Armee will eine Eskalation der Gewalt zwischen den verfeindeten politischen Lagern verhindern – aber die tiefe Kluft bleibt

Singapur/Bangkok. „Die Ausrufung des Kriegsrechts ist kein Putsch!“ Dieser Schriftzug tickert bereits den ganzen Tag über Thailands Armeesender Channel 5. Thailands Militär betonte es am Dienstag ein um das andere Mal: Wir haben nicht die Macht ergriffen, wir wollen nur „Recht und Ordnung aufrechterhalten“. Frühmorgens um 3Uhr hatte Armeechef Prayuth Chan-ocha das Kriegsrecht über das ganze Land ausgerufen. Die Übergangsregierung war zuvor nicht informiert worden. Soldaten sind nun – mit allen nötigen Befugnissen – zuständig für die Sicherheit in Thailand. Nach sechs Monaten der politischen Krise, die das Königreich lähmte, die Premierministerin zum Rücktritt zwang und immer wieder in Gewalt mit bereits 28 Toten ausartete, haben Thailands Generäle nun doch die Kulissen verlassen und eingegriffen. Zwar haben sie nicht die Regierung übernommen, aber sie haben jetzt das Sagen.

„Keine Panik“, hatte Prayuth die Menschen beschworen. Jeder solle einfach weiter seinen Alltagsgeschäften nachgehen. Genau vor dieser Situation hatten die Thailänder die ganze Zeit Angst. Das Land ist leidgeprüft. Seit dem Ende der absoluten Monarchie vor 82 Jahren hat es bereits elf Militärcoups gegeben, den jüngsten im Jahr 2006. Und vier Jahre später hatte die Armee Proteste der heutigen Regierungsanhänger blutig niedergeschlagen. Die Menschen in Thailand haben keine guten Erinnerungen an Generäle, die bestimmen. Dennoch blieb es in Bangkok am Dienstag ruhig, fast normal lief das Leben in der Hauptstadt ab. Im Schatten an einigen Straßenkreuzungen saßen Männer in Uniform, vor der Stadt bewegen sich Truppen, und manch Bürger knipste gar fröhlich ein Selbstporträt mit Soldaten. Die „Stadt der Engel“ glich keineswegs einer Metropole im Ausnahmezustand oder einem Land am politischen Abgrund.

Seit Dezember hat Thailand de facto keine funktionstüchtige Regierung mehr. Die Stimmung im Königreich ist angespannt, ein kleiner Funken, fürchteten Experten seit Wochen, könnte zur Eskalation führen. Dies will die Armee nun nach eigenen Angaben verhindern. Doch für viele ist das nur der Anfang, eine Art „Putsch light“, der sprichwörtliche Fuß in der Tür.

Allerdings tun die Militärs alles, diese Sorge zu zerstreuen. Und ihre Rechnung geht offenbar auf: Interimsregierungschef Niwatthamrong Boonsongpaisan erklärte lediglich, die Armee solle bitte die Verfassung achten. Die Regierungsanhänger, die sogenannten Rothemden, schimpften zwar lauthals, sie seien „von Soldaten umzingelt“, doch sie wehrten sich nur mit Worten, nicht mit Handgreiflichkeiten. Und selbst der unbeirrbare Protestführer Suthep Thaugsuban, der seit sechs Monaten mit einem Ultimatum nach dem anderen die Schraube enger drehte, gab klein bei und räumte am Nachmittag den Regierungssitz. Die Armee hat sich in die Position gebracht, da sie den Politikern befiehlt, sich zu einigen. Möglich, dass dies Thailands einzige Chance für eine Lösung der lähmenden Krise ist.

Armeechef Prayuth hat sich im vergangenen halben Jahr, als die Regierungsgegner kompromisslos gegen die Premierministerin protestierten, betont aus dem Konflikt herausgehalten. Als sie nicht eher ruhen wollten, bis Yingluck Shinawatra und mit ihr der lange Schatten ihres Bruders, des früheren Premiers Thaksin, ganz von der politischen Bühne verschwänden, als sie Wahlergebnisse in den Wind schlugen und die Politik stattdessen auf die Straßen verlagerten, als Thailand aus der Sicht von Investoren und Touristen immer mehr in die Unwägbarkeit abrutschte, da hatte sich das Militär eisern zurückgehalten. Nicht zuletzt deshalb, weil Prayuth Chan-ocha im September in Rente geht und sicher alles andere wünscht als Hürden auf seinem Weg in die Pensionierung. Doch nun, so scheint es, war das Maß doch voll.

Nach Yinglucks Amtsenthebung im April war der bisherige Handelsminister Niwatthamrong Boonsongpaisan zum Interimsregierungschef ernannt worden. Er gehört aber derselben Partei an wie sie – und das macht auch ihn für die oppositionelle Protestbewegung unter Suthep Thaugsuban zum Feind. Die Regierungsgegner wollen Neuwahlen verhindern und fordern stattdessen einen ungewählten Übergangspremier und einen demokratisch nicht legitimierten Volksrat. Der Tropfen, der das Fass schließlich zum Überlaufen brachte, war die Ankündigung der Protestbewegung, am kommenden Wochenende noch eine „letzte Schlacht“ zu schlagen, die am nächsten Montag in die „alles entscheidende Schlacht“ münden sollte. Diese Aussicht hatte wiederum die Rothemden motiviert, zu einer großen Gegendemonstration aufzurufen. Angesichts dieser Zuspitzung der Lage sah Prayuth offenbar keine Wahl mehr. „Als General“, schreibt die Tageszeitung „Bangkok Post“ in einem Kommentar, „hatte er nur zwei Möglichkeiten: einen Militärputsch oder das Kriegsrecht. Er wählte die weichere Lösung.“

Prayuth hat wahrscheinlich mit seiner Entscheidung die schlimmste Eskalation verhindert. Doch das Kriegsrecht ist nur eine Zwischenlösung, das Problem bleibt bestehen. Die verfeindeten Lager bleiben weit voneinander entfernt, ohne Aussicht auf gütliche Einigung. Die Rothemden, die ihre Basis bei der armen Landbevölkerung haben, bleiben der Shinawatra-Familie treu ergeben, und die Regierungsgegner vertreten die traditionellen Eliten des Landes. Es ist ein Kampf um Macht und Einfluss, um Pflöcke, die für die Zukunft eingeschlagen werden.