Die Terrorgruppe Isis steht kurz vor Bagdad. US-Präsident betont: „Wir werden keine US-Truppen zum Kampf in den Irak schicken“

Bagdad/Washington. Tausende Amerikaner sitzen noch im Irak, während Kämpfer der radikalislamischen Terrorgruppe Islamischer Staat im Irak und der Levante (Isis) den Norden des Landes einnehmen und bereits bis auf wenige Dutzend Kilometer an die Hauptstadt Bagdad vorgerückt sind. US-Präsident Barack Obama steht vor einer schwierigen Entscheidung. Will er das Kapitel Irak noch einmal aufschlagen?

„Der Abzug der US-Truppen aus dem Irak ist abgeschlossen.“ Diese historische Schlagzeile vom Dezember 2011 hatte Obama als ganz persönlichen Erfolg verbucht: Die Soldaten hätten ihre Mission erfüllt, indem sie den Irakern ihr Land und die „Chance auf eine aussichtsreiche Zukunft“ gegeben hätten, verkündete er damals in einem Interview. Auf Fotos sah man den letzten Konvoi der US-Truppen über die Grenze nach Kuwait rollen.

Zweieinhalb Jahre später steht der Irak am Rande einer Katastrophe – und Obama wurde vom raschen Vormarsch der Terrorgruppe Isis völlig überrascht, schreibt das „Wall Street Journal“ unter Berufung auf Regierungsbeamte. Der Mann, dessen Vermächtnis das Ende der US-Konflikte nach dem 11. September 2001 werden sollte, scheint die noch nicht verheilte Wunde Irak neu aufreißen zu müssen.

Die Entsendung von Bodentruppen schloss Obama jedoch bereits aus. „Wir werden keine US-Truppen zurück zum Kampf in den Irak schicken“, sagte er am Freitag in Washington. Allerdings werde er in den kommenden Tagen eine „Reihe anderer Optionen“ prüfen. Die irakische Regierung soll bei der US-Regierung angefragt haben, ob diese die islamistischen Extremisten mit Drohnenangriffen bekämpfen könne.

„Das sollte ein Weckruf sein“, sagte Obama zum Vormarsch der sunnitischen Dschihadistengruppe. Der Präsident bekräftigte, dass der Irak „zusätzliche Unterstützung“ benötige. Allerdings seien auch die politischen Verantwortlichen im Irak gefordert, die Differenzen zwischen den Bevölkerungsgruppen endlich zu überwinden. „Die USA werden sich nicht in eine Militäraktion verwickeln lassen, wenn es aufseiten der Iraker keinen politischen Plan gibt“, sagte er. Der britische Außenminister William Hague betonte am Freitag in London, Großbritannien könne keine Intervention im Irak anbieten.

Mit seinen Top-Sicherheitsberatern brütete Obama bereits über den militärischen Optionen. Konkret sind das derzeit: Luftangriffe, Drohnenangriffe und die schnellere Lieferung militärischer Mittel an irakische Sicherheitskräfte. Zuletzt schickten die USA ihnen 300 Panzerabwehrraketen, millionenfach Munition für Handfeuerwaffen und Panzer, dazu Raketen und Granaten. Hinzu kamen Maschinengewehre, Sturmgewehre und Ende 2013 mehrere Hubschrauber. Nun geht es außerdem um 200 Geländefahrzeuge.

Die lange Einkaufsliste macht deutlich, wie brenzlig die Lage mittlerweile geworden ist. Bereits seit dem vergangenen Jahr lassen die USA heimlich Aufklärungs-Drohnen fliegen, um Hinweise über die Kämpfer zu sammeln. Das Blatt könne sich noch wenden, sagt der frühere Vize-Außenminister und US-Botschafter im Irak, John Negroponte. Die Isis-Kämpfer „können gestoppt werden“, und in einer Woche oder einem Monat habe sich die Lage vielleicht verbessert.

Den republikanischen Falken in Washington geht das allerdings längst nicht weit genug. Sie bezichtigen Obama, den Krieg im Irak mit dem US-Truppenabzug neu angeheizt zu haben. „Wir hatten den Konflikt gewonnen“, sagt Senator John McCain und prangert das Vakuum an, das die Amerikaner hinterlassen hätten. Nach den Kriegen in Deutschland, Japan und Bosnien hätten US-Truppen für eine nachhaltige Stabilisierung gesorgt. Doch wie lange sollen die USA wie viele Schauplätze gleichzeitig bewachen?

Dass erneut US-Bodentruppen auf irakischem Boden eingesetzt werden sei jedenfalls ausgeschlossen, verlautet aus Washington. Derzeit sind lediglich 250 amerikanische Soldaten im Irak stationiert – vor allem zum Schutz diplomatischer Einrichtungen. Eine winzige Truppe im Vergleich zu den 157.800 Amerikanern, die zu Hochzeiten des Konflikts im Irak eingesetzt waren. Zugleich harren Tausende US-Bürger im Irak aus, darunter Diplomaten, Mitarbeiter der weltgrößten US-Botschaft und privater Sicherheitsfirmen.

Nach fast neun Jahren Irak-Krieg will der Friedensnobelpreisträger Obama sicher kein neues Kapitel der unendlichen Geschichte schreiben. Den Krieg hatte er 2009 noch als „dumm“ und „überstürzt“ bezeichnet – zu seinem politischen Gewinn. Nun zuzuschlagen würde Obama zum Sisyphos des Iraks machen.

So glorreich Obama den Abzug der Amerikaner verkünden konnte, schien er das nun eingetretene Desaster schon fast zu ahnen, als er im Oktober 2011 verkündete: „Für den Irak stehen einige schwierige Tage bevor.“ Das Gleiche gilt nun für ihn selbst.