Die EU beschäftigt sich mit sich selbst. Die Vergabe von wichtigen Posten ist ungeklärt

Brüssel . Die Staats- und Regierungschefs der Europäischen Union sind beim ersten großen politischen Balanceakt nach den Wahlen zum Europaparlament vom Mai tief abgestürzt. Am Donnerstagmorgen scheiterten sie beim Versuch, sich über die Vergabe der wichtigen Spitzenpositionen des Außenbeauftragten und des EU-Ratsvorsitzenden zu einigen. Der frisch gewählte EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker darf sich zwar über seine künftige Kommission Gedanken machen, diese aber noch nicht endgültig bilden.

Nach dem Verlust des Gleichgewichts in der EU-Arena versicherten die Akteure eilends, dies bedeute überhaupt nichts. „Es ist ein bisschen unglücklich, aber nicht dramatisch, überhaupt nicht dramatisch“, sprach der noch bis November amtierende EU-Ratspräsident Herman Van Rompuy sich selbst Mut zu. Und Bundeskanzlerin Angela Merkel verhieß, alles werde gut: „Ich bin ganz optimistisch, dass Schritt für Schritt, Zug um Zug sich das ergibt.“ Sie hatte bei diesem eher unerquicklichen Ereignis um Mitternacht in ihren 60. Geburtstag reingefeiert. Es gab Blumen, Sekt – und ein Trikot der Nationalmannschaft. Mit Unterschriften. „Aber nicht von den Spielern, sondern von den Teilnehmern des Europäischen Rates“, so Frankreichs Präsident François Hollande.

Während das politische Führungspersonal Europas nach dem gescheiterten Gipfel übermüdet Kurs auf Hotelzimmer und wartende Flugzeuge nahm, rechneten EU-Diplomaten an Kalendern vor, dass es nur mit ganz viel Glück und gutem Willen vielleicht möglich sein werde, noch vor Ende Oktober, wenn das Mandat der jetzigen EU-Kommission ausläuft, eine neue Kommission zu benennen. Bis Ende Juli sollen die Regierungen Juncker mitteilen, wen sie als Kommissar nach Brüssel entsenden wollen. Deutschland hat das schon getan, Günther Oettinger (CDU) darf in Europas „Hauptstadt“ bleiben.

Aber erst nach einem weiteren Sondergipfel vom 30. August soll feststehen, wer EU-Außenbeauftragter oder -beauftragte werden soll. Erst dann kann Juncker wirklich über die Besetzung der Ressorts in der Kommission entscheiden. Und das wird nicht einfach: „Ich glaube, dass es eine gewisse Interdependenz (wechselseitige Abhängigkeit) gibt zwischen den Posten in der Kommission und den zu vergebenden Spitzenposten“, sagte Merkel.

Dass sich die Gipfelrunde nicht über die Nachfolge der Außenbeauftragten Catherine Ashton einigen konnte, hat mit Macht und Eitelkeit zu tun. Denn Van Rompuy war es nicht gelungen, einen Vorschlag für ein Personalpaket zu machen, mit dem das Gleichgewicht zwischen Nord, Süd, Ost und West der EU, zwischen Links und Rechts und zwischen Männern und Frauen gefunden werden konnte. „Jetzt haben sich viele parteipolitische Positionen verfestigt“, beschrieb Merkel bedauernd die Lage. Aber nicht nur das. Nachdem der christsoziale Luxemburger Juncker Kommissionspräsident wurde, war für die Sozialdemokraten klar, dass der Posten der oder des Außenbeauftragten an sie fallen müsste. Dass der „nächstwichtigere Posten“ von dort besetzt wird, sei „okay“, meinte auch die Kanzlerin. Freilich fanden die Sozialisten auch, dass der Ratsvorsitz ebenfalls an sie gehen müsse. Bei einem Treffen der europäischen Sozialdemokraten wurde die dänische Regierungschefin Helle Thorning-Schmidt als Kandidatin genannt. Das wiederum sah Merkel („Jetzt gibt es aus meiner Sicht keine weitere Notwendigkeit, den Wahlausgang noch mal zu balancieren“) gar nicht so. Im Ratsvorsitz brauche man jemanden, der es so wie Van Rompuy schaffe, „uns zu einigen“: „Das muss jemand sein, der zusammenführen kann.“ Es gehe nur um Eignung: „Der Rat ist völlig frei, eine geeignete Persönlichkeit auszuwählen.“ Sie sei da „nicht parteipolitisch gebunden“.

Doch es ging nicht nur ums Parteibuch, auch um Inhalte. Die erst seit Februar amtierende italienische Außenministerin Federica Mogherini, 41, vom umtriebigen Regierungschef Matteo Renzi vorgeschlagen, löste vor allem in Polen und den baltischen Staaten Panikattacken aus. Von dort wurde ihr vorgeworfen, zu russlandfreundlich und viel zu unerfahren für den Umgang mit diplomatischen Schwergewichten wie dem russischen Außenminister Sergej Lawrow zu sein. Zudem wolle man, dass bei der Postenvergabe auch die Staaten im Osten der EU berücksichtigt werden. Nun also soll Ende August entschieden werden. Ganz bestimmt.