Islamisten wollen Friedensverhandlungen mit der pakistanischen Regierung sabotieren. 30 Tote und stundenlange Gefechte

Singapur. „Dies ist nur der Anfang“, twittern Pakistans Taliban, „wir haben Vergeltung für einen geübt, wir müssen Hunderte rächen.“ Mindestens 30 Menschen starben in den frühen Morgenstunden im Zuge dieses Racheaktes am Jinnah Airport in Karatschi, dem größten Flughafen Pakistans. Unter den Toten sind alle zehn Angreifer. Mehr als zwei Dutzend Menschen sind verletzt, und für Stunden war der gesamte Flugverkehr unterbrochen. Die Tehreek-e-Taliban Pakistan (TTP) machen Ernst. Die Friedensverhandlungen mit der Regierung in Islamabad, die seit Monaten dahinsiechen, sind vergessen. Mit den ersten Granaten und den Schüssen der Maschinenpistolen um Mitternacht in Karatschi explodierte jede Hoffnung auf Annäherung oder gar eine Einigung endgültig.

Shahidullah Shahid, ein Sprecher der TTP, erklärte in einer Textnachricht das Motiv für diesen jüngsten Angriff: Es gehe um Rache für die schlechte Behandlung der gefangenen Talibankämpfer in pakistanischen Gefängnissen, für die Luftangriffe in Nord-Waziristan und für den tödlichen Drohnenangriff auf ihren einstigen Anführer Hakimullah Mehsud im vergangenen Jahr. Nach dem Tod des TTP-Chefs setzte sich Mullah Fazlullah an der Spitze des Zusammenschlusses von mehr als einem Dutzend Extremistengruppen durch. Er gilt als noch größerer Hardliner, als es Mehsud schon war. Fazlullah hatte einst das Swat-Tal unter seine Kontrolle gebracht. Damals führte er ebenfalls Friedensverhandlungen mit der Regierung, die ihm Swat hilflos überließ. Der für seine Brutalität bekannte Extremist dehnte seinen Einfluss daraufhin immer weiter aus. Als seine Kämpfer nur noch rund 100 Kilometer vor Islamabad standen, musste ihn die Armee im Jahr 2009 mit einer Großoffensive stoppen.

„Dies ist eine Botschaft an Pakistans Regierung, dass wir noch am Leben sind und auf die Morde an unschuldigen Menschen durch Bombenangriffe auf ihre Dörfer reagieren können.“ Im Übrigen sei, so brüstete sich Shahidullah Shahid, dieser Angriff schon lange geplant gewesen. Durch die Friedensverhandlungen sei er lediglich aufgeschoben worden. Und die seien sowieso nichts anderes als ein „Werkzeug des Krieges“ der pakistanischen Führung.

Die Männer kamen in der Uniform und den Ausweisen des Flughafen-Sicherheitspersonals. Ein Geländewagen soll sie abgesetzt haben, dann habe er sofort wieder kehrtgemacht. Von zwei Seiten aus stürmte der Stoßtrupp dann um kurz vor Mitternacht am Sonntag den alten Hajj Terminal des Jinnah International Airports in der Millionenmetropole, der nur noch für Cargo- und VIP-Flüge genutzt wird: zehn Militante, in zwei Gruppen von je fünf, generalstabsmäßig geplant und skrupellos durchgeführt. Es waren Ausländer aus Usbekistan und Tschetschenien, wie die pakistanischen Behörden inzwischen angeben. Bis an die Zähne bewaffnet und, so heißt es aus Augenzeugenberichten, alle mit einer Sprengstoffweste am Leib: Sie wollten zerstören, töten, Chaos anrichten. Vom Hajj Terminal aus wollten sie offenbar auf die Startbahn gelangen. Pakistans Behörden gehen davon aus, dass die Taliban dort so viele Flugzeuge wie möglich zerstören und den Flugbetrieb sabotieren wollten. So steht es auch in einem vorläufigen Bericht, der Premierminister Nawaz Sharif vorgelegt wurde. Doch es kursieren auch Gerüchte, demzufolge sie versuchten, in einen Hangar zu gelangen, in dem sich angeblich US-amerikanisches Material, womöglich sogar Drohnenbestandteile, befindet. Nichts davon ist allerdings bestätigt.

Der Angriff war gut geplant und koordiniert, die Täter bestens ausgebildet. Die Taliban, so warnen Analysten besorgt, sind offensichtlich keineswegs geschwächt oder führerlos. Und sie arbeiten augenscheinlich mit terroristisch gedrillten Al-Qaida-Kämpfern zusammen, wie zum Beispiel der Islamischen Bewegung von Usbekistan (IMU), die in Nord-Waziristan einen sicheren Hafen gefunden hat und auch Trainingscamps unterhält. Usbekische Terroristen haben nicht zum ersten Mal solch einen spektakulären Terroranschlag in Pakistan durchgeführt. So waren sie auch an einem Angriff auf den Flughafen von Peschawar vor zwei Jahren beteiligt.

Fünf Stunden lang lieferten sich die Angreifer ein Feuergefecht mit der herbeigerufenen Armee, bis diese endlich wieder die Kontrolle über den Flughafen erlangte und keiner der Militanten mehr am Leben war. Inzwischen wurde der Flugverkehr wieder aufgenommen. Die Sicherheitskräfte hatten das Gebäude durchkämmt und ein ganzes Waffenarsenal beschlagnahmt: Granatenwerfer, Schusswaffen und Sprengstoff. Um 14.30 Uhr Ortszeit hatten Passagiere nach Dubai und Lahore ihre Bordtickets bekommen. Ab 16 Uhr flog die nationale Fluggesellschaft Pakistan Airlines wieder – auch wenn aus Teilen des Flughafens noch immer schwarzer Rauch quoll, eine Erinnerung an die schlimmste Attacke auf eine zivile Einrichtung seit Jahren. Pakistan ist schockiert über die Ausrüstung der Angreifer, über ihre detaillierte Organisation und Kapazitäten.

In Internetforen und Kommentaren machen die Menschen ihrem Schrecken Luft. „Die Attacken“, heißt es in einem Kommentar der Tageszeitung „Dawn“, „beschränken sich nicht mehr nur auf Armee- und Polizeistützpunkte. Sie zielen nicht mehr nur auf den armen Mann auf dem Gemüsemarkt oder in der Moschee. Sie sind mühelos dort angekommen, wo es am schwierigsten sein sollte, einzudringen. Sie haben ihre Markierung an einem Ort hinterlassen, wo selbst die Hohen und Mächtigen des Landes immer mal wieder ein- und ausgehen.“ Der Autor fordert die Regierung rundheraus auf, sämtliche Gesprächsversuche mit den „Massenmördern“ in den Wind zu schießen und sofort zu handeln. „Zehn Männer hatten die Macht, einen internationalen Flughafen für mehrere Stunden lahmzulegen. Stellen Sie sich vor, zu was tausend mehr davon in der Lage wären?“

Nach Statistiken des Pakistanischen Instituts für Friedensstudien (Pips) kamen 2013 bei 1717 Terrorangriffen 2451 Menschen ums Leben – fast 20 Prozent mehr als im Vorjahr. Besonders viele Opfer haben religiöse Minderheiten wie Schiiten zu verzeichnen. Auch in der Nacht zu Montag wurden bei Anschlägen im Südwesten Pakistans 24 Schiiten getötet.