Viele Fragen nach dem Abschuss von MH17 über der Ukraine. Airlines wählten aus Kostengründen die kürzeste Route.

Hamburg. Der Abschuss von Flug MH17 über der Ukraine hat Millionen Flugpassagiere geschockt. Viele fragen: Warum fliegt ein Jet ausgerechnet über eine der umkämpftesten Regionen dieser Erde?

Inzwischen zweifelt niemand mehr daran, dass die Boeing 777-200 der Malaysia Airlines mit 298 Menschen an Bord von einer Boden-Luft-Rakete getroffen wurde. Wer sie abgeschossen hat, ist noch umstritten. Viele Airlines haben aber bereits Konsequenzen gezogen. Die Lufthansa änderte alle Flugrouten, die normalerweise die Ost-ukraine passieren würden. Air India und die indische Jet Airways leiten jetzt ihre Flüge nach Europa ebenfalls um. Emirates teilte mit, alle Flüge nach Kiew seien ausgesetzt. Sämtliche Maschinen Richtung Europa und USA flögen nicht mehr über das Gebiet. Ähnlich reagierten Airlines aus China und anderen Ländern. Auch das Bundesluftfahrtamt warnte eindringlich vor dem Überfliegen von Krisengebieten. Bilder der Flugsicherung zeigten am Freitag sehr wenige Flugzeuge über der Ukraine, dafür aber dichten Luftverkehr auf anderen Routen.

Bis dahin aber war das Überfliegen von Kriegsgebieten – nicht nur über der Ostukraine – Routine für viele Airlines. Die Gründe sind rein wirtschaftlicher Natur. Da zum Beispiel der Luftraum über der von Russland annektierten Krim gesperrt ist, wichen Airlines auf Flügen zwischen Europa und Asien gerne auf die Ostukraine aus. Kürzere Routen bedeuten auch geringere Kerosinkosten. Die Gesellschaften argumentierten, dass bisher alles gut ging. Auf dem Boden konnte geschossen werden – zehn Kilometer über den Schlachtfeldern aber flogen Hunderte Flugzeuge von Lufthansa und Co. im festen Glauben, dass niemand eine weitreichende Lenkwaffe mit Wärmesensoren abfeuern würde, die ein Zivilflugzeug trifft. Doch genau das ist jetzt passiert.

In der Branche ist hinter vorgehaltener Hand immer wieder zu hören, dass „Sicherheit kein Geschäft“ sei. Daher werden viele, von Flugzeugherstellern zusätzlich angebotene Sicherheitsausstattungen gar nicht bestellt.

Viele Experten üben scharfe Kritik. „Ich finde es bemerkenswert, dass eine zivile Airline ihren Flug über ein solches Gebiet plant“, sagt Robert Francis, ehemaliger Vizechef der US-Behörde für Transportsicherheit. Schon vor dem Abschuss von MH17 waren mehrere ukrainische Militärmaschinen von Separatisten beschossen worden, ohne dass deshalb der Luftraum über der Ukraine gesperrt wurde. Weder die Flugaufsicht Eurocontrol noch der Verband der Fluggesellschaften IATA oder die Fluggesellschaften selbst sahen die Vorfälle als warnende Vorzeichen, nicht über das Krisengebiet Ostukraine zu fliegen. Entsprechend rechtfertigt sich Malaysia Airlines: Sie habe eine von der IATA freigegebene Route gewählt.

Für die Airline bedeutet der Abschuss der Boeing 777 eine besondere Tragik. Noch nie zuvor verlor binnen fünf Monaten eine Fluggesellschaft zwei Großraumjets des gleichen Typs, die als extrem sicher galten. Im März verschwand Flug MH370 aus unbekanntem Grund kurz nach dem Start in Kuala Lumpur von den Radarschirmen und stürzte später mit 239 Menschen wahrscheinlich in den Indischen Ozean. Mit Blick auf die Ursache haben die Abstürze mit großer Wahrscheinlichkeit nichts miteinander zu tun; sie offenbaren dennoch enorme Lücken bei den Sicherheitsstandards der Branche.

So gibt es nach wie vor keine Einigung zwischen den Airlines über den zwingenden Einbau einer Online-Blackbox. Außerdem gibt es keine verbindlichen Regelungen, wann Krisenregionen zu Flugverbotszonen erklärt werden. Dennoch hatten einige Fluggesellschaften schon vor Monaten entschieden, das Kampfgebiet im Osten der Ukraine nicht mehr zu überfliegen. Die Gesellschaft Asiana änderte schon im März die Routen für ihre Cargomaschinen. Auch Korean Air meidet die Route seit der Krim-Krise. Die australische Qantas fliegt ebenfalls seit Monaten nicht über die Ostukraine.

Emirates meidet überdies seit Längerem Teile Syriens, andere Airlines nutzen den Luftraum über dem Irak nur noch beschränkt. Die USA warnen vor den Lufträumen über dem Iran, Jemen, dem Sinai und Nordkorea.

Solche Hinweise spielen für Fluggesellschaften eine wichtige Rolle bei der Einschätzung der Lage. Es wäre ungewöhnlich, würden sie die Warnungen ignorieren, sagt der US-Experte Thomas Routh. Letztlich sei es aber die Entscheidung der Airlines, ob geflogen wird oder nicht: „Es gibt Fluglinien, die jeden Tag über Afghanistan fliegen ...“