Russen sind auf Technik aus dem Westen und Zugang zu den Finanzmärkten angewiesen. Aber auch die Wirtschaft in Hamburg fürchtet Einbußen.

Brüssel. Dem britischen Ölkonzern BP gehört etwa ein Fünftel des russischen Ölkonzerns Rosneft – bislang war die Beteiligung ein gutes Investment. Ein Drittel seines Öls fördert BP in Russland. Rosneft aber steht bereits auf der Sanktionsliste der USA und kann sich auf dem US-Kapitalmarkt kein Geld mehr besorgen. Nun fürchtet BP um Image und Geschäft. Bei der Vorlage der Zahlen für das zweite Quartal teilte das Unternehmen mit: Neue Sanktionen der EU könnten den Gewinn in Zukunft schmälern. Eine Erosion der Beziehung zu Rosneft könnte Auswirkungen auf Produktion, Reserven „und unser Ansehen“ haben.

Die Besorgnis des Ölkonzerns ist exemplarisch für die EU-Wirtschaft. Und sie könnte nun real werden. Denn die EU-Staaten machen ernst mit Wirtschaftssanktionen gegen Russland. Zwölf Tage nach dem mutmaßlichen Abschuss einer malaysischen Passagiermaschine über der Ostukraine verständigten sich die EU-Botschafter auf Exportverbote und Beschränkungen für vier Branchen. Der Maßnahmenkatalog muss noch von den Regierungen der 28 Mitgliedsländer abgesegnet werden.

Künftig dürfen nach Diplomatenangaben keine Rüstungsgüter zwischen Russland und der EU gehandelt oder Produkte zur zivilen wie auch militärischen Verwendung nach Russland exportiert werden. Russische Banken mit einer staatlichen Beteiligung von mehr als 50 Prozent können zudem keine neuen Wertpapiere in der EU verkaufen. Darüber hinaus gilt ein Exportstopp für Hochtechnologie-Geräte, vor allem im Bereich der Ölförderung. Die Maßnahmen sollen auf ein Jahr begrenzt werden, eine erste Überprüfung soll den Angaben zufolge nach drei Monaten erfolgen. Die EU beschuldigt Russland, zu wenig zur Aufklärung des Absturzes der Boeing 777 der Malaysia Airlines beizutragen und prorussische Separatisten in der Ostukraine zu unterstützen. Am Montag hatten US-Präsident Barack Obama, Bundeskanzlerin Angela Merkel und andere Staats- und Regierungschefs der EU vereinbart, Russland mit Sanktionen zum Einlenken in der Ukraine-Krise zu bewegen.

Die EU-Wirtschaft ist – wie BP zeigt – eng verflochten mit der russischen Ökonomie, über Handelsbeziehungen, Investitionen, Energielieferungen und die Finanzindustrie. Die Sanktionen setzen nun genau da an. Sie sollen Russland zweierlei spüren lassen: Erstens, dass es zwar auf riesigen Gas- und Ölvorräten sitzt, dass aber seine Wirtschaft ohne Hochtechnologielieferungen aus dem Westen erheblich weniger daraus machen kann, als es der Reichtum des Landes nahelegen würde.

Zweitens zielen die Sanktionen darauf, dass die enge Verflechtung Russlands mit den internationalen Finanzmärkten der Ansatzpunkt einer Disziplinierung sein kann. Eine Reihe von Banken könnte von der Kreditversorgung in der EU abgeschnitten werden. In den USA ist das zum Teil schon der Fall. Zwar hat Russland enorme Währungsreserven von 500 Milliarden Dollar – aber auch der Zugang zu diesem Schatz führt über das internationale Finanzsystem, über Zahlungsabwicklungen in Dollar oder Euro.

Ohne die Erlaubnis zu Transaktionen in EU und USA kann Russland Wertpapiere nicht voll und ganz in Bares wandeln und der Wirtschaft zur Verfügung stellen. So ließe sich der Geldhahn für das Land zudrehen – oder auch wieder öffnen, wenn die Forderungen der EU erfüllt werden: Russland soll kooperieren, seinen Einfluss auf die Separatisten geltend machen und Waffenlieferungen über die russisch-ukrainische Grenze unterbinden. Es könnte dauern bis zu einer Entspannung, damit rechnet auch die Wirtschaft.

Nebenwirkungen der Sanktionen werden wohl nicht ausbleiben. Einen Rückgang des eigenen Russlandgeschäfts um bis zu 20 Prozent befürchtet der Deutsche Industrie- und Handelskammertag (DIHK). Und Hans-Jörg Schmidt-Trenz, Hauptgeschäftsführer der Handelskammer Hamburg, sagt: „Die verschärften Sanktionen sind für das Russland-Geschäft der Hamburger Unternehmen, das unter der schwierigen Wirtschaftslage in dem Land leidet, eine weitere Belastung. Außerdem bergen Sanktionen die Gefahr von russischen Gegenmaßnahmen, die letztlich zu einer Sanktionsspirale führen könnten.“ Für Hamburg spielten die Verbindungen zu Russland eine größere Rolle als für andere Standorte in Deutschland: „Unser Hafen ist die wichtigste Drehscheibe für den Handel Russlands mit Europa. Die 600 Hamburger Unternehmen, die mit Russland Wirtschaftsbeziehungen unterhalten, ,fahren auf Sicht‘, das heißt, Projekte, die eine längerfristige Planung benötigen, werden vielfach zurückgestellt.“ Die Sanktionsbeschlüsse seien „ein Test für die Einheit der EU“, sagte ein EU-Diplomat. Großbritannien fürchtet um seinen Bankenplatz London und will den Abzug großer Summen beobachtet haben.