Am Reißbrett konstruierten Franzosen und Briten vor fast 100 Jahren neue Staaten

Kairo. Für die sunnitische Terrormiliz Islamischer Staat im Irak und Syrien (Isis) ist die Grenze zwischen den beiden Staaten nicht existent. Denn auf beiden Seiten, in einem Kernland der Sunniten, soll das islamische Kalifat liegen, das Isis errichten will. In den Jahrzehnten seit ihrer Unabhängigkeit haben arabische Regierungen ihre Staatenkonstrukte oft nur mithilfe autokratischer Herrschaft aufrechterhalten. Doch der Arabische Frühling hat in vielen Ländern die Karten neu gemischt. Die lange schwelende Feindschaft zwischen Sunniten und Schiiten, den rivalisierenden islamischen Glaubensgruppen, wurde etwa in Syrien bald zum bestimmenden Element des Bürgerkriegs. Und im Irak brach sie bereits in den Jahren nach dem Sturz Saddam Husseins offen hervor.

Die derzeitigen Grenzen des Nahen Ostens haben ihren Ursprung in dem geheimen Sykes-Picot-Abkommen zwischen Großbritannien und Frankreich im Jahr 1916. Aus dieser Vereinbarung und aus weiteren Verträgen nach dem Ersten Weltkrieg entstanden schließlich der Libanon, Syrien, der Irak, Jordanien und das britische Mandat für Palästina, das den Weg für den Staat Israel ebnete. Die Interessen der dort lebenden Menschen wurden dabei kaum berücksichtigt. Das mehrheitlich sunnitische Mossul etwa wurde gemeinsam mit den Kurdenregionen weiter im Norden und mit Bagdad und dem mehrheitlich schiitischen Süden zum heutigen Irak zusammengeworfen. Syrien entstand aus den einstigen osmanischen Provinzen Aleppo und Damaskus und den lange davon abgetrennten, überwiegend alawitischen Küstenregionen.

Der Libanon wurde als christliches französisches Protektorat abgetrennt mit einigen sunnitischen und schiitischen Regionen – eine Mischung, die schließlich zu einem Bürgerkrieg und noch anhaltenden Unruhen führte. Städte wie Akkon, Haifa und Nazareth, die historisch eher mit Gegenden im heutigen Libanon und Syrien verbunden waren, kamen zum Mandatsgebiet Palästina und liegen heute in Israel.

Der wohl künstlichste Staat war Jordanien. Nach einem alten Witz zog Winston Churchill betrunken die Grenze zwischen dem Staat und Saudi-Arabien, deshalb verläuft sie jetzt im Zickzack. Trotz der Willkürlichkeit, die Amman mit Wüstengegenden im Osten und Süden verband, ist Jordanien noch das stabilste der Länder im Nahen Osten. Und trotz der von den Kolonialherren gezogenen Grenzen entwickelten sich durchaus nationale Identitäten und Nationalstolz der Jordanier, Iraker oder Syrer heraus. Und viele dort wollen das auch nicht ändern.

Die Weltmächte haben ohnehin kein Interesse an einer neuen Grenzziehung, doch sie können sich durchaus föderale Staaten mit mehr Autonomierechten vorstellen.