Beim Besuch von Kanzlerin Angela Merkel überrascht Premier Li Keqiang mit der Ankündigung von Reformen. Die deutsche Delegation bricht aber nicht in Euphorie aus.

Peking. „Achten Sie auf Ihre Gesundheit“, rät Ministerpräsident Li Keqiang auf der Pressekonferenz mit Bundeskanzlerin Angela Merkel den Journalisten. Einigen stockt der Atem. Immerhin sind in China zurzeit 30 Reporter und 70 Blogger in Haft. Eine regelrechte „Verhaftungswelle“ von unab- hängigen Berichterstattern habe es jüngst vor dem 25. Jubiläum des Massakers am Platz des Himmlischen Friedens gegeben. Doch der kommunistische Funktionär, die Nummer zwei in China, will nicht drohen, sondern scherzen: Neben der Politik müsse man doch derzeit auch noch die Fußballweltmeisterschaft beobachten, das sei doch bestimmt sehr anstrengend.

Geradezu locker gibt sich Li in der Großen Halle des Volkes in Peking. Er entschuldigt sich für eine Verspätung von zehn Minuten, sagt „Danke“ und „Guten Tag“ auf Deutsch und lobt sogar einen deutschen Korrespondenten, weil der zwar eine kritische Frage gestellt hat, aber diese immerhin auf Chinesisch. Dann überrascht der Ministerpräsident noch mehr, als er antwortet: „Wir werden auch in diesem Prozess daran arbeiten, die Menschenrechtssache weiter voranzubringen. In dem Prozess der vertieften Reform Chinas werden wir auch beharrlich daran arbeiten, den Aufbau des Rechtsstaats in China zu fördern.“

Schon dass Li das Wort Menschenrechte in den Mund nimmt, ist keine Selbstverständlichkeit. Bei bisherigen Treffen mit Merkel haben chinesische Führer es nur ungern erduldet, dass Merkel die Menschenrechte ansprach. Ebenso wie sie ertragen, dass bei Pressekonferenzen mit der Kanzlerin Fragen zugelassen sind – andere europäische Staats- und Regierungschefs bestehen schon lange nicht mehr darauf.

Keine Euphorie in Merkel-Delegation

Streng genommen kündigt Li im Beisein der Kanzlerin also nicht weniger als eine neue Öffnung an. Die Fachleute in ihrer Delegation reagieren aber nicht euphorisch. Mit der neuen Führung von Präsident Xi Jinping und Ministerpräsident Li habe sich vor allem die Kommunikation geändert. Die beiden Politiker geben sich fast westlich-locker, Li erscheint am Nachmittag zur Besichtigung des berühmten Himmelstempels im kurzärmeligen Hemd, Xi bringt zum Abendessen mit Merkel seine Frau mit: eine Sängerin, die in China als Mode-Ikone gilt.

In der Substanz der Politik beobachten auch die Deutschen hingegen Verhärtungen. In China gibt es heute eher noch weniger Meinungsfreiheit als vor ein paar Jahren. Außenpolitisch setzt China auf Konfrontation mit den USA und vor allem mit Japan. Selbst auf der gemeinsamen Pressekonferenz mit Merkel spricht Li den japanischen Angriff auf China im Zweiten Weltkrieg an. Der ist auf den Tag 77 Jahre her, aber er wird mit größtem Aufwand im Fernsehen inszeniert.

Da Angela Merkel es noch am Vorabend ablehnte, zur Affäre um den mutmaßlich für die CIA spionierenden BND-Mitarbeiter Stellung zu nehmen, wird sie nun ausgerechnet auf der Pressekonferenz mit dem chinesischen Gastgeber gefragt. Zwar sagt die Kanzlerin nur, wenn die Vorwürfe stimmten, handele es sich um einen „sehr ernsten Vorgang“. Dennoch ist dies hier, in Peking, misslich. Jeder weiß, dass chinesische Geheimdienste die deutlich robusteren Methoden anwenden, auch in Berlin.

Problemlose Wirtschaftskooperationen

Der Ausbau der Wirtschaftskooperation mit China und die Entwicklung einer freieren Gesellschaft gehörten für sie „ganz eng“ zusammen, sagte Merkel. Sie mahnte mehr Marktzugang, Transparenz und Gleichberechtigung für deutsche Unternehmen an. Die geplante „Innovationspartnerschaft“ mit China müsse über Forschung und Technik hinausgehen und die Entwicklung der Zivilgesellschaft und des Rechtsstaats einschließen.

Problemlos läuft hingegen die wirtschaftliche Zusammenarbeit. Wie problemlos, davon gewinnt man an diesem Tag ebenfalls einen starken Eindruck. Da unterzeichnet Jochem Heizmann, VW-Vorstand für den Geschäftsbereich China, ein Dokument, das genauso trocken angekündigt wird wie wenig später eine Vereinbarung über ein ökologisches Passivhaus. Aber was VW dort wie nebenbei vereinbart, hat es in sich: Zwei neue Werke gemeinsam mit einem chinesischen Partner, in Quingdao und Tinajen. Eine Milliarde Euro soll jedes kosten und 300.000 Autos pro Jahr fertigstellen. Lufthansa baut ihre bestehende Kooperation mit Air China schon mit dem neuen Winterflugplan deutlich aus.

Wie verflochten die beiden Ökonomien mittlerweile sind, wird auch bei der Einrichtung eines neuen Gremiums klar. Merkel und Li etablieren einen „beratenden Wirtschaftsausschuss“, indem deutsche Unternehmer und chinesische Unternehmensführer gemeinsam Verbesserungsvorschläge erarbeiten. Sie tun dies nicht mehr nach Herkunft getrennt, sondern sortieren sich nach Fachbereichen wie Finanzen, Infrastruktur oder Versorgung. Die Sitzung findet hinter verschlossenen Türen statt, aber hinterher dringt nach draußen: Die Chinesen hätten sich in Deutschland vor allem weniger Bürokratie gewünscht.

Merkel äußerte die Hoffnung, dass vor den geplanten dritten Regierungskonsultationen im Oktober in Berlin noch jeweils eine Gesprächsrunde über Menschenrechte und über Rechtsstaat stattfinden werden. „Wir haben insofern noch einmal deutlich gemacht, dass für uns erfolgreiche Wirtschaftsentwicklung und Menschenrechts- und Zivilgesellschaftsentwicklung ganz eng zusammengehören.“