Prorussische Separatisten streiten Abschuss des Passagierjets mit 298 Insassen ab. War es eine Verwechslung? Airlines sollen Warnung ignoriert haben

Kiew. Das brennende Wrack des Flugzeugs sieht so aus, als ob es schon vor dem Aufprall auf die Erde zerborsten ist. Wrackteile sind über eine große Fläche verteilt, ebenso Gepäckstücke und persönliche Gegenstände der Insassen. Am Absturzort des Passagierjets in der Ostukraine liegen viele Tote.

Die prorussischen Separatisten gaben am späten Donnerstagabend vor, sie hätten den Flugschreiber der Boeing 777 gefunden. „Die Blackbox wurde sichergestellt“, sagte einer ihrer Sprecher. Die Separatisten boten am Abend eine befristete Feuerpause während der Bergung an. „Wir sind zum vorübergehenden Waffenstillstand mit den Behörden bereit, um eine Untersuchung des Flugzeugunglücks zu ermöglichen“, sagte der selbst ernannte Premierminister der nicht anerkannten Volksrepublik Donezk, Alexander Borodaj.

Das Flugzeug mit 298 Menschen – 283 Passagiere und 15 Crewmitglieder – an Bord war auf dem Weg von Amsterdam nach Kuala Lumpur über ukrainisches Gebiet geflogen. Malaysia Airlines hatte nach eigenen Angaben den Kontakt zu der Maschine verloren.

Separatisten sprachen konsequent vom Abschuss eines „Transportflugzeugs“

Nach Angaben der USA und eines Beraters des ukrainischen Innenministeriums wurde Flug MH17 abgeschossen. Die Maschine sei auf einer Höhe von 10.000 Metern von einer Flugabwehrrakete getroffen worden, sagte Anton Geraschenko. Es sei von einer Rakete des russischen Systems Buk getroffen worden. Ein Reporter der Nachrichtenagentur AP hatte am Donnerstag ein solches System in der Nähe der ostukrainischen Stadt Snischne gesehen. Buk-Raketen können eine Höhe von 25.000 Metern erreichen.

Die prorussischen Separatisten stritten vehement ab, die malaysische Passagiermaschine abgeschossen zu haben – sie besäßen keine Waffen, die ein Flugzeug in der Höhe von 10.000 Metern treffen könnten, es handele sich um „eine Provokation der ukrainischen Armee“. Das erklärte jedenfalls Alexander Borodaj. Doch möglicherweise haben Separatisten den Absturz zuvor schon als eigenen Abschuss gefeiert.

Darauf deuteten Videos hin, die sie ins Internet stellten. Nur hatten sie offenbar nicht verstanden, was genau da abgestürzt war. Sie sprachen konsequent von einer „Transportmaschine der ukrainischen Luftwaffe“. Doch der Tag und der Ort des Absturzes deuten darauf hin, dass es sich um den Passagierjet gehandelt haben könnte. Grabowe, so heißt das Dorf, in dessen Nähe die malaysische Maschine niederging. Nahe Grabowe berichteten prorussische Separatisten einige Stunden vor den Meldungen über die malaysische Maschine, sie hätten ein ukrainisches Transportflugzeug vom Typ Antonow 26 abgeschossen. Das meldete die staatliche russische Nachrichtenagentur RIA. Auf einer Separatisten-Seite im russischen Netzwerk VKontakte schrieben sie dazu: „Wir haben euch gewarnt – fliegt nicht in unseren Himmel!“

Als Beweis posteten sie zwei Videos, die nahe dem Absturzort von Einwohnern aufgenommen worden waren. Das erste Video stammt aus der Stadt Tores. Darauf ist zu sehen, wie schwarzer Rauch hinter den Häusern aufsteigt. „Gerade wurde ein Flieger abgeschossen“, sagt ein Einwohner im Off. „Es liegt dort, hinter der Mine Progress.“ Das zweite Video soll vom Dorf Sneschnoje in der Nähe aufgenommen worden sein. Es zeigt auch schwarzen Rauch. „Schön, die Menschen freuen sich“, sagt der Kameramann im Off, der davon ausgeht, dass ein ukrainischer Militärflieger abgeschossen wurde.

Nachdem der Abschuss der Boeing 777 international zu entsetzten Reaktionen geführt hatte und Rebellenführer Borodaj die Verwicklung seiner Leute dementierte, wurde die Meldung der Separatisten gelöscht. Bildschirmaufnahmen liegen jedoch noch vor.

Präsident Petro Poroschenko sagte, die ukrainischen Streitkräfte hätten keine Ziele im Luftraum angegriffen. Fest steht: Es ist der bislang schwerste Vorfall im Ukraine-Konflikt. Allerdings sollen die Fluggesellschaften bereits vor dem Absturz des Passagierjets über die Gefahr für den Flugverkehr wegen der Kämpfe in der Region informiert worden sein, sagte der britische Flugsicherheitsexperte Norman Shanks. „Das ist eine verkehrsreiche Flugroute, und es hat Hinweise gegeben, dass den Fluggesellschaften geraten wurde, diese Gegend zu meiden“, sagte der ehemalige Leiter der Luftfahrtbehörde BAA am späten Donnerstagabend. „Aber Malaysia Airlines hat, so wie eine Reihe anderer Anbieter auch, die Route weiterhin genutzt, weil es eine kürzere Strecke ist, was bedeutet: weniger Treibstoff und deswegen weniger Kosten.“