die die Hamas Schmuggeloperationen ebenso ausführt wie Attacken auf israelisches Gebiet. Obama fügte hinzu, es gebe „einen Weg, dies zu tun und dabei das Blutvergießen gleichwohl zu reduzieren“.

Netanjahu hatte die Zerstörung der Tunnel als vorrangiges Ziel der Militäroperation bezeichnet. Jetzt machte der Premierminister aber deutlich, dass die Offensive darüber hinaus fortgesetzt werde. In vom Fernsehen übertragenen Bemerkungen im Verteidigungsministerium in Tel Aviv sagte Netanjahu, das Militär „operiert weiterhin mit voller Stärke, um die Ziele der Operation zu erreichen: die Wiederherstellung von Ruhe und die Wiederherstellung von Sicherheit für die Bürger Israels für einen längeren Zeitraum und zugleich die Ausführung von weitgehender Zerstörung terroristischer Infrastrukturen“. Am Sonntag wurde in der Stadt Rafah im Süden des Gazastreifens eine von den Vereinten Nationen betriebene Schule getroffen. Dabei starben nach Augenzeugenberichten zehn Menschen, 30 weitere seien verletzt worden. Hamas-Sprecher Sami Abu Zuhri bezeichnete den Militärschlag als „Kriegsverbrechen“ und beschuldigte Uno-Generalsekretär Ban Ki-moon, er sei „ein Partner bei diesem Massaker, weil er schweigt und das Blut unschuldiger Zivilisten ignoriert“. Ban Ki-moon verurteilte den Angriff aufs Schärfste. Diese Attacke sei „eine moralische Schandtat und ein krimineller Akt“. Der Angriff „ist eine weitere grobe Verletzung der internationalen Menschenrechte“.

Israel hatte in den vergangenen Tagen bei ähnlichen Vorfällen mehrfach darauf hingewiesen, dass die Kämpfer der radikalislamischen Hamas Schulen, Krankenhäuser und ähnliche Einrichtungen gezielt als Stellung für ihre Truppen und Artillerie nutzen und dabei Zivilisten als menschliche Schutzschilde missbrauchen. Gestern Abend beschoss Israel wieder die UN-Schule im Gazastreifen. Das Resultat sind weltweit ausgestrahlte Fernsehbilder, auf denen verletzte oder getötete Zivilisten, darunter viele Kinder, in Kampfzonen geborgen oder in Krankenhäuser getragen werden.

Experten warnen mittlerweile vor einer „dritten Intifada“

Hamas-Vertreter weisen hingegen den Vorwurf zurück, sie wollten über eine möglichst hohe Zahl ziviler oder gar kindlicher Opfer internationale Unterstützung gewinnen. Israel hatte vor den Einsätzen Zivilisten aufgerufen, derartige Einrichtungen, die militärisch genutzt werden, zu verlassen. Dies ist allerdings in dem abgeschotteten und dicht besiedelten Gebiet des Gazastreifens alles andere als einfach.

Inzwischen gibt es Hinweise, dass die Hamas-Reihen gestärkt werden durch Palästinenser aus weniger radikalen Organisationen. Die Fachzeitschrift „Foreign Affairs“ warnt vor dem Aufkommen einer „dritten Intifada“, die ähnlich wie die Palästinenseraufstände in den 1980er-Jahren und kurz nach der Jahrtausendwende auch von den Menschen im Westjordanland und in Ostjerusalem getragen würde.

Die USA agieren in dieser Phase im Hintergrund. Dass Israel nicht an Gesprächen über einen Waffenstillstand teilnimmt, zu denen Ägypten eingeladen hatte, wurde in Washington nicht kritisiert. Hamas-Vertreter waren hingegen nach Kairo gereist. Aus israelischer Sicht ist die Bereitschaft der Hamas zu Verhandlungen nur eine Fassade, hinter der die Angriffe gegen Israel fortgesetzt werden sollen. Zuletzt war in Kairo unter ägyptischer Vermittlung ein Waffenstillstand ausgehandelt worden, den die Hamas ablehnte.