Russland und die Ukraine rüsten nach der Wahl verbal ab. Doch die Lage in Donezk im Osten des Landes spitzt sich zu

Kiew. Erstmals seit Wochen gibt es Signale der Entspannung zwischen Kiew und Moskau, nachdem der Milliardär Petro Poroschenko bei der Präsidentenwahl in der Ukraine gesiegt hat. Russlands Außenminister Sergej Lawrow und Poroschenko erklärten ihre Bereitschaft zu Krisen-Gesprächen. Im Westen nährte der Wahlerfolg des Schokoladenfabrikanten schon im ersten Wahlgang Hoffnungen auf eine Stabilisierung vor allem der Lage in der russisch geprägten Ostukraine, die teils von moskautreuen Separatisten kontrolliert wird. Nach Auszählung von mehr als 70 Prozent der Wahlzettel kann Poroschenko mit 53,75 Prozent der Stimmen rechnen.

Der Wahlsieger und Milliardär Poroschenko leitet ein Süßwarenimperium und finanzierte die ukrainische Revolution. Er begann mit dem Verkauf von Kakaobohnen, übernahm mehrere Süßwarenfabriken und gründete schließlich den Branchengiganten Roschen, der nach Firmenangaben 450.000 Tonnen Süßwaren pro Jahr herstellt – daher der Spitzname „Schokoladenbaron“.

„Wir sind bereit zum Dialog mit Poroschenko“, sagte Lawrow. Russland respektiere den Willen des ukrainischen Volkes. Moskau spricht aber ausdrücklich weiterhin nicht von einer Anerkennung des Wahlergebnisses. Gleichwohl sagte Lawrow: „Dass die Abstimmung in vielen Teilen der Ukraine organisiert werden konnte, ist im Großen und Ganzen eine positive Tatsache.“ Auch Poroschenko bot einen Dialog an. „Wir haben etwas vorzuschlagen“, sagte er. So solle etwa die russische Sprache einen offiziellen Status in den russisch geprägten Gebieten der Ostukraine erhalten. Eine Stabilisierung der Lage in der Unruheregion sei „ohne russische Vertreter, ohne ein Treffen mit der russischen Führung unmöglich“. Allerdings lehnte er erneut Gespräche mit militanten Separatisten im Osten ab. „Wir verhandeln nicht mit Terroristen.“

Lawrow forderte Poroschenko auf, die „Anti-Terror-Operation“ gegen prorussische Kräfte zu stoppen und zu den in Genf gefassten internationalen Beschlüssen zurückzukehren. Dazu gehört die Entwaffnung aller nicht staatlichen Truppen sowie die Räumung des Unabhängigkeitsplatzes – des Maidan – in Kiew. Poroschenko sprach sich hingegen für eine Fortsetzung der „Anti-Terror-Operation“ aus. Er werde nicht zulassen, dass die Ostukraine „zu einem Somalia wird“. Allerdings müsse der Einsatz effektiver geführt werden, zudem müssten die Sicherheitskräfte bessere Bewaffnung erhalten.

Poroschenko kündigte an, er wolle weiter mit Regierungschef Arseni Jazenjuk zusammenarbeiten. „Es gibt meinerseits keine Pläne, den Ministerpräsidenten auszutauschen“, sagte er. „Arseni Petrowitsch (Jazenjuk) arbeitet bisher hervorragend.“ Der Regierungschef gehört der Partei der unterlegenen Präsidentenkandidatin Julia Timoschenko an, die abgeschlagen bei rund 13 Prozent landete. Seine erste Auslandsreise als Staatschef soll Poroschenko am 4. Juni in das Nachbarland Polen führen, wo er auch EU- und US-Vertreter treffen will.

Die Bundesregierung hofft auf eine Stabilisierung der Ukraine. Von der Wahl gehe die klare Botschaft aus, dass die Ukrainer die Krise gemeinsam mit den Mitteln der Demokratie und des Rechtsstaats überwinden wollten, sagte Regierungssprecher Steffen Seibert. „Das kann tatsächlich zu einer Stabilisierung der Lage führen.“ Dazu müsse aber auch Russland einen konstruktiven Umgang mit der neuen Führung in Kiew finden. Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) sagte: „Ich bin froh darüber, dass die Wahl stattgefunden hat. (...) Das wird zur Beruhigung in der Ukraine beitragen.“

Bei neuen Gefechten in der Ostukraine kamen derweil laut Regierung mindestens zwei prorussische Separatisten ums Leben. Ukrainische Truppen hätten die Leichen der Männer nach einer Schießerei an einem Kontrollposten gefunden, teilte Wladislaw Selesjnow, der Sprecher des Militäreinsatzes, mit. Demnach versuchten moskautreue Kämpfer, aus dem Belagerungsring um die Separatisten-Hochburg Slowjansk auszubrechen. Der Angriff sei abgewehrt worden. Ukrainische Regierungstruppen sind am Flughafen der Metropole Donezk mit Härte gegen prorussische Separatisten vorgegangen. Je zwei Kampfjets der Typen Su-25 und Mig-29 hätten die „Terroristen“ beschossen, teilte der Sprecher des Militäreinsatzes mit. Nun sollten Bodentruppen das Gelände „reinigen“. Die moskautreuen Kräfte seien in Panik, behauptete der Sprecher. Die Separatisten hatten das Gelände besetzt und ein Ultimatum verstreichen lassen.

Die Präsidentenwahl in der Ukraine hat immerhin nach Angaben der OSZE-Beobachter trotz der Gewalt im Osten des Landes weitgehend die internationalen Standards erfüllt. „Die Wahlleiter haben sich tatkräftig bemüht, die Abstimmung im ganzen Land möglich zu machen – trotz anhaltender Unruhen und Gewalt im Osten“, heißt es in dem vorläufigen Bericht der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE). Die Wahlbeobachter kritisierten die erzwungene Schließung von Wahlkommissionen durch bewaffnete Gruppen, Entführungen, Todesdrohungen sowie Beschlagnahme von Abstimmungsmaterialien. In Donezk hatte kein einziges Wahllokal geöffnet. All dies habe darauf gezielt, den Bürgern ihr Wahlrecht vorzuenthalten. Die außergewöhnliche Qualität der Abstimmung verleihe dem neuen Präsidenten Petro Poroschenko die Legitimation, sofort den Dialog mit allen Bürgern im Osten aufzunehmen und deren Vertrauen und Zuversicht wiederherzustellen, erklärten die Beobachter. Poroschenko will rasch in den Osten reisen, um das Land auszusöhnen.

Eine dringende Frage für die neue ukrainische Regierung ist die Energieversorgung des Landes. EU-Energiekommissar Günther Oettinger trifft am Montagabend in Berlin mit den Energieministern Russlands und der Ukraine zusammen, um über einen Kompromiss im Gasstreit zwischen beiden Staaten zu beraten. Vor dem Treffen drängte er Kiew, offene Rechnungen zu begleichen. Russland hatte massive Gaspreisrabatte für die Ukraine gestrichen und fordert nun die Bezahlung offener Rechnungen in Milliardenhöhe. Moskau droht, andernfalls ab Juni Gaslieferungen zu drosseln oder zu stoppen. Das könnte auch den Westen treffen, denn die Ukraine ist ein wichtiges Transitland für russisches Gas.